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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

15. 12. 2013 - 16:26

Verwirrung durch Jazz?

Der Song zum Sonntag: The Low Frequency In Stereo - "Ionic Nerve Grip"

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  • Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.

Post-Rock. Immer noch ein schönes Wort. Wie das Präfix "Post-" verrät, soll es im Rahmen dieser Idee einmal um die Überwindung von irgendetwas gegangen sein. Logischerweise wurde der Idee des Grenzenlosen und des Weiterkommens mit der Markierung dieser Idee durch ein Wort auch gleich entgegengewirkt. Post-Rock ist ein Genre und ein Wort, das etwas bedeutet - selbst wenn innerhalb des weichen Rahmens schon noch so einiges möglich ist.

So hat das norwegische Quintett The Low Frequency In Stereo auch gar kein Problem damit, sich den Begriff "Post-Rock", der einst das Unkategorisierbare kategorisieren sollte, als Losung für das eigene Schaffen auf die Fahnen zu schreiben. Anfänglich war das ungestüm und im Noise, den freieren Arbeiten von Sonic Youth und eben auch im Rock fußend. Mittlerweile, mit dem vor kurzem erschienenen fünften Album, haben The Low Frequency In Stereo ihren Stil geschmackvoll verfeinert und sich schick herausgeputzt. "Pop Obskura" nennt sich die neue Platte, und das mag schon viel heißen.

Heute stehen bei The Low Frequency In Stereo die Regler des Moog-Synthesizers auf Stereolab: Ähnlich wie diese großartige englische Band üben sich die Norweger nun vornehmlich in einer gut schaukelnden Verquickung von Space Age Lounge Jazz, Exotica, Minimal Music, Chanson und Krautrock - wenngleich dann doch noch etwas ungehobelter und erdverbundener als die ätherischen Stereolab. Da und dort kreischen schon noch Gitarren. Insgesamt trippelt und fiept und kiekst "Pop Obskura" jedoch gar putzig, ein böser Störer ist das im letzten Drittel des Albums deponierte Stück "Ionic Nerve Grip".

The Low Frequency In Stereo

Eirik Lande

Klingen so, wie es das Foto andeutet: The Low Frequency In Stereo

Anders als von dieser Band gewohnt – üblicherweise steuern in den Songs von The Low Frequency in Stereo die weiblichen Mitglieder die Hauptstimmen bei – hören wir in "Ionic Nerve Grip" einen männlichen Erzähler. Er erzählt, er singt nicht. Was der offenbar verwirrte Mann hier dahermurmelt, ist gleichzeitig Geständnis, die Nacherzählung eines misslichen Zwischenfalls und ein beunruhigendes Selbstgespräch. "I drink and I smoke" lauten die ersten Zeilen von "Ionic Nerve Grip" – ein Stück, das so beginnt, kann ja vielleicht schon einmal gar nicht so schlecht sein.

Der merkwürdige Held dieses merkwürdigen Liedes beobachtet hier einen anderen Herrn, der ihm augenscheinlich missfällt, es kommt zu einem Raufhandel. "I render him unconscious". Komischerweise wird das ungeliebte Gegenüber bei aller Aggression und bei allem Unmut immer wieder mit der höflichen Anrede "Sir" adressiert. "What? Do I have a head shaped liked an amusing ice cube? Is there anything you could tell me about myself, Sir?" Oder spricht der Mann mittlerweile schon nur noch mit sich selbst? Oder schon mit seinem Nervenarzt?

In etwa umschreibt die Begriffsgruppe "Ionic Nerve Grip" die Einflussnahme der Ionen auf das Nervensystem. Eine eher theoretische Angelegenheit, jedoch, so erfahren wir aus diesem Stück Musik: "There is no such thing as an ionic nerve grip." Der Mann, der uns hier so unangenehm ins Bewusstsein flüstert, ist mit den Nerven am Ende, aus der Geschichte kommt er nicht mehr raus.

Das musikalische Bett zittert und zuckt – ja, vielleicht, nervös? Es blubbert und zischt, immer wieder aber hupt und orgelt eine Orgel der sonstigen Anspannung dieses Songs entgegenarbeitend doch recht freundlich. Ein unter Hochdruck stehender, verschwörerisch tänzelnder Psycho-Jazz, genauso aber auch ein extraleicht runtergehender Cocktail-Jazz, der höflich swingt. Kosmisches Zwitschern und Summen, das eventuell aus einem längst schon kaputtgeschlagenen Theremin stammt. Geisterhafte Sirenen-Chöre umschmiegen den Erzähler mit "Uuhs" und "Aaaahs". Sie lullen ihn ein, sie singen ihn in eine andere Welt. War alles nur in unserem Kopf?