Erstellt am: 26. 12. 2013 - 11:35 Uhr
As fabulous as it gets!
I love drama. I love gossip. The drama should involve other people, not me. Gossip, on the other hand, can well be about me, and it doesn't matter if it's negative or positive. Like Oscar Wilde said: "There is only one thing in life worse than being talked about, and that's not being talked about."
So schreibt Denice Bourbon in ihren Memoiren, mit dem Titel "Cheers! - Stories of a Fabulous Queer Femme in Action" Die Frage, die sich noch vor dem Lesen aufdrängt: Wie kann mensch bitte mit 37 seine/ihre Memoiren schreiben? Wie viel an Erlebnissen hat mensch da schon vorzuweisen, wie viele wirklich gute Geschichten erlebt? Denice Bourbon beweist mit "Cheers": es geht. Und sie beweist das ziemlich eindrucksvoll.
Daniel Gottschling
Aber vielleicht sollte ich vorab erklären, wer Miss Bourbon überhaupt ist. Denice Bourbon ist - unter anderem - Sängerin, Burlesque-Performerin, DJ, an.schläge-Kolumnistin und Entertainerin im weitesten Sinne. Ihr eigentlicher Plan war, so erklärt sie, als Erwachsene ungefähr so bekannt zu sein wie Madonna. Der Plan ist noch nicht umgesetzt, aber in der queeren Szene in Wien ist Denice eine fixe Größe, oder wie sie so schön sagt, sie ist "famous in her own backyard". Was man vielleicht auch erwähnen sollte: sie kommt ursprünglich aus Schweden und hat ihr Buch auf Englisch geschrieben.
She tells it all
Zaglossus Verlag
Der Pressetext zum Buch verspricht "She tells it all" und das ist wahrlich nicht übertrieben. Denice tischt alles auf: Exbeziehungen werden aufgearbeitet und (betrunkene) Aufrisse, erfolgreiche wie spektakulär danebengegangene, gelungene Bettgeschichten und gescheiterte Lieben.
Anders als bei Autobiografien üblich, steigt Denice bei vielen Geschichten gar nicht besonders gut aus. Während die meisten von uns versuchen, Gras über unschöne Aktionen wachsen zu lassen, hat sie Denice aufgeschrieben und veröffentlicht - allerdings nicht ohne sich beim Schreiben am liebsten unter dem Tisch zu verkriechen.
Wir erfahren, wie sie eine Mitbewohnerin, die am nächsten Tag eine Prüfung hat, um fünf Uhr früh aufweckt, um die Telefonnummer eines Love Interests herauszukommen, wie sie mit Freundinnen Schluss macht, indem sie vor ihren Augen mit der Neuen rumknutscht und ähnliches mehr. Also viel Gossip und Gschichtln, alle Beteiligten kommen mit echten Namen und teilweise mit Foto vor, denn Denice stellt schon im Vorwort fest "there are no innocent people".
Auch in Sachen Sex/Gender und sexuelle Orientierung kann man bei Denice noch etwas lernen, was im Gender Studies-Theorieseminar vielleicht zu trocken rüberkam. Sie denkt über Schubladen nach und wie sie selber einfach nicht in die "Lesbisch-Sein ist soundso"-Vorlage passt. Schon allein deshalb, weil sie Glamour, Highheels und Schminke liebt, aber auch, was es für ihr Lesbischsein heißt, dass sie mit einem Transboi zusammen ist.
Das ergibt zusammen mit Lebensweisheiten und Selbsthilfe-Ratschläge für Sex über Sich-Akzeptieren bis Diva-Style ein schönes Rundum-Paket.
Teil einer Jugendbewegung
Vielleicht fragt ihr euch jetzt: Warum aber sollten mich private Geschichten einer Wiener Szenediva interessieren? Ich würde darauf antworten: Weil es um viel mehr geht, als das.
Es geht um eine Kindheit/Jugend als Arbeiterkind im ländlichen Schweden. Um den Wunsch rauszukommen, der grauen gleichförmigen Existenz Glamour und Stardom entgegen zu setzen:
When I was six years old I decided that I wanted to be a star, and that was when I started to dress like one, fishnet stockings included (I had an awesome mum, who let me wear what I wanted AND bought it for me!) I see photographs of a girl not identifying with other children at all, since they were so unsophisticated, had no Technicolor ambitions and were just plain childish.
Das Kind, das schon mit sechs erwachsen war, musste noch einige Zeit warten, um endlich das zu tun, wofür es eigentlich geboren ist. Im Fall von Denice heißt das diverse Bands gründen und sich in Subkulturen herumtreiben. Sie erzählt davon, wie sie als einziges Mädchen mit den Punk-Jungs Pogo tanzt, wie die Goth-Mädchen im Bandkeller die Jungs anhimmeln, aber - Gott bewahre - nicht selber Musik machen. Danach das "lesbische Erwachen", coming out und das Zurechtfinden damit. Außerdem: Aktivistinnen-Jahre bei der Antifa und in einer selbstgegründeten radikalfeministischen Aktionsgruppe.
Der Zaglossus Verlag hat übrigens einen Youtube-Channel angelegt, dort gibt es Songs von einigen Bands, in denen Denice dabei war, gesammelt zu sehen.
Dazu liefert Denice den Soundtrack der Zeit und erzählt von ihren eigenen Bands: Mit 15 gründet sie zum Beispiel "Zilch", die man vielleicht sowas wie Riot Grrl zurechnen könnte. Später "Those Pityful Men" (Schreibfehler inklusive) die in Aktivistinnenuniformen mit dem Song "Bitches in Rage" gegen das Patriarchat anschreien. Schon in Wien gab es dann das Country-Projekt "Bonanza Jellybean", wo Denice das Sich-Ausprobieren und Geschichtenerzählen auf der Bühne lernt.
Alles, nur nicht straight
Was Denice bei allem was sie tut am wichtigsten ist: sie will bloß nicht als straight erscheinen. Und straight geht hier weit über die sexuelle Orientierung hinaus. Es heißt nicht Teil der "normalen" Gesellschaft zu sein. Sei es die dem Brotjob, angepasste ("beige!") Kleidung, die richtige Figur (schlank natürlich) oder das Absolvieren des Kind-Haus-Baum-Traums.
"Cheers" ist ein Zeitdokument der queeren Szene im Wien der Nuller Jahre und verschiedener Subkulturen der Neunziger Jahre. Nicht repräsentativ, sondern streng subjektiv. Im Sinne des Slogans der Frauenbewegung "Das Private ist politisch" könnte man sagen, es ist eine queer-feministische Frauenbiografie, die vielleicht nicht typisch ist, die aber als einzelne Geschichte für eine Generation stehen kann.
Noch ist Denice nicht so berühmt wie Madonna, aber vielleicht klappt es mit diesem Buch!