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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

11. 12. 2013 - 15:13

Was die Ukraine mit Österreich zu tun hat

Gestern lasen zwei Menschen in der U-Bahn eine Zeitung. „Die Ukrainer wollen in die EU!“, sagte der eine. „Und hat uns wer gefragt, ob wir sie überhaupt in der EU wollen?“, sagte der andere.

Die österreichischen Leser sind anscheinend verängstigt. Die Ukraine ist groß, ihre Bevölkerung beträgt mehr als 45 Millionen Menschen. Anscheinend stellten sich die beiden Menschen in der U-Bahn die Stationen der U6 überschwemmt mit Ukrainern vor, die ihre gelb-blauen ukrainischen Fahnen schwingen. Nach dem polnischen Klempner, den rumänischen Roma und den bulgarischen Verbrechern schwebt jetzt der ukrainische Geist über Österreich.

Ukraine protests

EPA/SERGEY DOLZHENKO

Ich wollte die beiden Leser daran erinnern, dass ein Teil der heutigen Ukraine früher Teil von Österreich – Ungarn war, der andere Teil lag im Russischen Reich. Unbewusst nahmen die beiden Menschen in der U-Bahn die Position des russischen Präsidenten Putin und seiner Politik gegenüber der Ukraine ein. Putin bedrohte die Ukraine ganz direkt, dass ihre Annäherung an die EU sich nicht mit den russischen Interessen deckt. Die ukrainische Regierung nahm sein Ultimatum ernst und verschob das Unterschreiben eines Assoziierungsabkommens mit der EU.

Die jungen, proeuropäisch eingestellten Ukrainer sind nun auf der Straße. Sie wollen eine europäische, eine demokratische Zukunft, nicht das autokratische Modell, das im postsowjetischen Russland herrscht. Das ist ein schöner, wenn auch ein etwas naiver Wunsch. Aber jedes postkommunistische Land muss diese Phase durchleben.

Ich war ein kleines Kind, als ich mit meinen Eltern von Demo zu Demo ging. Ich erinnere mich an ihren Glauben, dass der Bruch mit Russland und der europäische Weg auch zu einem besseren Leben führen würde. Ich erinnere mich auch an die Wirtschaftskatastrophe, die eintrat, nachdem die Verbindungen mit den russischen Märkten zusammenbrachen. Ich verstehe die Angst der ukrainischen Regierung. Ich bin aber trotzdem auf der Seite der Protestierenden. Die Freiheit ist ein hohes Gut, wonach jeder streben soll!

Demonstranten errichten Barrikaden

APA/EPA/ANATOLY MALTSEV

Olga stammt aus der westukrainischen Stadt Lvov. Diese befindet sich ungefähr 60 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt und ist schon längst mit dem Geist des Eurooptimismus angesteckt. Die größte Beleidigung für Olga ist, wenn man „Russin“ zu ihr sagt. Sie studiert an der WU in Wien. Olga ist eine lustige Persönlichkeit. Einmal rief sie mich um drei Uhr in der Nacht an. „Ich bin verloren!“, sagte sie „bitte hilf mir meine Wohnung zu finden!“ „Und wo bist du denn ungefähr?“, fragte ich. „Auf einer Straße!“ „Na ja, was gibt es denn so um dich herum?“ „Autos!“. Ich schaute aus dem Fenster – ich sah die weinende Olga auf dem Gehsteig gegenüber. Ich sagte ihr am Telefon, dass sie hinaufschauen soll. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich – wie ein Kind, das das Licht aus dem Schlafzimmer seiner Eltern gesehen hat. Heute unterstützt Olga die Proteste.

Sergej, ein ehemaliger Mitbewohner von mir ist auch Ukrainer aus Donezk (aus dieser Stadt ist auch der ukrainische Präsident Janukowitsch). Sergej sagte aber mal, dass er Russe sei. Ich versuchte ihn aufzusuchen und zu fragen, was er zu den Protesten meint. Er ist einerseits aus dem Teil der Ukraine, wo die antieuropäische Stimmung am höchsten ist, andererseits hatte er mal in seinem Zimmer ein Poster mit dem Boxer Klitschko, der jetzt einer der Oppositionsnanführer ist. Leider konnte ich Sergej nicht auffinden.

Die beiden aus der U-Bahn stiegen bald aus. Ich konnte ihnen nicht sagen, dass Österreich bald auch mit Putin verhandeln würde. Russland verkündete, dass die Verträge mit den einzelnen EU-Mitgliedsländern für sie wichtiger als die EU Gesetzgebung sind. Damit sind die Gaslieferverträge gemeint. Österreich hat solche Verträge. Ich frage mich, was diese beiden kommentieren werden, wenn Putin laut auf den Tisch in der Hofbug haut. Vielleicht denken sie dann, dass der unmittelbare Nachbar von Russland, die Ukraine, besser proeuropäisch veranlagt sein sollte. Ich fahre oft mit der U-Bahn. Vielleicht treffe ich sie wieder.