Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Gerhard Roth im Doppelzimmer"

Elisabeth Scharang

Geschichten über besondere Menschen und Gedankenschrott, der für Freunde bestimmt ist.

25. 12. 2013 - 14:02

Gerhard Roth im Doppelzimmer

Über das Wunderbare im Bösen und die Geheimnisse im Alltäglichen. Ein Doppelzimmer mit dem österreichischen Schriftsteller Gerhard Roth am 25.12.

Gerhard Roth ortet im Alltäglichen die Geheimnisse, die es lohen, einen zweiten und dritten Blick darauf zu werfen. Er fotografiert Mauerflecken an Hauswänden; löst sie heraus und lässt sie zu Landkarten einer Stadt werden, die er seit fast dreißig Jahren ober- und unterirdisch durchstreift. Diese Expeditionen durch Wien, die Gerhard Roth in dem Essayband "Die Stadt" gebündelt hat, führen mitten in die Seele, die Sprache und die Geschichte von Wien. Neben den oft pikanten historischen Details sind es vor allem die Menschen, auf die Gerhard Roth bei seinen Entdeckungsreisen trifft, mit denen man selbst gern ein paar Wörter würde wechseln wollen.

Gerhard Roth mag Menschen. Er gehört zu jener Künstlergattung, die Empathie als Öl und nicht als Sand im Getriebe des kreativen Prozesses sieht. Auch wenn er die Lebensgeschichten der Menschen, denen er zuhört, danach filetiert und sie in Fragmenten in seinen Geschichten und Romanen wieder auftauchen.

„Ich mag nicht über etwas schreiben, das ich nicht kenne. Wenn ich über das Leben im Gefängnis oder über das Leben als Blinder schreibe, dann möchte ich mir einen Einblick verschaffen.“

Gerhard Roth

Radio FM4 / Claus Pirschner

Wir treffen uns für unser Gespräch in seinem Bücherzimmer am Wiener Heumarkt. Die Wände verstecken sich hinter hunderten von gedruckten Gedanken und Geschichten. Gerhard Roth erzählt über seine Familie. Den Vater, dem Arzt, der als NSDAP-Mitglied und Soldat während des Krieges im Lazarett gearbeitet hat und dessen Chirurgenlaufbahn im Zuge der Entnazifizierung nach 1945 beendet war. Er hat sich als Landarzt in der steirischen Provinz durchgeschlagen; für Lebensmittel als Gegenleistung, die der kleine Gerhard in einem Rucksack an den Alliierten vorbeibringen sollte. Die politische Haltung seines Vater war für Gerhard Roth lange kein Thema, es war ein Besuch im Kino, der im die Augen geöffnet hat.

„Ich hab als 16jähriger den Dokumentarfilm über den Nürbergerprozess gegen Kriegsverbrecher wie Eichmann gesehen. Ich hab meinen Vater zu Rede gestellt und das Schlimmste war seine unpolitische Haltung. Er war ein Mitläufer. Das ist bis zu seinem Lebensende zwischen uns gestanden.“

Gerhard Roth

Radio FM4 / Claus Pirschner

Gerhard Roth wird sehr früh Vater. Noch bevor er die Matura in der Tasche hat. Mit seiner ersten Frau, die drei Jahre älter ist als er und damals Schauspielschülerin war, bekommt er insgesamt drei Kinder. Er schmeißt das Medizinstudium hin, das er auf Wunsch seines Vaters begonnen hat, nimmt einen Brotjob im Rechenzentrum in Graz an und er schreibt. Meistens in der Nacht. Nachdem sein zweiter Roman erscheint, zieht er einen Strich unter sein bisheriges Leben. Da ist er Anfang dreißig.

Er kündigt den Job, zieht mit seiner heutigen Frau Senta in die Südsteiermark in ein kleines Haus ohne Strom und ohne Wasser im Haus. Und er beginnt mit seinen Streifzügen. Während Senta die Woche über in Graz arbeitet, durchforstet er das Land nach den Geschichten seiner Bewohner.

„Ich wollte zwei Bücher über dieses größte Menschheitsverbrechen Nationalsozialismus schreiben. Eines über die Stadt und eines über das Land. Daraus sind 14 Bücher geworden.“

Gerhard Roth in einem Doppelzimmer am 25.12. von 13 bis 15 Uhr.

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