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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

27. 12. 2013 - 21:32

The daily Blumenau. X-Mas Holiday Edition I, 27-12-13.

Reformchristen, Gebotsbefolger, Abendländler, Pharisäer und warum alles angesichts des neuen Papstes noch peinlicher ist.

Seit der Nationalrats-Wahl online: der Versuch das Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Und das mit Items aus diesen Themenfeldern.

#weihnachten #religion #kirche

Ich habe ja Glück. Meine Verwandten am Land sind keine Kirchgänger, mit denen man zwangsläufig jede Weihnachtsferien über das Gretchen-Thema herumstreiten muss. Ich weiß, anderen geht es da viel schlechter.

Dass sich die fundamentalistischen Christen heuer in meine Weihnachtszeit hineingeschummelt haben, liegt also nicht an lokalen Predigt-Verheerungen (ich hatte ein mittels Fön durchs Tal schallendes halbstündiges Weihnachtslieder-Special der örtlichen Blaskapelle; in angemessener Besinnlichkeit) oder aufpoppenden Fragen wie die nach der Geschichte von Weihnachten oder dem Ursprung des Christkinds (wo man ja automatisch im Schisma landen muss oder im besten Fall feststellt, dass Religion ohne Amtskirche eine lässige Sache wäre), sondern an zu vielen öffentlichen Äußerungen in den Tagen davor.

Da war nicht nur das tief in die bergvölkische Seele blickenlassende Beschwörungsformel eines neuen Ministers, sondern auch gleich eine ganze Parteigründung; wieder einmal eine auf dem Rücken der Werte, diesmal nicht der Stronach'schen (die offensichtlich eine Tochter der Zeit sind; ab Februar dann wieder sehr wurscht), sondern die christlichen.

Ich tu mir da als nicht praktizierender Protestant, als Sohn einer Katholikin und eines nie irgendwo dabei gewesenen Vaters ohne Bekenntnis, recht leicht. Ich wurde nie indoktriniert, mir fehlt das katholische Schuldbewusstsein, diese Selbstgeißelung ebenso wie das katholische Bewusstsein, sich Ablasshandel-mäßig eh von allem freikaufen zu können, mir fehlt auch die protestantische Work Ethic der Skandinavier oder des nördlichen Teils der nördlichen Nachbarn - mir sind die Riten der christlichen Religionen genauso fremd wie jüdische oder muslimische Handlungen. Mir kommt vor, dass allerorten Übersprungs-Handlungen dominieren, dass die Religion meist als Substitutions-Droge eingesetzt wird.

Mir kommen, bei dieser etwas distanzierten, religionstechnisch entideologisierten Betrachtung, diese christlichen Werte als im eigentlichen Wortsinn unchristlich vor. Klar reklamiert das reaktionäre Lager den Katholizismus an sich gerne für sich, vor allem in Österreich, wo der Klerikalismus mit dem nationalkonservativen Lager ja bereits einige (historisch höchst unheilige) Bündnisse eingegangen ist, bis hin zur Schaffung des einzigen faschistischen Regimes Europas mit christdemokratischer Beiteilung; denn die Politpraxis zwischen diktatorisch und demokratisch trennt oft nur ein dünner Faden.

Der Ex-BZÖler und langjährige Haider-Begleiter Ewald Stadler hat (gemeinsam mit den fundamentalistischen CPÖ und der im Neos-Strudel abgesoffenen JES) anlässlich seiner für die EU-Wahl gegründeten Partei der Reformkonservativen (neusprechlich: die Rekos) ganz konkret die christliche Wertordnung und ihre Bedeutung als Fundament des Abendlandes betont.
Das Abendland umfasst nun nicht einmal ganz Europa, schließt Süd- und Osteuropa, auch das christliche, schon einmal aus, hat aber auch nix mit dem protestantischen Norden zu tun. Den sonst bei dem Rechtsaußen-Ideologen verwendete Begriff des jüdisch-christlichen Abendlandes vermeidet Stadler ebenso bewusst. Weshalb auch die europäischen Grenzen dicht gemacht werden sollen, ja müssen.
Dann gibt es noch zwei Säulen: die Familie (ist staatstragend) und das freie Eigentum als Basis für den freien Menschen.

Das ist angesichts der Rechtaußen-Herkunft von Stadler und seines Berufs (er ist Anwalt, also eigentlich Anwaltsanwärter, ein Begriff, den es nur in Österreich zu geben scheint, aber zumindest kein Anwalts-Praktikant) logisch und klar - bloß wie vereinbart sich/man das mit den Lehren des Christentums?

Steht das mit dem freien Eigentum irgendwo so in der Bibel? Oder war es dem Heiligen Buch nach Jesus Christus, der Stadlers Amtsvorgänger aus den Hallen des Tempels trieb? Steht die dauernd als katholischer Wert vor sich hergetragene Sache mit der Familie als Keimzelle in der Bibel? Oder lässt sich die Herkunft-Familie von Jesus als Patchwork-Familie (zwei Väter!) bezeichnen und die Apostel-Gang als Kommune? Ist das Aussperren von Notleidenden und Emigranten in der Bibel Pflichtaufgabe oder wird es, quasi gegenteilig, mit der Geschichte der (noch dazu weihnachtlichen) Herbergssuche als zentrale christliche Tugend angegeben?

Immerhin hat Stadler, anders als sein sehr sehr katholischer Kollege, der neue Landwirtschaftsminister Rupprechter, wenigstens nicht damit angegeben sich immer an die 10 Gebote zu halten. Die erste Sünde hat Rupprechter schon gestanden: Einmal habe er nicht ÖVP, sondern grün gewählt. Hui.

So sehr dieser Fauxpas Rupprechter ehrt, weil er 1986 damit - mitten in einer übel aufgeheizten Atmosphäre - durchaus mutig gegen Kurt Waldheim gestimmt hat: Ein Politiker muss zwangsläufig notlügen oder am Sabbat bzw. am Tag des Herrn arbeiten; er wird falsch Zeugnis wider seinen Nächsten (dem politischen Gegner) reden und dessen Haus begehren - so wahr ihm Gott und das Herz Jesu helfe.
Am Bruch einiger der zehn Gebote kommt der moderne Mensch in der Konkurrenz-Gesellschaft, vor allem der Politiker, gar nicht vorbei - weil diese archaischen Regeln ja auch nicht für ihn gemacht wurden, aber von einer verbiesterten Amtskirche nie modernisiert wurden.

Es ist also unsinnig zu behaupten das schaffen zu wollen. Und selbst zu behaupten jede moralische Übertretung zu beichten, ist genauso daneben: denn niemand kann bei sich selber mit den dauernden Übertretungen buchhalterisch schritthalten.
Es ist also eine regelrechte Anmaßung zu behaupten, man könne und würde die zehn Gebote einhalten. Und ich muss die Bibelfesten (und auch die, die sich nur bruchstückhaft entsinnen) nicht daran erinnern, wie Jesus Eiferer und Frömmler dieser Sorte verbal durch Sonne und Mond geschossen, bzw. - das hatten wir schon - aus dem Tempel gejagt hat. Denn niemand war Gottes Sohn verhasster als die, die von sich behaupteten, den wahren Glauben vor sich her zu tragen; Jesus waren die Zweifler, die Unzufriedenen, jene, die mit sich ringen mussten, tausendfach lieber als die Bigotten, die Pharisäer, die Heuchler, die die alten Schriften immer zu ihrem Vorteil und ihrem Geschäftsinteresse ausgelegt hatten.

Mit den Frömmlern, die das wahre Christentum auf ein europäisches Abendland, also noch eine Festung innerhalb der eh schon zur amoralischen Festung ausgebauten EU ausbauen wollen, hätte der Jesus des Neuen Testaments seine Freude gehabt - ihren bigotten, selbstgefälligen Ansatz hätte er mit einem Kurzgleichnis im Ansatz zertrümmert.

Natürlich sind die biblischen Geschichten, in denen Jesus als zündender Furor auftritt, für heutige Verhältnisse allesamt zu radikal. Im Umgang mit Religiosität hat sich (und da ist auch der radikale Islam und seine vorsintflutliche Interpretation des Koran schuld) eine Betulichkeit und eine Zaghaftigkeit etabliert, die so spannend sind wie Reverend Lovejoys Predigten

Das liegt auch darin begründet, dass sich außerhalb der radikalen Rechten niemand mehr mit diesen Themen beschäftigt. Die hiesigen Christdemokraten tun so, als würde sie das nix angehen, und die Reform-Christen (z.B. die Bewegung um Schüller) verliert sich in Amtskirchen-Interna, anstatt gesellschaftlich relevante Fragen zu stellen. So bleibt die Caritas, die eigentlich einen ganz anderen Job hat, die einzige diskurstreibende katholische Stelle in Österreich.

All das ist vor allem deshalb interessant, weil seit ein paar Monaten ein unmerklicher Reformpapst sein Amt angetreten hat; ein Argentinier, der trotz möglicher problematischer Beziehung zur alten Junta seines Landes, die lateinamerikanische Tradition der Befreiungs-Theologie mehr als geprägt hat; der also einer Lehre folgt, die in fast jedem Detail den Vorstellungen, die Österreichs Parade-Christen in den jüngsten Tagen offenbart haben, in selbige (also die Parade) fährt.
Dieser Papst akzeptiert andere Lebensgemeinschaften, predigt das Gegenteil eines Raffe-Schaffe-Häusle-Baue, behauptet nicht sündenfrei zu sein und fährt nach Lampedusa, um die Festung Europa (nicht die eines virtuellen Abendlandes dahinter) anzuprangern.
Dieser Papst ist das (öffentliche) Gegenteil eines Frömmlers, der sein Christentum für politische Zwecke missbraucht, sondern einer, der an der Seite Jesu den Tempel von jenen Geschäftemachern und Wichtigtuern befreit hätte, die mit ihrer Version des Katholizismus den Glauben hierzulande in einer Geiselhaft halten, den die Grundidee dieser Religion wahrlich nicht verdient hat.

Dass es hierzulande bis auf die erwähnte Caritas keine Entsprechung, keine gesellschaftliche Kraft gibt, die einen solchen zeitgemäßen Ansatz in eine politische, wahrhaft christlich-demokratische Ideologie überführt, ist angesichts der bürgerlichen Sonntagspredigten, der zynischen Doppelmoral der lokalen Machthaber und der an jeder Realität vorbeilebenden Amtskirche eine logische, aber tieftraurige Realität.