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Elisabeth Scharang

Geschichten über besondere Menschen und Gedankenschrott, der für Freunde bestimmt ist.

31. 12. 2013 - 13:57

Konservierter Bühnenrausch

Shantel über Machogehabe, Balkan-Pop und die besten Gewürze der Welt. In einem Doppelzimmer am Neujahrstag - und darüber hinaus für 7 Tage on demand.

Doppelzimmer Spezial mit Shantel: 1.1. 2014, 13-15 Uhr

Shantel sitzt vor einer Tasse Tee mit Milch. In zwei Stunden steht er auf der Bühne im Cinema Paradiso in St. Pölten; lässt sein Publikum gnadenlos tanzen bis kein einziges trockenes Stück Stoff mehr den Saal verlässt. Der Rest des Bucovina Club Orkestars ist noch gemeinsam irgendwo in der Nähe essen, ohne Shantel.

„Wann immer es geht, koche ich selbst. Ich habe einen kleinen Aluminiumkoffer mit dabei, in dem ich meine Lieblingsgewürze aufbewahre. Das ist meine Art, gut auf mich zu schauen, wenn ich auf Tour bin. Wenn sich das nicht machen lässt, ernähre ich mich auch mal zwei, drei Tage von Müsli mit Obst.“

Shantel

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An die 200 Konzerte im Jahr spielt Shantel. 200 Partys auf der Bühne.
Wie hält man das durch?
„Nach dem Konzert bin ich meistens schnell weg. Kein Alkohol, keine Partys. Entweder ich zieh mich ins Hotel zurück oder ich setzte mich in mein Auto und fahr in Richtung des nächsten Gigs.“

Seine Wohnung hat der deutsche Musiker schon vor längerer Zeit untervermietet. Das was er braucht, liegt in seinem Auto, und den Rest findet er auf der Bühne.
„Solange es mir derart großen Spaß macht, auf der Bühne zu stehen und zu spielen, mache ich das. Es ist unglaublich, welche Energie da oben jeden Abend frei gesetzt wird! Indem ich danach meist schnell weg bin, konserviere ich diesen Höhenflug und lasse es nicht langsam auslaufen.“

Elisabeth Scharang und Shantel

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Nach dem etwas müden Anfang unseres Gesprächs, beginnen die Geschichten zu flirren. Shantel nimmt mich mit in seine Erinnerungen an die Großeltern, deren Haus er wie aus einem Fellini-Film entsprungen beschreibt. Er meint die Großeltern, die aus der Bucovina stammen, früher zu Rumänien heute zur Ukraine gehörend. Shantels Mutter ist in einem Flüchtlingslager in Österreich auf die Welt gekommen, bevor die Großeltern schließlich in Deutschland ihre neuen Zelte aufgeschlagen haben. Das Projekt des Bucovina Club Orkestars stammt aus Shantels Auseinandersetzung mit Herkunft, mit kulturellen und musikalischen Wurzeln.

„Meine Musik kann man nur aus der Diaspora heraus machen, die kann nicht in Belgrad oder in Kiew entstehen. Ich kann auch diese wunderschönen alten Lieder meiner Großmutter, diese schönen traditionellen Melodien nicht einfach so übernehmen. Ich wüsste gar nicht wie!“

Der elektronische Sound gepaart mit den Blechbläsern ist zu einer Marke geworden. Shantels Balkan Pop hat die europäischen Clubs erobert und niemand kann sich dem Sog entziehen, wenn die Musiker in weißem Ruderleiberl und schwarzer Anzughose den Rhythmus angeben.

Shantel

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Wir reisen im Gespräch weiter nach Gucca, im tiefen Serbien, wo jedes Jahr ein legendäres Trompetenfestivals stattfindet. Die besten Combos batteln dort gegen- und miteinander. Ich war selbst dort, vor einigen Jahren. Eine zweischneidige Erfahrung. Der Nationalismus kriecht schließlich zwischen den Noten hervor und die schönste Melodie wird schal, wenn man ihr kriegerische Zeilen unterschiebt.

FM4 Doppelzimmer mit Shantel

    Das letzte Doppelzimmer in diesem Feiertagstrippel gibt es am 6.Jänner zu hören; und zwar mit der Biochemikerin Renée Schröder. Die in Brasilien geborene und in Österreich aufgewachsene Forscherin ist überzeugte Atheistin, Feministin und gibt in ihrem neuen Buch "Von Menschen, Zellen und Waschmaschinen" Anstiftungen zur Rettung der Welt.