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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

18. 12. 2013 - 17:59

Welle der Kritik am Freihandelsabkommen TTIP

Die dritte Verhandlungsrunde wird von einem wahren "Shitstorm" im Netz begleitet. Auslöser waren abfällige Äußerungen der Kommission gegenüber Konsumentenschützern.

Seit Montag läuft die dritte Runde der Gespräche zum transatlantischen Handelsabkommmen (TTIP) zwischen den USA und Europa in Washington. Wie davor wird auch diese Runde hinter verschlossenen Türen abgewickelt und wie zuvor gab es zum Auftakt gleich einmal ein Leak. Dessen Inhalte und die abfällige Reaktion des Sprechers der EU-Kommission John Clancy über die Kritiker des Abkommens am Dienstag lösten dann einen "Shitstorm" im Netz aus, der noch immer andauert.

Update 20:10
Die Story wurde unten um Informationen zum noch laufenden "Stakeholder-Meeting" ergänzt

Der veröffentlichte TTIP-Text enthält die Vorschläge zur Gestaltung der künftigen Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA. Bekanntlich sollen ja die für das Abkommen prognostizierten Mehreinnahmen von jeweils etwa 100 Milliarden Euro pro Jahr durch Angleichung von Regulationen und Normen kommen. John Clancy, Pressesprecher der Kommission, hatte das Papier als "ohnehin bekannte Position" der EU heruntergespielt und die Konsumentenschützer von CEO, die das Dokument veröffentlicht hatten, als "Feinde des Handels" abqualifiziert.

"Handelshemmnisse beseitigen"

Zum Auftakt der zweiten Runde, die Mitte November ebenfalls in Washington über die Bühne ging, hatte EU-Justizkommissarin Viviane Reding davor gewarnt, Datenschutz als "Handelsbarriere" in dieses Handelsabkommen einzubringen. Datenschutz sei ein Grundrecht und damit nicht verhandelbar.

Aus dem vierseitigen Dokument geht eines der Motive hervor, warum die Kommission das Abkommen so vehement anstrebt. Bei dieser Handelspartnerschaft kommt іhr eine absolute Schlüsselrolle zu. Der Ansatz ist, dass die Kommission und das US-Handelsministerium in Zukunft bereits Verhandlungen aufnehmen, noch bevor EU-Verordnungen oder Richtlinien beschlossen werden. Neue Handelshemmnisse sollen so gar nicht erst entstehen, heißt es dazu offiziell.

Auf Anfragen soll jeweils "so schnell wie möglich" ein Dialog aufgenommen werden, EU und US-Standards sollen - wo immer es geht - als "äquivalent" erklärt werden. Abwickeln soll das alles eine gemeinsame, "schlanke Verwaltung" ("light governance structure").

Am Beispiel Grenzwerte

Wenn die EU-Kommission also vorhat, neue Grenzwerte bei Feinstaub zu erlassen, dann wird Handelskommissar Karel de Gucht erst einmal mit seinem US-Gegenpart den Dialog aufnehmen. Wenn diese Grenzwerte als Handelshemmnis erkannt werden, dann tritt in Folge ein "schlankes" Schiedsgericht zusammen.

Die Aussendung der EU-Kommission, die Reaktion der Konsumentenschützer Corporate Europe Observatory ѕowie das geleakte TTIP-Dokument

Dies geschieht alles hinter verschlossenen Türen, wie auch Entscheidungen dieses "Regulativen Kooperationsrats" nicht öffentlich sind. Und all das soll passieren, bevor das EU-Parlament vom Vorhaben der Kommission überhaupt informiert wird. Sehr wohl von Beginn an informiert sind jedoch die Interessensvertreter der Industrien, die sitzen auch in Washington gerade wieder mit am Verhandlungstisch. Hinter verschlossenen Türen, denn effizient sind diese Lobbys nur "in Camera".

Dan Mullaney, on the left, and Ignacio Garcia Bercero

European Union, 2013

Dan Mullaney, links, und Ignacio Garcia Bercero

Probleme mit der Öffentlichkeit

Mit der Öffentlichkeit tut man sich beim Kommunizieren allein schon deshalb schwer, weil man ihr eigentlich nichts sagen will. Und jetzt erst recht nicht mehr, nachdem abfälligen Äußerungen seitens des Kommissionsprechers das ihrige zu einem TTIP-Shitstorm beigetragen haben.

Keineswegs Satire, sondern völlig ernst gemeinte Information der Öffentlichkeit: "15 Corgis mit einer Nase fürs Geschäft"

Auf Twitter, wo die Matches um derlei Abkommen mittlerweile ausgetragen werden, hatten die Proponenten des Abkommens mit einer allmorgendlichen Orgie von wechselweisen Glückwünschen zu den Fortschritten versucht, Stimmung zu machen. Den Vogel dabei schoss die britische Vertretung in Washington ab, die in einem Bilderstrip von putzigen Corgis erklären lässt, warum TTIP für jede Durchschnittsfamilie so wichtig ist. Das ist in etwa das Niveau, auf dem die Befürworter öffentlich argumentieren.

Billiges Fracking-Gas

Warum ist man bei dieser überwältigenden negativen Reaktion der breiten Öffentlichkeit dann beiderseits des Atlantiks so auf das Abkommen erpicht? Weil nämlich im Zentrum der Verhandlungen ein ganz konkretes Wirtschaftsgut steht, über das die USA verfügen und für das sie den bestmöglichen Erlös erzielen wollen.

Das Hauptmotiv für die TTIP-Verhandlungen sind bis zu 170 Millionen Kubikmeter Erdgas, die in den USA bis 2020 durch immer aggressivere Fracking-Methoden täglich gefördert werden. In den USA ist der Gaspreis dadurch so stark gefallen, dass er nur noch die Hälfte des Nordseegases beträgt.

Die USA haben sich durch Fracking in kürzester Zeit von einem Gasimporteur in ein Exportland verwandelt und nun verhandelt man, in welche Weltgegend bevorzugt exportiert wird. Zu diesem Zweck läuft parallel zu TTIP ein weiteres solches Abkommen in spe, genannt "Trans Pacific Partnership" (TPP). In Japan kostet der Kubikmeter Erdgas mittlerweile das Vierfache gegenüber dem aktuellen Marktpreis in den USA.

Sozial und Umweltstandards

Konkurrenzlos billige Energie ist der Hauptgrund für die TTIP-Begehrlichkeiten von Kommission und Industrie in Europa. Die USA können sich nun aussuchen, ob sie lieber Asien stärker beliefern oder doch Europa und entsprechende Bedingungen dafür stellen.

Die Preisentwicklung des US-Erdgasmarkts während der letzten fünf Jahre

Bei den bestehenden durchschnittlichen Einfuhrzöllen von gerade einmal vier Prozent gibt es nicht mehr viel zu senken. Sehr wohl gesenkt werden können jedoch "Handelsbarrieren", die mit "Sozial- und Umweltstandards" hinreichend beschrieben sind. Nur so kommt man irgendwie in die Nähe der versprochenen 100 Milliarden Euro hüben wie drüben pro Jahr.

Exportkontrolle, Investorschutz

Die US-Energiekonzerne, die unter strikten Exportkontrollen durch die Regierung stehen, können ihr Erdgas international viel teurer verkaufen, die Europäer zahlen trotzdem weniger dafür, als das europäische Erdgas kostet. Im selben Aufwaschen senkt man die nach Vorstellung der Industrie durchwegs übertrieben hohen Umweltstandards in Europa und zementiert die Vorherrschaft der US-Industrien, wo immer es nur geht.

Zu diesem Zweck ist im TTIP-Abkommen ein Abschnitt zum Investorschutz vorgesehen, das den Konzernen ein Klagerecht einräumt. Damit können Staaten, die gegen das TTIP-Abkommen "verstoßen", weil sie etwa durch Absenkung der erlaubten Höchstwerte für Feinstaubausstoß "Handelshemmnisse" errichten, auf Schadenersatz verklagt werden. Grundlage dafür ist dann eine Entscheidung des TTIP-Schiedsgerichts, das sich auf einen gültigen internationalen Vertrag berufen kann.

"...später erörtert werden"

Darüber steht im geleakten Dokument, das laut Kommission die europäische Position darstellt, ein einziger Satz ganz am Ende. "Die Beziehungen des Regulatorischen Kooperationsrats und den Entscheidungsgremien des TTIP sollen erst zu einem späteren Zeitpunkt erörtert werden."

Will heißen: Darüber wird verhandelt, wenn sich der Shitstorm im Netz, der momentan so heftig ist, dass er auch hinter den verschlossenen Türen der TTIP-Verhandler hörbar ist, etwas gelegt hat. Beim "Stakeholder-Meeting" am Mittwoch Nachmittag (Ortszeit) waren dann auch einzelne Konsumentenschützer zugelassen.

Die Verhandlungen der dritten Runde gehen am Freitag zu Ende, Fortsetzung nächstes Jahr.