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Anna Mayumi Kerber Nairobi

Reportagen und Geschichten aus Ostafrika.

16. 12. 2013 - 11:02

Abwärtsspirale in Bangui

Über 400 Tote, eine halbe Million Vertriebene. Und keine Lösung in Sicht. Die humanitäre Krise in Zentralafrika läuft aus dem Ruder.

Kurz nach vier Uhr landet das Frachtflugzeug. Die Piloten, ein Simbabwer und ein Serbe, bieten Cola Light und Wasser an. Sie betreten den zentralafrikanischen Boden nicht. Und heben wieder ab, sobald das Flugzeug ausgeladen ist.

Von der Rolltreppe aus blicken sie in der Abendsonne auf die rund 30.000 Flüchtlinge, die sich nur wenige Meter von der Landepiste niedergelassen haben. Ein Stacheldraht und die französischen Truppen trennen sie von den Tonnen an Medikamenten und Lebensmitteln, die die Vereinten Nationen (UN) eben eingeflogen haben. 1.600 französische Soldaten sichern derzeit den Flughafen und den Rest der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, Bangui.

Bei Gefechten, die seit vergangenen Donnerstag andauern, wurden mehr als 400 Mensche getötet. Die Zahl der Vertriebenen wird auf 500.000 geschätzt.

Französische Truppen überwachen den Flughafen in Bangui, CAR. Rund 30.000 Menschen suchen neben der Rollbahn Zuflucht. Am Freitag landete ein Cargoflugzeug der UN mit knapp 800 Tonnen Hilfsgüter.

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Französische Truppen überwachen den Flughafen in Bangui, CAR. Rund 30.000 Menschen suchen neben der Rollbahn Zuflucht. Am Freitag landete ein Cargoflugzeug der UN mit knapp 77 Tonnen Hilfsgüter.

Chantal Sarki "wohnt" seit einer Woche etwa hundertfünfzig Meter von dieser Flugzeugnase entfernt. Sie ist aufgebracht. Ihre Nachbarn hätten sie verraten. Ihr Haus wurde niedergebrannt. Wir beginnen von vorne:
Chantal wohnt in Gbaia Dombia, einer Gegend in der Nähe des Flughafens. Ihre Nachbarn sind Muslime. "Wir wuchsen gemeinsam als Familie auf. Wir aßen zusammen und halfen einander aus." Das ging jahrelang gut. So wie in zahlreichen anderen Nachbarschaften in Bangui. Religion sei nie ein Problem gewesen, so der Konsens.

Doch mit dem Putsch der muslimischen Séléka-Rebellen im März und die Entwicklungen danach, hat sich die Situation grundlegend geändert. "Einer der Söhne (meines Nachbars) trat den Séléka bei," erzählt Chantal. Erst habe sie davon nichts gewusst. Er sei nur viel unterwegs gewesen - auf dem Land. Als am 24. März die Séléka-Rebellen die Hauptstadt, Bangui, übernahmen, kam er in Uniform nach Hause. "Seitdem hatte ich ein wenig Angst mit ihm zu sprechen," so Chantal. "Ich grüßte ihn - aber ängstlich."

Dieses eine Treffen - Nachbarsohn in Uniform - veränderte das gesamte Zusammenleben. "Sie begannen Waffen nach Hause zu bringen. Die ganze Familie war plötzlich Teil der Séléka-Bewegung." Bei den Nachbarn wurden Kalaschnikows, AK4, PA und andere Waffen gelagert.

Vertriebene suchen Unterschlupf in einem Hangar neben dem Flughafen in Bangui. Heftige Regenfälle jede Nacht erschweren die ohnehin desaströsen Lebensumstände.

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Vertriebene suchen Unterschlupf in einem Hangar neben dem Flughafen in Bangui. Heftige Regenfälle jede Nacht erschweren die ohnehin desaströsen Lebensumstände.

Chantal besitzt ein kleines Feld außerhalb des Wohngebiets. Vergangenen Donnerstag war sie dort, um Maniok zu ernten. Auf dem Heimweg rannte ihr ein kleines Mädchen entgegen. "Es war ganz in der Nähe meines Hauses." Sie flüchtete zum Flughafen, wo ihre Familie bereits auf sie wartete. Auf dem Weg sah sie sechs Tote. "Selbst ein Behinderter wurde ermordet. Ein Mann ohne Beine."

Die Menge ist aufgebracht. Die Wut sitzt tief. Und die Angst. "Im Radio hieß es, dass sich die Lage beruhigt hat, dass wir in unsere Häuser zurückkehren können," ruft Paouilina Mathurin. Er hätte es daraufhin versucht. Doch dann hörte er Schüsse und es lief ihm eine Menschenmenge entgegen, flüchtend vor bewaffneten Männern. Jetzt ist er wieder zurück am Flughafen.

In der Kathedrale Notre-Dame de Fatima suchen derzeit bis zu 2000 Menschen Zuflucht.

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In der Kathedrale Notre-Dame de Fatima suchen derzeit bis zu 2.000 Menschen Zuflucht.

Andre Houininay kann dieses zerbrechliche Gefühl von Sicherheit nachempfinden. "Es gibt Gegenden, in die wir nicht zurückgehen werden, bevor die französischen Truppen ihre Abrüstungsmission erfüllt haben." Houininay kommt aus derselben Nachbarschaft wie Chantal. "Es ist unglaublich, wie viele Waffen man in dieser Gegend findet." In der vergangenen Woche hat er seinen Sohn und seinen Neffen verloren.

Er hält nichts von Versöhnung und traut der Regierung nicht. Als er letzteres äußert, wird die Menge wieder laut. "Sie haben uns betrogen." "Djotodia hat keine Kontrolle." "Taugenichtse!"

Einer schreit lauter als alle anderen. Es ist Africain Koegba. Der 28-Jährige verkauft Maggi-Suppenwürfel und Gin in kleinen Sackerln. Vor einigen Tagen geriet er in Schwierigkeiten. Inmitten einer größeren Menschenansammlung brach ein Tumult aus, Schüsse fielen. Ein alter Freund, ein Muslim, half ihm aus der gefährlichen Lage - rettete ihm das Leben, wie Koegba selbst sagt. "Trotzdem", so Koegba, "wenn ich ihn das nächste Mal sehe, dann werde ich ihn umbringen."

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Es ist für mich schwierig bis unmöglich, nachzuvollziehen, in welchem Ausmaß eine politische Bewegung, die in einen religiösen Konflikt eskaliert, eine Freundschaft beeinflusst. Doch Koegba ist sich sicher: "Niemals wieder werde ich mit ihm ein Wort wechseln. Selbst gute Freundschaften überstehen diese Art von Spannungen nicht."

Koegba gehört nicht zu jenen Anti-Balaka (wörtlich: Anti-Buschmesser) Kämpfern, die die Massaker der vergangenen Woche getriggert haben. "Aber die Wut wird mir die Stärke geben, zu töten. Egal mit welchen Mitteln." Auf Versöhnung ist er nicht aus. Sei ein Moslem einmal zornig, dann bleibe er das auch. Die einzige Weise darauf zu reagieren: "Wir müssen es ihnen gleichtun."

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