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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

12. 12. 2013 - 19:00

Untote der Popgeschichte

Eine Beschwörung, ein Abgesang, ein Manifest: Jim Jarmusch ist mit seinem Vampirstreifen "Only Lovers Left Alive" etwas ganz Besonderes gelungen. Notizen zur FM4-Premiere.

Gleich mit seiner allerersten Szene drückt dieser Film bei mir alle erdenklichen Knöpfe. Eine Nadel senkt sich auf eine zerkratzte Vinylsingle, der sagenhafte Song „Funnel of Love“ von Wanda Jackson ertönt, dazu dröhnen sich unabhängig voneinander Tom Hiddleston und Tilda Swinton, als barocke Schattenwesen, mit Blutkonserven weg. Die Kamera dreht sich, die Platte eiert, die Stimmung nimmt rasch etwas schwindelerregendes, psychedelisches an.

Ein Stück Musik, dass zu den Göttertracks des Rockabilly gehört und von Legenden wie den Cramps gecovert wurde, die herrlich gruftige Frisur von Hiddleston, der ätherische Look von Swinton, dazu konzentrierte Rauschzustände: Ich habe das Gefühl, „Only Lovers Left Alive“ bohrt sich sofort in meinen Kopf hinein und zapft mein persönliches popkulturelles Gedächtnis an. Und ich bin da sicherlich nicht der einzige, dem es so ergeht.

Only Lovers Left Alive

Polyfilm

Mit Zitaten scharfschießen

Knöpfe drücken, Erinnerungen abrufen: So funktioniert generell das Spiel im gegenwärtigen Raum-Zeit-Kontinuum. Oder sagen wir halt in Ermangelung eines besseren Begriffs wieder einmal Postmoderne dazu. Du droppst als Musiker ein bestimmtes historisches Sample oder auch einen speziellen Sound: Und schon eröffnet sich, bei bestimmten Hörern zumindest, eine Kette von Assoziationen.

Regisseure wie etwa Quentin Tarantino oder Robert Rodriguez arbeiten natürlich auch nach dem selben Prinzip. Beim Betrachten ihrer Filme flirren einem visuelle und musikalische Versatzstücke um die Augen und Ohren, es hagelt Referenzen aus den schundigen B-Movie-Archiven.

Während der Letztgenannte dabei mittlerweile so holzhammerartig vorgeht, dass sich mitten in der grellen Plakativität von „Machete Kills“ eine trübe Katerstimmung ausbreitet, gelingt es Ersterem, sein Zitatekino mit neuen Inhalten aufzuladen. Wenn „Django Unchained“ zur Waffe greift, wird dabei, zu umcodierten Soundtracks von Ennio Morricone oder Luis Bacalov, gegen den Rassismus scharf geschossen. „Only Lovers Left Alive“ ist dann aber diesbezüglich noch einmal ein anderes Kaliber.

Only Lovers Left Alive

Polyfilm

Misfits und Outsider

Dezitierte politische Statements, aber auch das lustvolle Herumwühlen im wüsten Trash haben Jim Jarmusch nie interessiert. Amerikanisch geerdete Popthemen ziehen sich dennoch durch die Karriere der mittlerweile 60-jährigen Indie-Ikone.

Allerdings gehört bei Jarmusch immer eine Brechung dazu, wo dann beispielsweise Filmnoir-Ansätze oder Thriller-Anklänge bewusst mit spröden Kunstkino-Strategien kollidieren. In seinem bislang besten Film „Dead Man“ entsteht aus dem Aufeinanderprall von Western-Tradition und Wim-Wenders-artiger Langsamkeit ein hypnotischer Mehrwert. Aber oft, gestehe ich für meinen Teil, nervte mich der Jarmusch-Zugang zum Kino einfach nur.

Bei „Only Lovers Left Alive“ sieht die Sache anders aus. Hier gelingt Jim Jarmusch etwas ganz Besonderes. Wieder einmal ist es kein Film mit klassischer Narration geworden, aber auch keine entleerte Fingerübung in Kunstfertigkeit. Sondern eine fiebrige Beschwörung popkultureller Abgründe, eine Verbeugung vor einem beinahe vergessenem Kanon der Misfits und Poètes maudits, ein Manifest für ein bestimmtes Outsider-Universum.

Only Lovers Left Alive

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Wandelnde Metaphern

Als Verpackung oder auch Basis seiner unzähligen Reflexionen dient dem Regisseur diesmal das längst inflationär gewordene Vampirfilmgenre. Dabei könnten aber nicht nur juvenile Twilighters eine kapitale Enttäuschung erleben, auch die Erwartungen echter Hardcore-Horrorfans bedient Jarmusch nicht.

Adam und Eve, die beiden Protagonisten, sind zwar blutdurstige Kreaturen der Finsternis, die schon seit vielen hunderten Jahren versteckt von den Menschen hausen. Aber in erster Linie fungieren Tom Hiddleston und Tilda Swinton als (nacht-)wandelnde Metaphern, als blassgesichtige Verkörperungen von Ideen und Anliegen.

Vor allen Adam, der im zerbombt anmutenden Detroit in einem Haus voller alter Gitarren, Tonbandgeräte und Bücher lebt, der schon mit Franz Schubert musizierte, noch immer von der hautnah miterlebten Geburt des Rock’n’Roll träumt und aktuell Drone-Stücke im Stil von Sunn O))) bastelt, erweist sich als eine der Kinofiguren des Jahres. Ein Untoter, der sich von Geschichte nährt wie von Blut. Schmerzhafte, peinigende Wehmut über den Verlust einer bestimmten Gegenkultur und unbändiger Gegenwarts-Pessimismus äußern sich bei Adam in staubtrockenen Zynismen und rabenschwarzem Humor.

Only Lovers Left Alive

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Draußen ist feindlich

Ja, „Only Lovers Left Alive“ ist stellenweise auch ein sehr komischer Film, aber anders als in anderen Werken von Jim Jarmusch haftet den Pointen keine schnöselige studentische Cleverness an. Tom Hiddlestons Adam, der mich in Momenten an einige meiner engsten Freunde erinnert, wappnet sich mit seinem lakonischem Witz vor der lähmenden Gravitationskraft der Melancholie, vor beschränkten Fanboys und Groupies, vor der feindlichen Außenwelt des beginnenden 21ten Jahrhunderts.

Die sarkastischen Scherze verhindern konsequent, dass sich „Only Lovers Left Alive“ in einen sülzigen Nostalgiestreifen verwandelt. Was Jarmusch wirklich will, ist einfach Denkmäler errichten, kleine Monumente über Querverweise schaffen.

Wenn die emotional viel gefestigtere Eva im marokkanischen Tanger wohnt, dann ist das ein Wink an den großen William S. Burroughs, der dort seine Cut-Up-Gedichte schrieb. Wenn Christopher Marlowe leibhaftig auftaucht, wird Shakespeares viel düsterer Konkurrent gewürdigt, wenn die Vampirposse geschlossen zu einem Konzert der noisigen White Hills geht, ist es ein Hofknicks vor dem Gitarren-Underground im Hier und Jetzt.

Only Lovers Left Alive

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Filmisches Liebespoem

Dabei arbeitet Jarmusch beim Erbauen seiner Altäre und Tempel mit allen Mitteln, von den Dialogen über sorgsame Bildkompositionen bis zur Musik als zentralem Element. Charlie Feathers trifft auf Klassik, der Black Rebel Motorcycle Club vermischt sich mit Novelty-Disco und Exotica-Stücken.

Ich könnte noch viel mehr aufzählen und euch den Film damit verderben. Daher jetzt nur mehr soviel: "Only Lovers Left Alive" ist ein filmisches Gedicht. Ein Liebespoem für zerschrammtes Vinyl, Vintage-Gitarren, Blutkonserven, Rock'n'Roll, Drone, libanesischen Pop, Ekstasen, schwarze Romantik, prächtigste Frisuren, Klamotten und Sonnenbrillen, die Ruinen von Detroit und die schwülen Nächte von Tanger. Einen schöneren Abgesang hat die Analog-Ära cineastisch noch nicht bekommen. Danke, Jim Jarmusch.

Only Lovers Left Alive

Polyfilm

Tickets gewinnen!

Wir verlosen 65x2 Tickets zur FM4 Kinopremiere von "Only lovers left alive" am Dienstag, 17.12.2013 um 20h im Filmcasino Wien (Margaretenstraße 78, 1050 Wien).

Dafür musst du uns folgende Frage richtig beantworten:

Im Film werden Vampire nicht selten von sehr honorigen Herrschaften dargestellt. Und so kommt es, dass wer sich "Schauspieler" nennt, meist nicht nur einen Shakespear, sondern auch einen Blutsauger im Repertoire hat.

Von folgenden vier Herrschaften fehlt einem die Rolle eines Vampires im bisherigen Schaffen. Die Frage ist: Welchem?

Bilderrätsel

Radio FM4

Richtige Antwort: George Clooney!

Der Einsendeschluss ist vorbei, die GewinnerInnen wurden per Mail verständigt!