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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

4. 1. 2014 - 15:41

Protest 2014

Welche Demos werden in diesem Jahr Berlin fluten? Gegen was oder für wen werden (wahrscheinlich) Leute auf die Straße gehen?

2014 demonstriert man gegen:

Abschiebung
Atomkraft
Baubeginn in Tempelhof
Bundeswehreinsatz
Datenklau
EU
Fracking
Fahrpreiserhöhung
Flüchtlingsheime
GEZ (Gebühreneinzugszentrale)
Hartz 4
Hundekot
Hohe Mieten
Homophobie
Kohlekraft
Kapitalismus
Krieg in Syrien
Militärgewalt in Ägypten
Moscheebau
Nazis
Nachtflüge
Populismus
PKK Verbot
Privatisierung
Rassismus
Räumung der Eisfabrik, des Flüchtlingscamps, der besetzten Häuser
Residenzpflicht
Rüstungsexporte
Sexismus
Überwachung
Vorratsdatenspeicherung
Waffenlieferungen
Zaun um den Tiergarten

Und für :
Abrüstung
Bildung
Das Leben
Direkte Demokratie
Energiewende
Fahrradwege
Flugverbot
Frieden
Freiheit
Frauenrechte
Gaypride
Gebärdensprache
Grundeinkommen
Gerechte Gesellschaft
Legalisierung von Cannabis
Menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen
Miteinander von Hunden und Menschen
Moscheebau
Recht auf Abtreibung
Transpride
Slowfood
Spreeufer für alle
Solidarität mit: Flüchtlingen, Israel, Palästina, dem iranischen Volk
Tierrechte
Vegane Lebensweise

Das neue Jahr nimmt seinen Lauf und auch in Berlin ist man gespannt, was 2014 so bringen wird – persönlich, kulturell, musikalisch, politisch.

Spannend ist die Frage, was 2014 in Berlin so auf den Straßen los sein wird – nicht was die nicht enden wollenden Touristenströme, sondern was politische Bewegungen angeht.

Im Moment liegt ja Hamburg als Protesthauptstadt vorne. Bei einer Demo gegen Gentrifizierung und für den Erhalt des linken Kulturzentrums „Rote Flora“ kam es wohl zu einem völlig unverhältnismäßig brutalen Vorgehen der Polizei und die Situation ist nun so eskaliert, dass beide Seiten, Polizei und Autonome, von Schusswaffengebrauch reden. Jeder, der schon einmal auf einer Demo war, wird wissen, wie schnell man auch als völlig friedlicher Mitläufer Schläge durch die Polizei, Pfefferspray oder Wasserwerfer zu spüren bekommt, und dass dies zu einer Radikalisierung führt.

Installation eines verkehrten Polizeiautos auf einer Demo

CC

Aber die Hamburger übertreiben schon immer gerne, und der Typus „gewalttätiger Polizist“ sowie „linker Macker“, der sich seine Männlichkeit gerne durch aggressives Verhalten bei Demos und Steinwürfe beweisen muss, ist dort reichlich vertreten. Doch eigentlich wird bundesweit in Berlin am meisten protestiert: im Durchschnitt gibt es neun Demonstrationen täglich, was auch an den zahlreichen ausländischen Botschaften liegt, vor denen aus verschiedenen Gründen gerne gemahnt, gewacht oder gezeltet wird.

Aber welche großen, hausgemachten Proteste, Demos, Krawalle und Straßenschlachten hat Berlin 2014 zu erwarten?

Die großen Berliner Themen werden auch 2014 Gentrification, Verdrängung, Umgang mit Flüchtlingen und Asylpolitik sein.

Die bereits für den 18. Januar angedrohte Räumung des Flüchtlingscamps am Kreuzberger Oranienplatz und die Androhung der Zwangsräumung der Ruine einer Eisfabrik, in der 35 Menschen aus Bulgarien eine Bleibe gefunden haben, könnte die erste große spontane Protestwelle 2014 liefern und erste kleine Scharmützel auslösen. Die großen konkurrierenden Rosa-Luxemburg-Gedenkmärsche am 12. Januar bleiben hingegen traditionell friedlich.

Am 18.Januar, zeitgleich mit der „Grünen Woche“, zieht eine große Demo gegen die Agrarindustrie und für Tierrechte unter dem Motto „Wir haben es satt“ durch Berlin.
Großes Protestpotential liegt ab Frühjahr auch in der geplanten Bebauung des stillgelegten Flughafens Tempelhof. Die meisten Berliner wollen, dass er so bleibt wie er ist, der Senat will Wohnungen bauen. Das gibt Ärger.

Am 1. Mai sind in Berlin ja im Schnitt 26 Demos angemeldet. Die revolutionäre 1.-Mai-Demo durch Kreuzberg war in den letzten 15 Jahren Ausgangspunkt für diffuse Zerstörungswut und Randaletourismus. Inzwischen entwickelt sich der 1. Mai in Kreuzberg eher zum Open-Air-Rave-Straßenevent.

Weitere Großereignisse wie die Fußball-WM 2014 versprechen protestfrei zu bleiben, es sei denn Deutschland gewinnt, was zu Befürchtungen hinsichtlich erstarkenden Nationalstolzes und zu „Deutschland halt's Maul“-Umzügen führen könnte.

Die Diskussion um das Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren wird eher im Feuilleton als auf der Straße geführt. Im Moment streitet man darum, dass die Deutschen unbedingt die alleinige Schuld am Ausbruch des 1. Weltkriegs übernehmen wollen und ihnen aber von Historikerseite widersprochen wird. Der Vorwurf: Die Deutschen wollen in allem führend und vorbildlich sein und deshalb auch in der Vergangenheitsbewältigung und bei historischen Schuldeingeständnissen unbedingt alle anderen übertrumpfen.

Kaum zu Straßenprotesten wird der 25. Jahrestag des Mauerfalls am 9. November 2014 führen.

Und im Dezember ist man ja wahrscheinlich schon wieder mit den anfallenden Festen und dem Jahreswechsel beschäftigt.

Zwischendurch wird es natürlich einige Protestaktionen vor Luxusbauprojekten, vor den Rathäusern und Jobcentern geben. Dass Nazis und andere rechte Gruppen mehrfach jährlich durch Berlin laufen und „normale“ Bürger gegen Moscheen und Flüchtlingsheime demonstrieren, ist erbärmlich – zum Glück finden sich in Berlin aber immer reichlich Gegendemonstranten.

Aber auch viele bereits angemeldete Demonstrationen versprechen ein lebendiges Berliner Protestjahr. Die Themen sind dabei so vielfältig wie Berlin selbst.