Erstellt am: 10. 12. 2013 - 15:33 Uhr
Jugendhaft-Reform stockt
APA
Barbara Helige ist Präsidentin der Österreichischen Liga für Menschenrechte. Hier geht es direkt zum Menschenrechtsbefund 2013.
Vergangenen Juni berichtete eine Richterin des Straflandesgerichts bei einer Diskussionsveranstaltung von der Vergewaltigung eines jugendlichen Untersuchungshäftlings. Justizministerin Beatrix Karl erklärte darauf angesprochen im ORF, der Strafvollzug sei kein Paradies, und immerhin befänden sich ja Leute in Haft, die schwere Straftaten begangen hätten. Dabei negierte die Ministerin den Umstand, dass das 14jährige Opfer der Vergewaltigung in Untersuchungshaft war und somit die Unschuldsvermutung gilt. Für Barbara Helige von der Liga für Menschenrechte kommt in so einer Reaktion ein Muster zum Vorschein: Jugendliche, so schreibt Helige im Menschenrechtsbefund, müssten in Österreich sichtlich damit rechnen, dass ihnen in der Untersuchungshaft Übles widerfährt. Randgruppen und Minderheiten, Menschen, die sich aus irgendeinem Grund außerhalb der Norm bewegen, hätten es deutlich schwerer, in der Unverletzbarkeit ihrer Grundrechte respektiert zu werden und könnten sich weniger auf den Schutz durch die Gesellschaft verlassen.
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Kritik ohne nachhaltige Wirkung
Zwar hätte die Gesellschaft im konkreten Fall rund um den vergewaltigten Vierzehnjährigen untypisch reagiert – in der öffentlichen Diskussion wurde die Ministerin scharf kritisiert und der Jugendliche als Opfer eines schweren strukturellen Versagens im Strafvollzug anerkannt. Doch Barbara Helige vermisst eine nachhaltige Wirkung des öffentlichen Aufschreis. Experten hätten ohnehin bereits seit der Auflösung des Jugendgerichtshofs im Jahr 2002 auf die Mängel in der Jugendhaft hingewiesen. Unter anderem thematiserte in den letzen Jahren das europäische Antifolter-Kommittee die dortigen Probleme. „Das Ministerium hat dazu gesagt: Jaja, wir ändern das schon“, so Helige. „Dann hat eine Richterin am Menschenrechtstag des Jahres 2010 gesagt: 'Jugendliche werden vergewaltigt, sie haben einen Anspruch auf Entschädigung'. Das Ministerium hat gesagt: 'Jaja, wir ändern das schon'. Und dann kam es zu dem Skandal heuer.“
Reform ins Regierungsprogramm?
Barbara Helige war früher auch Präsidentin der Richtervereinigung und ist heute Leiterin eines Bezirksgerichtes. Sie vermisst eine Gesamtstrategie zum Umgang mit Jugendlichen im Gefängnis – auch in den aktuellen Koaltionsgesprächen. „Grundsätzliche Überlegungen, wann ein Jugendlicher in Untersuchungshaft genommen werden soll und was es für gelindere Mittel geben kann – all das fehlt noch. Selbst wenn es im aktuellen Regierungsprogramm enthalten sein sollte, wovon ich noch nicht einmal überzeugt bin, dann muss das auch umgesetzt werden. Es darf nicht passieren, dass Jugendliche weiterhin in der Haft vergewaltigt werden. Es besteht eine unumstößliche Schutzpflicht des Staates.“
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Nach wie vor werden jugendliche Häftlinge in den Justizanstalten Wien-Josefstadt, Innsbruck und Klagenfurt bereits am frühen Nachmittag (bis zum nächsten Morgen) in ihre Zellen gesperrt. Doch auch die Wiedererrichtung eines Jugendgerichtshofes ist für Barbara Helige nicht die zukunftsweisende Lösung. Stattdessen wünscht sie sich „dramatische und tiefgreifende Veränderungen“ bei Untersuchungshaft und Jugendstrafvollzug. Die Errichtung eines neues Gebäudes würde Jahre in Anspruch nehmen – vor der Fertigstellung und vor der Umsetzung der nötigen Reformen müssten unverzügliche bauliche und personelle Maßnahmen erfolgen, um weitere Übergriffe zu verhindern. Helige fordert eine intensivere Zusammenarbeit mit dem Bewährungshilfe-Verein Neustart und anderen sozialen Einrichtungen, um die Haftzahlen unter Jugendlichen zu senken, sowie die Aufstockung des Personals in den Gefängnissen. Außerdem richtet Barbara Helige einen Apell an die Zivilgesellschaft: „Ich fordere die Öffentlichkeit auf, den Finger auf dieser Wunde zu lassen.“