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Thomas Edlinger

Moderiert gemeinsam mit Fritz Ostermayer "Im Sumpf".

29. 12. 2013 - 23:00

Dinosaurier und Däumlinge

Performen, Bob Dylan und Miley Cyrus: Die Verhaltensauffälligkeiten des Jahres 2013.

Rewind 2013

Der FM4 Jahresrückblick

Nach dem MOMA in New York und der Tate in London ist 2014 auch Wien dran. Kraftwerk werden ihr Gesamtwerk von acht Alben als „3D-Konzertreihe“ im Burgtheater aufführen. Die Untoten entern nach den Stadien jetzt auch Museen und Theater. Pop-Dinos und Rocksaurier aus eines halben Jahrhundert, lebendig begraben in CD-Luxuseditionen, eingelegt in 180 Gramm-Vinyl-Nährstofflösungen, künstlich wiederbelebt in Reunion-Konzerten around the world. Say hello wave Goodbye, Pixies, ad multos annos Stooges, keep on rapping Public Enemy.

Hat sich die Popkultur zu Tode gesiegt? Einer, der es wissen muss, weil er seit Jahrzehnten an den Gebeinen der Counter Culture herumnagt und -nölt, hört auf den Namen Bob Dylan. Seine Bootleg-Serie ist inzwischen bei Volume 10 angelangt, und einen Orden der französischen Ehrenlegion hat der Signature-Grantler diesen November auch nicht energisch genug abgelehnt.

Dylans supersmartes, interaktives Musikvideo zu „Like A Rolling Stone“ bringt den Stand der Produktivkräfte der Popkultur auf den Punkt. Die Ausgangslage: ein Jahrhundertsong über Auf- und Umbrüche ist im us-amerikanischen Selbstverständnis eingebrannt und so zur Folklore geworden. Dylan antwortet darauf so unterhaltsam wie hinterfotzig. Im Video kann man sich nämlich durch die typische US-Fernsehwirklichkeit zappen, und alle (vom Nachrichtensprecher bis zur Soap Opera-Tussi) haben Dylans Zeilen statt ihrem realen Text auf den Lippen. Der rollende Stein ist längst angekommen in der vom Fernsehen verwalteten Welt. Jeder kann ihn sich anverwandeln - aber seine kinetische Energie erscheint stillgelegt. Fühlst du noch oder performst du schon?

Moderatoren einer Teleshopping-Sendung

bob dylan

Aus dem Video zu "Like A Rolling Stone"

Das Performen ist zu einem Schlüsselbegriff der Gegenwart geworden. Ob in der neueren Kunst, in der Feedbackrunde im Büro, beim Tränentrubel im Fernsehen oder beim Torjubel im Fußballstadion: Alle stellen sich oder ein Bild von sich dar. Sogar die Börse macht mit und gaukelt eine gute Performance vor. Besonders gut selbstdarstellen können sich die Däumlinge, wie der greise Michel Serres liebevoll die vernetzte Generation seiner Enkel und Urenkel nennt. Die Däumlinge ballern Tonnen von Selfies von Smartphone zu Smartphone und betteln um Liebe, die heute Like! heißt. Dabei entsteht kein neues Kollektiv, sondern eher ein Konnektiv zwischen Daten und Daumen, Außen und Innen, Welt und Selbst.

Manchmal aber geht sogar in der schönen neuen Welt der konnektiven Selfie-Beobachter etwas schief. Wir ahnen, dass das Verlangen nach dem großen Auftritt im Rampenlicht nicht von realer Beachtung, sondern eher von gesellschaftlicher Bedeutungslosigkeit, sozialer Deklassiertheit und politischer Apathie kündet. Das narzisstische Selbst, das Role-Model für Celebrities, Topmanager und Ghettorapper, taumelt zwischen der Suche nach der Bestätigung der eigenen Grandiosität und depressiven Verstimmung. Oft hängt es in den Seilen, dann zieht es wieder in den Ring. Wo sind die Nummern-Girls, wo sind die schmachtenden männlichen Fans?

NSA, Datamining und der gläserne Konsument sind gewiss große Probleme. Angesichts des Schrei nach Like! werden sie oft ganz klein. Wieso soll mich das kalte Interesse an meinen Daten kümmern, wenn sich sonst niemand für mich interessiert? Denn das ist die schlimmste Strafe: ein Leben zu führen, dass nicht einmal überwachungswürdig ist.

Get Lucky

Der britische Musikkritiker und Autor Mark Fisher erinnert in seinem Buch „Kapitalistischer Realismus ohne Alternative?“ daran, dass der psychische Defekt keine Privatsache ist, sondern zu ihr gemacht wurde. Boom- und Depressionshasen des Kapitalismus könne man durchaus als bipolare Störungen begreifen, als Changieren zwischen überdrehter Manie und harter Landung: Get Lucky! Ohne Delirium, behauptet Fisher, kann der Kapitalismus nicht funktionieren. Dessen Ausdruck finde man in den Persönlichkeitsstrukturen der Gegenwart.

Zum Beispiel bei Miley. Alle lieben Miley Cyrus, der Rest hasst sie. Wird sie wieder einem Teddybären an die Wäsche gehen? Wird sie Testimonial für eine Fetisch-Modelinie von Hello Kitty? Bei den MTV-Awards in Amsterdam gab sie wieder ordentlich Stoff. Miley stakste in weißem Pelz, High Heels und bis über die Hüften gezogenem Body auf die Bühne, holte sich ihren Preis ab und fischte dann in ihrer Handtasche nach einem offensichtlichen Joint. Und dann zündete sich die junge Frau (zu diesem Zeitpunkt war sie gerade noch nicht 21 Jahre alt!) das Ding an. Und paffte voller diebischer Freude: „Ich habe es gemacht, weil ich wusste, dass die Fans in Amsterdam es lieben würden“.

Miley Cyrus

MTV

Die Handykameras blitzten und machten Selfies mit Miley im Hintergrund: Ich war dabei! Alle hatten den Skandal, den keiner skandalös findet. Es war ein Popmoment 2013, wie er trauriger, stumpfer und ernüchternder kaum sein könnte. Wahrscheinlich wird die erwachsene Miley Cyrus nach Lady Gaga noch ihr eigenes „Artpop“-Album machen müssen, in dem sie uns erklären wird, dass Twerken und Teddybären irgendwas mit total subversiver Kunst, zum Beispiel mit Jeff Koons, zu tun haben.

Mark Fishers Frage aber bleibt damit ungelöst: Warum können wir uns zwar das Ende der Welt, aber nicht das Ende des Kapitalismus vorstellen? Was den Kontroll- und Schnüffelwahn anlangt, wäre wenigstens eine Gleichheit der Waffen wünschbar. Alles soll im Weltknast einsehbar werden, die Zerstörung der Privatsphäre muss radikal demokratisiert werden. Auch der militärische Entertainmentkomplex muss lernen, dass die eigene Schnüffelei nachvollziehbar und damit zum Risiko wird. Zum Bild des gläsernen Menschen gesellten sich dann das der gläsernen Institution und das des gläsernen Unternehmens.

Nautilus Flugschrift

Die andere Alternative lautet: unsichtbar werden, abtauchen im Deep Net, vom Radar verschwinden wie die paranoiden Drifter bei Thomas Pynchon. Nicht ohne Grund nennt sich eine französische Politgruppe, die vom Aufstand schreibt, „Unsichtbares Komitee“.

Der Hamburger Autor Hans-Christian Dany kündigte im Herbst 2013 an: „Morgen werde ich Idiot“. Idiot werden heißt hier erstens klug verblöden. Nichts Aneigenbares mehr zu kommunizieren, auch wenn das mit dem Nicht-Kommunizieren bekanntlich keine einfache Sache ist. Und zweitens bedeutet Idiot werden Privatmann im altgriechischen Sinn werden - als Konsequenz davon, dass sich die Hoffnung auf die Öffentlichkeit in der Postdemokratie ohnehin erledigt hat. Werde Teil der idiotischen Asozialität, wirbt Dany. Es geht nämlich auch anders.

Vielleicht.