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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

15. 12. 2013 - 21:29

The daily Blumenau. Weekend Edition, 14/5-12-13.

Kindheit, Jugend, Familie, letzte Mohikaner.

Seit der Nationalrats-Wahl online: der Versuch das Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Und das mit Items aus diesen Themenfeldern. Manchmal geht es aber auch um ganz was anderes.

Ich bin dieses Wochenende erstmals länger als 24 Stunden für mein Baby alleinverantwortlich. Nein, ich muss nichts tun, was ich nicht schon auch vorher getan hätte, es klappt auch alles - es ist nur dieser veränderte Bewusstsein; den Kleinen jetzt eben nicht dann, wenn man eine Auszeit braucht, an den Partner abgeben zu können, sondern 24/3 da zu sein.

Gestern Nacht wollte er weit nach Mitternacht, höchst unüblicherweise, nicht weiterschlafen, und es bedurfte einer Aufmerksamkeits-Einlage und einer (glücklicherweise auch nur sehr kurzen) In-den-Schlaf-Wiegezeit.
Und so begab es sich, dass wir gemeinsam den Beginn von Michael Manns "Last of the Mohicans"-Verfilmung sahen. Die Leitmotiv-Musik, die sich in fast jeder zweiten Szene irgendwann in den Vordergrund drängt, war zu hypnotisch, die Bilder von durch den Wald sausenden Gestalten voller Anmut zu verführerisch. Wir sind beide einige Minuten drin hängengeblieben.

Ich habe den Film, er lief in der ARD, fertiggeschaut, als wieder Ruhe eingekehrt war. Es ist sowas wie mein heimlicher Lieblingsfilm; heimlich wegen der pathetischen Überhöhung der Landschaft (des Akteurs, der Daniel Day-Lewis oft die Schau stiehlt), wegen der buchuntreuen Adaption und auch deshalb weil Michael Mann natürlich nicht cool genug für einen Lieblingsfilm ist.

Allerdings ist "Der Letzte Mohikaner" bzw. der diese und noch vier andere Geschichten, ja Bücher umfassende "Lederstrumpf" von James F. Cooper mein Lieblingskinderbuch. Obwohl, das ist falsch: es ist wohl das Buch, das mich beim Verlassen der Kindheit begleitet, an die Hand genommen hat. Ich kann mich gut an die Mischung aus Begeisterung über die winnetoumäßige Spannung und meine Verstörung über die nicht allzu unauffällig versteckten Abgründe der Protagonisten erinnern.
James Fenimore Cooper, das habe ich dann heute gelesen, wurde ja ein etwas holpriger Stil zum Vorwurf gemacht. Mark Twain soll in einer sarkastischen Rezension einen Teil des Deerslayers umgeschrieben (und so quasi verbessert) haben, um auf die Unebenheiten von Sprache und Story-Entwicklung hinzuweisen. Vielleicht ist es gerade dieses sprachliche Wurzelwerk, dass es auch Kindern und beginnenden Jugendlichen überhaupt erst ermöglicht hier einsteigen zu können.

Bleiben zwei Fragen offen: Was war das wirklich, was Andi der Sohn der Lehrerin der anderen Klasse, bei mir an der Volksschule da publizierte? Und: würde man heute, selbst an einer Volksschule, so eine Copyright-Verletzung wagen? Oder war Andi ein prädigitaler Pirat?

Ich habe heute die kindergerechte alte Ausgabe aus dem Ueberreuter-Verlag herausgekramt und festgestellt, dass man vielleicht bei der Beschreibung von Gewalt eingeschritten ist, das ein wenig trockene politische Umfeld der Geschichten aber erhalten ist. Und dann fiel mir ein, dass mein Volksschulfreund Andi damals ja den wahnwitzigen Plan hatte, den Lederstrumpf als Fortsetzungs-Roman in unserer, ja, was, Volksschüler-Zeitung (?) zu veröffentlichen, und dass es Ausgabe 1 tatsächlich gegeben hatte, und dass der Beginn (also der von Wildtöter) in seiner Version garantiert ohne den ersten Absatz erschienen war. Es existierten also noch andere, noch kindergerechtere Versionen des Klassikers.

Ich weiß noch, dass ich sehr glücklich war, als ich erfuhr, dass Michael Mann die Geschichte verfilmt hatte; ich fand das passt, ganz ohne Grund, nur weil dieses Zusammentreffen ein warmes Gefühl verursachte.

Gestern Nacht hab ich mir das genauer angesehen und überlegt. Und ja, es passt. Im Gegensatz zu den vier anderen Geschichten, in denen Nathaniel Bumppo - der in jeder Geschichte einen anderen aktuellen Nickname besitzt, der Deerslayer, Hawkeye, der Pathfinder, eben Leatherstocking und schließlich dann der Trapper heißt, zumeist allein, mit wechselnden Begleitern und nur einer einzigen Konstante, seinem Ziehvater Chingachgook - durch die anfänglich noch präamerikanische Kolonie zieht, gibt es im letzten Mohikaner eine Familien-Konstruktion. Kein reales, klassisches Patchwork, aber nicht dysfunktional, sondern funktionierend. Chingachgook und seine Söhne Hawkeye und Uncas nehmen die Munro-Schwestern und ihren blöden Begleiter für ihren Trip durch die Wälder auf wie Verwandte.

Ich weiß auch gar nicht, woher meine Faszination für solche Familien-Konzepte kommt. Ich entstamme der klassischen Normal-Formation: Bis-der-Tod-euch-scheidet-Eltern, zwei Kinder, mittlerweile beide selber nicht mehr ledig. No Patchwork at all.

Und Michael Mann ist jemand, der genau solche Konstellationen liebt: Patchwork-Familien, scheinbar zusammengewürfelt, aber stärker als alle Hindernisse.
In The Thief, seinem ersten Spielfilm, einem wild schweigenden Drama, kämpft James Caan den ganzen Film zuerst um die Entstehung und dann die Erhaltung so einer Familie (samt Willie Nelson im Gefängnis); und im Film zu Miami Vice, das Mann ja auch als TV-Serie mitbetreut und geprägt hat, wird die Verbundenheit des Teams und der Partner so herzhaft und zentral ausgespielt, wie es in der Serie in allen Folgen maximal zusammen der Fall war.
Miami Vice ist die Geschichte, in der die Familie intakt bleibt - was auch dem Serienformat geschuldet ist, der Thief verliert James Belushi und Natty Bumppo seinen Bruder, weil Epen eben Drama und Tragik brauchen.

Ich habe bei Uncas' Tod auch gestern Nacht wieder feuchte Augen bekommen und ich stehe auch zu Manns Idee, anstatt wie im Buch die toughe Heldin Cora mitsterben zu lassen, deren irgendwie feenartig durch den Film taumelnde kleine Schwester Alice dem vorletzten Mohikaner freiwillig in den Tod nachspringen zu lassen, als letzte wehrhafte Geste gegen Magua, den eigentlichen Träger und Vorwärtstreiber der Handlung; als Symbol für die Unbesiegbarkeit dieser neuen Familie.

Mein Baby hat das nicht mehr mitbekommen. Keine Ahnung, ob er Coopers Lederstrumpf noch in Buchform lesen wird, das lässt sich aus aktuellen Vorlieben schwer ablesen. Das alte Ueberreuter-Buch steht mit der Schatzinsel, Tom Sawyer und den anderen jedenfalls im Regal neben seinem Bett.