Erstellt am: 29. 12. 2013 - 09:00 Uhr
Vorsichtiger Optimismus und Hyazinthen
Weihnachten ist überstanden, das alte Jahr ist fast vorbei und das neue hat noch nicht angefangen. Keiner arbeitet so richtig zwischen den Jahren, alles Bürokratische, das erledigt werden müsste, bleibt liegen und so wartet man im Stand-By-Modus auf das neue Jahr.
Über Weihnachten war es sehr ruhig und leer in Kreuzberg, aber zu Silvester kommen alle wieder. Die übliche Silvesterhysterie scheint dieses Jahr etwas abgemildert - zwar berichten alle Zeitungen und Stadtmagazine unter der großen Schlagzeile “ Wohin an Silvester? “ über die 10.000 Möglichkeiten sich ins Gedränge zu stürzen - aber das hektische Endjahrestelefonieren: „Was machst du an Silvester?“ bleibt dieses Jahr aus. Die Vorausschauenden haben den Abend längst geplant und die Gewieft-Opportunistischen sagen überall so halb zu, um nicht das beste Partyangebot, dass sie sich in letzter Minute erhoffen, zu verpassen.

APA
Der Rest hat Kinder und Hunde und Katzen, die gehütet werden müssen. Ganz Fürsorgliche bringen ihre empfindlichen Tiere außerhalb Berlins in Sicherheit. Dabei wird die Knallerei doch jedes Jahr weniger - was aber wie eigentlich alles in Berlin mit der Gentrifizierung zu tun hat. In Kreuzberg hatte vor zehn Jahren noch jeder zweite Jugendliche einen türkisch-arabischem Migrationshintergrund und war sehr am Zündeln und Knallern interessiert. Nun wohnen immer weniger Migranten in Kreuzberg, die sanierten Wohnungen sind von langweiligen Akademikerpärchen besetzt - und da ist man zu vernünftig, ökologisch und zu fein zum Silvesterknallern.
Bei den jüngeren Partyleuten hat sich sowieso die neue Mode durchgesetzt, es an Silvester ruhig angehen zu lassen, weil da eh nur Idioten unterwegs sind. Die coolen Ausgehleute tauchen erst zur After Hour am 1. Januar nachmittags in den Clubs auf und feiern dann bis zum zweiten oder dritten Januar durch.
Wer an Silvester mal einfach alleine zu Hause geblieben ist, der ist für immer von der Hysterie befreit, denn er hat erfahren, was man vorher bereits ahnte: Es ist ein Abend wie jeder andere. Es stimmt noch nicht mal besonders melancholisch oder bedeutungsvoll alleine zu Hause zu bleiben. Es ist voll easy und Feste gibt es im neuen Jahr ja auch noch genug.
Die Blumenläden lassen langsam ihr winterliches Sortiment - Weihnachtkakteen, Weihnachtssterne, Tannenzweige - auslaufen und stellen auf Hyazinthen im Glas und andere erste Frühlingsboten um. Bei frühlingshaften Temperaturen um 12 Grad waren die letzten Tage ja auch recht warm. Manche frohlockten schon, der Berliner Winter sei überstanden. Das könnte sich aber als Trugschluss erweisen. Denn die sibirische Peitsche, auch Russenpeitsche genannt, erreicht mit ihrer Kaltluft Berlin gern im Januar und Februar und so kann uns im neuen Jahr wochenlanger Dauerfrost bei Temperaturen von minus 15 Grad blühen.

christiane rösinger
Wer allerdings von der neuen schrecklichen Krankheit SAD (saisonal abhängige Depression, englisch: seasonal affective disorder, abgekürzt SAD ) betroffen ist - früher als Herbst-Winter-Depression oder Winterblues bekannt, der kann ein bisschen aufatmen: Die Tage werden wieder länger!
Gottseidank! Haben doch neue Untersuchungen gezeigt, dass der Mangel an Licht auch die Hirnleistung verschlechtert - der Winter macht also nicht nur traurig und müde, sondern auch dumm. Kognitive Beeinträchtigungen wie etwa eine Gedächtnisschwäche sind Folgen des Lichtmangels!
Aber damit ist jetzt Schluss! Wer nur an einer leichten Form von SAD leidet, kann durch eine kostengünstige Lichttherapie die Durchblutung im Gehirn und die Transmitterfunktionen anregen. Eine halbe Stunde Bewegung in Licht und Luft reichen aus.
Mit diesen hoffnungsvollen Gedanken können wir also getrost ins neue Jahr gehen, dazu wie immer mit einem vorsichtigen Optimismus und einer Hand voll positiver Grundannahmen: Es ist nicht alles schlecht, wir kommen schon irgendwie zurecht, es könnte schlimmer sein, das Leben ist doch manchmal ganz schön.