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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

2. 1. 2014 - 12:15

Leben im Reagenzglas

Von stiller Auflehnung erzählt Lucas Palms kurzes Romandebüt "Weg von hier".

Adoleszenz ist ein Wort, das einem gegenwärtig selten begegnet. Um nicht zu sagen: Es scheint aus dem aktiven Wortschatz verbannt. Die Autorin Terézia Mora hat unlängst bemerkt, dass Männer kaum mehr erwachsen würden. Das mag wohl nicht nur Männer betreffen. Der mongolische Autor Galsan Tschinag, der auf Deutsch schreibt, kennt Pubertät wiederum nicht: In seiner Heimat würden Kinder durch Rituale in die Welt der Erwachsenen aufgenommen werden. Die eigentliche Adoleszenz, die Jugendjahre vor dem Erwachsenen-Leben, interessiert den jungen Autor Lucas Palm immens.

"Die Adoleszenz ist für mich das Leben im Reagenzglas. Alle Probleme, die sich früher oder später in einem Menschenleben auftun - ob mit fünfzehn, fünfzig oder 75 -, haben alle einen Vorreiter gehabt im Adoleszenzalter", sagt Lucas Palm, geboren 1988.

Lucas Palm

Julius Fahnenbruck

In Palms sprachlich überraschend reifem Debüt "Weg von hier" ringt ein Heranwachsender um eine einheitliche Identität, pendelt zwischen französischer Großmutter, Schweizer Mama und österreichischem Papa in Zürich und Migrantenfreunden. Er fühlt sich erst da, dann dort fehl am Platz. Etwas pulsiert in diesem jungen Kopf, die ständige Unzufriedenheit braucht ein Ventil. Man kann den jungen Mann schwer einschätzen. In dieser Unberechenbarkeit liegt die Motivation, als LeserIn diesem Konflikt zu folgen. Denn Palms bedachtes und großes Ausdrucksvermögen seziert die einzelnen Situationen dieses kurzen Debütromans. In einem Musikgeschäft beginnt die Hauptfigur nicht zu jobben - nein, es wird eine Lehre angefangen.

Grabenkämpfe zwischen "E" und "U"

Das Cover zum Buch "Weg von hier" von Lucas Palm zeigt gezeichnete Flipflops

Müry Salzmann Verlag

"Weg von hier" von Lucas Palm ist im Müry Salzmann Verlag erschienen und war eines der bemerkenswerten Debüts des Jahres 2013.

Mit Nick Hornbys Bestseller" High Fidelity" teilt sich "Weg von hier" nur die Schrulligkeit dieser Plattenladen-Angestellten.

Das erste Buch ist meist persönlicher, als sich das AutorInnen lange selbst eingestehen wollen. Lucas Palm hat die Schule abgebrochen, um in einem Musikgeschäft eine Lehre zu machen. In der Popabteilung hat er angefangen und fühlte sich schnell am falschen Platz.

Palms Interesse verlagerte sich rasch auf die Klassik. Das sei ihm wie ein Verrat angelastet worden, erinnert er sich. "Man wurde dazu angehalten, Klassik-Kunden gefälligst weiterzuschicken und Klassik-Recherchen nicht selber in Angriff zu nehmen", erzählt er. Das habe er sich aber nicht nehmen lassen. Eine vielversprechende Welt hatte sich aufgetan: Palm habe nur noch gelesen und Musik gehört. Von einer Aufnahme von "Also sprach Zarathustra" von Richard Strauss käme man auf Nietzsche, von Nietzsche auf Wagner, weiter auf mittelhochdeutsche Dichtungen.

"Quod scripsi, scripsi"

Die diffusen Befindlichkeiten eines Mittelschichtkindes, das sich behaupten möchte und dabei von seiner engsten Umgebung nicht richtig wahrgenommen wird, erzählt Lucas Palm genau. "Man soll sich nicht scheuen, auf der Suche nach Empfindungen zu sein", sagt Palm, der zurzeit an der Fertigstellung seines zweiten Romans arbeitet und für sich eine Poetik zurechtlegt und im nächsten Satz relativiert. Im nächsten Buch wird wieder die erste Sinnkrise, die Adoleszenz, im Mittelpunkt stehen. Als Leser hat er die Romane des Franzosen Patrick Modiano "verschlungen". Das ist ein weiterer Lesetipp.