Erstellt am: 2. 1. 2014 - 23:24 Uhr
Touch & Play: Die Jahreswechsel-Edition mit Top 10
Eine der großen Errungenschaften von mobilen Games ist, dass sie Reduktion und den Fokus auf das Wesentliche - also eine gute Spielidee - in die digitale Spielkultur zurück gebracht haben. Das ist zwar bei den Handheld-Geräten von Sony und Nintendo auch schon seit Jahren der Fall, aber die haben bei weitem nicht die markttechnische und gesellschaftliche Durchdringung wie Smartphones und Tablets.
Retro-Games waren vor wenigen Jahren zwar nichts Ungewöhnliches, aber dennoch weitgehend eine Nische. Heute sind Pixel- und 8-Bit-Ästhetik, Comic-Look und Chiptunes mainstreamtauglich, weil mindestens ein dementsprechendes Spiel auf jedem dritten Handy installiert ist. Der Grund dafür liegt vor allem an der technischen Reduktion der mobilen Geräte. So ein kleines Ding kann naturgemäß nicht die Rechenkraft eines hochgerüsteten Desktop-Computers haben. Selbiges gilt auch für Festspeicher. Selbst dann, wenn sich vor allem Apple seine Speichereinheiten in seinen i-Gadgets teuer bezahlen lässt, ist es eben meist so, dass kleinere Geräte auch weniger Speicherplatz besitzen.
Die nervigen Platzwegnehmer
Wenn Platz also kostbar ist und man sich mit dem Vorhandenen arrangieren muss, mag man keine Gäste, die sich mit gespreizten Beinen und ausgestreckten Armen breit machen und den Weg verstellen. Das gilt für den eigenen Wohnraum ebenso wie für mobile Computer. 2013 ist es leider dennoch immer öfter der Fall gewesen, dass sich Games - meist jene mit großen Franchises im Namen wie "XCOM" oder "Deus Ex" - mit einem Datenhunger von manchmal über einem Gigabyte auf iPad und Co. breitmachen wollten. Meine Selbstbeobachtung im vergangenen Jahr hat gezeigt, dass ich diese Platzsünder aufgrund der anschließend fehlenden Vielfalt (weil zu viele andere Apps gehen hätten müssen) gar nicht auf meine Geräte gelassen habe. Liebe Konzerne und Entwickler/innen: Mobile Ableger von euren "großen" Games sind fein, aber mein Tablet ist keine gut geölte 1-Terabyte-Festplatte! Platzhungriges spiele ich dann doch lieber am Desktop-Rechner.
Bei manchen Riesen-Apps ist man sich aber oft ohnehin nicht sicher, ob sie nicht nur dazu dienen, aufwändige Promotiontools für die Hauptspiele am PC zu sein. Denn das wirkliche Geld, also das Ansprechen von allen demographischen Gruppen vom Volksschüler über die "middle aged women" über den "hardcore gamer" bis hin zu den Senioren, liegt natürlich im kleinsten gemeinsamen Nenner. Der hieß im vergangenen Jahr ohne jeden Zweifel "Candy Crush Saga". Ich gebe zu, das Game selbst nicht gespielt zu haben. Es wäre laut Auskenner/innen gar kein 08/15-Puzzlespiel, wo man bloß nur immer drei gleiche Steine finden muss, sondern ein Game mit tiefgründiger Taktik. Mag sein. Was mich, neben dem Umstand, dass die dahinter stehenden Firmen die letzten Wochen und Monate angeblich rund 900.000 US-Dollar am Tag mit dem Spiel verdient haben, am meisten fasziniert, ist, dass viele Menschen diese potthässlichen Zuckerl-Icons anziehend finden. Das sieht doch aus, wie wenn ein blutiger Anfänger das in zehn Minuten im Open Source 3-D-Programm gerendert hätte! Wie dem auch sei, Glove & Boots haben uns alle rechtzeitig gewarnt.
Neues Storytelling
Wir spielen auf mobilen Geräten aber nicht nur visuell fragwürdige Puzzle-Games und Retro-Geschicklichkeitsspiele. 2013 war auch das Jahr, wo allgemein viel mit Storytelling experimentiert worden ist. Die Indie-Szene jener Menschen, die mit dafür maßgeschneiderten Tools wie etwa Twine interaktive Geschichten erzählt haben, erinnerten an die alten "Choose Your Own Adventure"-Bücher, wo man vermeintlich selbst Einfluss auf die Geschichte nehmen konnte, indem man sich an bestimmten Stellen unterschiedliche Entscheidungen trifft.
In Bezug auf Design ist das natürlich eine sehr grobe und limitierte Form des interaktiven Geschichtenerzählens, andererseits führen Spiele dieser Art zu einer wohltuenden Form der Demokratisierung bei der Entwicklung von Games. Wenn das mit fortgeschrittener künstlicher Intelligenz (KI) gepaart wird, können auch sehr dynamische Geschichten entstehen. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang das für iPad erschienene Engine "Versu", wo die diversen Pfade, für die man sich im Laufe der Geschichte entscheiden kann, mit einer KI vermischt werden, die auf die jeweiligen Protagonisten angewandt wird.
Top 10! Top 10!
Die Kuratierung der vorgestellten Games für die FM4 Morning Show-Serie "Touch & Play" erfolgt nach recht simplen Kriterien: Besitzt das Spiel ein einfallsreiches Design? Spielt es sich gut? Ist es nicht zu kompliziert? Und: Lässt es sich gut in kurzen Zeitabschnitten spielen? Zu vertrackte Designs wie etwa die penetranten Miniaufbauspiele, wo man ein Haus, einen Garten oder sonst etwas über einen lähmend langen Zeitraum mit drei verschiedenen Fantasiewährungen aufbauen muss, fallen schon mal weg. Games, die den Spieler und die Spielerin mit zu aggressiver Werbung für In-App-Käufe nerven, ebenfalls. Obskure japanische Rollen- oder Kartenspiele sind manchmal bestimmt super, aber zu nischig, um für eine größere Gruppe Menschen interessant sein zu können.
Die "Touch & Play"-Titel des vergangenen Jahres sind rechts mit Datum und Link aufgelistet. Dass viele davon Apple-exklusiv sind, ist schade, aber leider ist es eben weiterhin so, dass Entwickler/innen mit Bezahl-Apps auf Android quasi nichts verdienen können. Wer hier nicht auf derivativen Gratis-Content mit In-App-Werbung setzt, hat leider schnell verloren. Deshalb findet spielerische Innovation im mobilen Bereich weiterhin auf iOS-Geräten statt. Sodann! Hier noch meine persönlichen Top 10 der Smartphone- und Tablet-Games 2013:
FM4 Touch & Play 2013
Die Morning-Show-Serie zu aktuellen Smartphone- und Tablet-Games.
- 2.1.: Revenge of the Rob-O-Bot
- 3.1.: Endless Road
- 4.1.: Pixel Defenders Puzzle
- 5.1.: Meganoid 2
- 6.1.: Mini Motor Racing
- 7.1.: Skee Ball 2
- 12.1.: Time Surfer
- 18.1.: Momonga Pinball Adventures
- 25.1.: Joe Danger Touch
- 2.2.: Hundreds
- 8.2.: Tennis in the Face
- 15.2.: Knights of Pen & Paper
- 21.2: Hackycat
- 23.2.: Liquidsketch
- 27.2.: Backflip Madness
- 2.3.: Penumbear
- 7.3.: Knitted Deer
- 14.3: Star Wars Pinball
- 23.3.: Ridiculous Fishing
- 27.3.: Super Stickman Golf 2
- 16.4.: Badland
- 20.4.: They Need to be Fed 2
- 24.4.: Fish Out of Water / Crabitron / Mr. Crab
- 4.5.: Spaceteam
- 10.5.: McPixel (Release 2012)
- 17.5.: Dumb Ways to Die
- 21.5.: Impossible Road
- 31.5.: 1968
- 7.6.: Little Luca
- 11.6.: Scurvy Scallywags
- 22.6.: Star Thief
- 25.6.: Way of the Dogg
- 6.7.: Greedy Dwarf
- 13.7.: Adventure of Chip
- 15.7.: Kavinsky
- 24.7.: Tiny Thief
- 9.8.: Futuridium
- 13.8.: Rymdkapsel
- 17.8.: Expander
- 24.8.: Plants vs. Zombies 2
- 29.8.: Pivvot
- 3.9.: Lub vs. Dub
- 13.9.: Space Evader
- 17.9.: Droidscape: Basilica
- 28.9.: Shadow Vamp
- 5.10.: Level 22
- 12.10.: Lost Echo
- 19.10.: Type:Rider
- 23.10.: Captain Bubblenaut
- 2.11.: Deadly Bullet
- 5.11.: Symmetrain
- 30.11. Icycle: On Thin Ice
- 3.12.: Continue?9876543210
- 12.12.: Blek
- 28.12.: Don't Shoot Yourself
Platz 10: Scurvy Scallywags
Wer hätte gedacht, dass "Monkey Island"-Erfinder Ron Gilbert mal ein Match 3-Puzzlespiel (ja, so etwas wie "Candy Crush Saga") machen würde? Natürlich ist es nicht irgendein Match 3-Puzzle sondern eines mit Piraten, lustigen Gesängen und kuriosem Artwork. So gut das Game mit seinen charmanten Details auch ist, wird es wegen des grundlegenden Spielprinzips (genau, so wie "Candy Crush Saga") nach einiger Zeit dennoch etwas anstrengend.
Platz 9: Backflip Madness
Das WTF-Game des Jahres stammt von einem polnischen Studio, das selten seine Website updated und Spiele macht, die aussehen wie wenn sie Game Jam-Newbies ohne Grafiker mal schnell zusammengekleistert hätten. Aber die Physik! Die Bewegungen! Es geht darum, mit einem Athleten Backflips zu machen. Die Steuerung ist out of this world und gerade deshalb sehr großartig. Man muss zuerst bestimmte Bewegungsstile auswählen und dann im richtigen Moment diverse Moves in der Luft machen um anschließend ohne gebrochenen Rücken heil wieder auf beiden Beinen aufzukommen. Schon jetzt ein Klassiker.
Platz 8: Symmetrain
Es ist nicht mehr als das alte "Finde die Unterschiede"-Suchbild in der Zeitung, aber hier fährt ein hübsch gezeichneter Zug durch eine Landschaft. Links muss immer wie rechts sein, und wenn das nicht so ist, tappen wir die fehlenden Gegenstände dazu. Wie viel die Präsentation und das Achten auf Details ausmacht, merkt man erst, wenn ein tendenziell langweiliges Prinzip auf ein so hohes Niveau gehoben wird. Außerdem geht mir der Soundtrack einfach nicht mehr aus dem Kopf, obwohl ich das Game gar nicht so lange gespielt habe.
Platz 7: Ridiculous Fishing
Es ist der Star vieler "Best Mobile Game of 2013"-Listen. Das visuell und spielerisch unorthodoxe "Ridiculous Fishing" vom Indie-Posterboys-Studio Vlambeer hat ordentlich Eindruck gemacht. Zu Recht: Das kuriose Fischerspiel hat eine solide Spielidee (man muss seine Angel steuern, den Fischen ausweichen, sie später einsammeln und in der Luft erschießen), viele amüsante Details und einen unaufdringlichen Shop zum Upgraden der eigenen Werkzeuge (im Wesentlichen Angeln und Waffen).
Platz 6: Captain Bubblenaut
Als Fan von Kugelrollspielen hatte Captain Bubblenaut bei mir von Anfang an einen Stein im Brett. Das Großartige ist, dass das Gamedesign genauso wahnwitzig ist wie die Grafik und die ganze Präsentation. Wir steuern eine kleine, lebende, außerirdische Kugel und müssen unseren Vater, Admiral Pop, zufrieden stellen, indem wir auf kunterbunten Abhängen viele kleine Männchen überrollen. Gesteuert wird die Umgebung, nicht der Captain direkt! Das ultimative Ziel: "Obliterate all Erflings". Mehr gibt es nicht zu sagen. Bitte spielen!
Platz 5: Blek
"Blek" ist eines der elegantesten mobilen Spiele aus 2013. Entwickelt von einem Brüderpaar in Wien, hat es für sein entschlacktes, minimalistisches und hochgradig innovatives Design für internationale Aufmerksamkeit gesorgt und den Content Award 2013 in der Kategorie Games gewonnen. Der Bildschirm besteht nur aus weißem Hintergrund und ein paar farbigen Kreisen. Wir können nun mit einem Finger eine kurze Geste zeichnen, die sich anschließend immer wiederholt. Pro Level muss diese eine Geste dafür sorgen, alle Kreise zu berühren ohne den Bildschirm zu verlassen oder einen der schwarzen Todeskreise zu treffen. So leichtfüßig und doch anspruchsvoll war ein Puzzlegame schon lange nicht.
Platz 4: Spaceteam
"Telebolt to 1!" - "Activate Trirobot!" - "Engage Aeroduster!" "Disengage Volatile Wave Tendril!" - Das launigste Computer- und gleichzeitig Gesellschaftsspiel hat völlig zu Recht auf der A MAZE. Indie Connect in Berlin den großen Preis gewonnen. Gespielt wird nicht mit dem Computer, denn der gibt nur den Spaß für die Teilnehmer/innen vor: Jede/r hat auf dem Bildschirm ein Display von einem gerade abstürzenden Raumschiff. Auf den Knöpfen und Tasten stehen kryptische Dinge, noch viel kryptischer sind aber die Anweisungen, was man tun soll und was zu drücken ist. Manchmal kann man das selbst ausführen, meistens muss man aber eine/n der Mitspieler/innen damit anweisen. "Spaceteam" ist zu zwei, zu dritt und auch zu viert spielbar. Damit ist quasi jede Party gerettet.
Platz 3: Rymdkapsel
Die Kraft liegt in der Reduktion und in der Konzentration auf das Wesentliche. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass man ein Strategiespiel mit ein paar bunten Plattformen in "Tetris"-Ästhetik sowie einigen Strichen und Blöcken so kohärent zusammenbasteln kann. "Rymdkapsel", das vielleicht frenetischste Ministrategiebiotop, das die Welt (bzw. das virtuelle All) je gesehen hat, und sein Designer Martin Jonasson schaffen das aber. Wir können unsere weißen Striche (unsere Mannschaft) mit ein paar wenigen Wischern über den Bildschirm befehligen, ob sie nun Erz abbauen, Essen besorgen oder in den Waffenraum gehen. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr und desto schnellere Feinde greifen an. Je länger wir überleben, desto besser haben wir unsere Raumstation gebaut und umso ausgereifter war unsere Taktik. "Rymdkapsel" ist kein Game, das man monatelang immer wieder spielt, aber eines, das man wegen seiner spielerischen Errungenschaft nicht so schnell vergisst.
Platz 2: Badland
Technisch und visuell aufwändige Grafik wird bei Computerspielen meist mit der neuesten 3-D-Engine gleichgesetzt. Wie atemberaubend, originär und detailverliebt aber auch eine zweidimensionale Welt aussehen kann, hat 2013 vor allem "Badland" bewiesen. Das Game sieht nicht nur fantastisch aus, sondern verfügt auch über so geschmeidige Animationen mit der dazugehörigen, ausgeklügelten Physik, dass man schon nach wenigen Minuten vergisst, dass man hier "nur" einen Endless Runner spielt. Abgesehen davon ist es ja gar kein Endless Runner (wenn schon, dann Endless Flyer), denn jedes Level hat Anfang und Ende, ist clever designt und bietet einen hohen Wiederspielwert. Man steuert eine Art fliegenden Igel, der sich in viele kleine Igel klonen kann, größer und kleiner, schneller und langsamer wird. Je mehr Klone am Schluss in die Rettungsröhre fliegen, desto mehr Ankennung gibt's. "Badland" hebt sich in Sachen Produktionsqualität auch von guten Game-Apps nochmal um ein beachtliches Stückchen ab, sowohl spielerisch als auch von der Präsentation.
Platz 1: Adventure of Chip
Früher war nicht alles besser, aber manche alten Ideen kommen immer wieder, ebenso wie der archaische Look vieler Uralt-Spiele. Spielt man aber ein durchschnittliches Retro-Spiel aus den 80er oder frühen 90er Jahren, merkt man schnell, dass die gute Idee oft an der korrekten Umsetzung scheitert. Viele alte Games waren zu vertrackt, zu unfair, zu schwer, mit zu vielen ärgerlichen Kanten versehen, die aus Spaß schnell Frust werden ließen. "Adventure of Chip" sieht auf den ersten Blick aus wie ein Spiel, das auf einem vorsintflutlichen Heimcomputer entwickelt worden ist: schwarzer Hintergrund, ASCII-Sonderzeichen, dünne Linien, abstrakte Formen. Dann tappst du auf dein Touch-Gerät und der gelbe Smiley beginnt sich plötzlich flüssig zu bewegen und geschickt wie eine Katze durch den dunklen, digitalen Raum zu springen, so dass kleine Funken sprühen. Herausfordernd ist das Spiel trotzdem, denn neben unzähligen Fallen macht einem vor allem der immer drohende, ewige Sturz ins Nichts Sorgen. "Adventure of Chip" ist ein grandioser Beweis, dass man zum geschickten Spielen weder einen Joystick, noch ein Gamepad und schon gar nicht Tastatur und Maus braucht. Und es zeigt, wie viel Potenzial in den alten, reduzierten Spielen von damals steckt. Welches Emporheben von simplen Ideen möglich ist, wenn man durch eine konsistente virtuelle Welt und dem dazugehörigen Interface-Design die Barriere zwischen Spiel und Spielendem nahezu auflöst.