Erstellt am: 9. 12. 2013 - 21:13 Uhr
The daily Blumenau. Monday Edition, 09-12-13.
Seit der Nationalrats-Wahl online: der Versuch das klassische Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Und das mit Items aus diesen Themen-feldern.
#serien #bewegtbild #medien #attrappenjournalismus
Heute ist mir bei der Beantwortung einer entkräftbaren Hörer-Beschwerde folgender Nebensatz passiert: "... und auch ich tue das in Bezug auf andere Medien; und darf mich, wenn ich die Kollegen dann darauf anspreche, meist eines besseren belehren lassen." Wort drauf: es gibt nichts entlarvenderes als wenn man das eigene Gesuder, das man für substanziell und relevant hält, von einem Praktiker als doch recht subjektives und kurzgegriffenes Gerede zurechtgestutzt bekommt.
Das nur als Vorrede zum heutigen Gesuder hier. Vor allem, weil es das meistbesuderte, aber macherisch komplexeste Medium betrifft: das Fernsehen.
Beschwerde 1: wer will den Tatort als Schauspielervehikel?
Eh ist es lustig, wenn das bekannte Mimen-Gesicht in genrefremdem Zusammenhang durch ein halbwegs gewitztes Drehbuch und gut sortierte Bildwelten hechelt. Eh lachen wir über kleine Seitenstränge von mikropoetischer Beautesse.
Aber: der Tatort ist der Tatort ist der Tatort.
Und wenn dann die berühmten und die bemühten Fressen, die Tukurs und Schwaigers, die Möhrings und die Dortmunder Matthes-Kopie draus einen Solo-Lauf für ihre charakterdarstellerische Brillanz, eine Arie für ihre Mimik oder, wie gestern, eine Bühne für ihr artistisches oder musikalisches Können machen, dann mag das für manche ein Zusatz-Benefit, ein augenzwinkender Bonus sein.
Für die meisten aber gilt wohl wie für mich: drauf geschissen; das ist überflüssige Ornamentik. Der Paketzusteller von heute morgen musste ja auch keinen Kopfstand machen und dabei ein Gedicht improvisieren, oder?
Also Tatort, ich will einen Fall, der über Slapstik und reine Verweise hinausgeht. Und mir reicht ein Kommissar wie Krassnitzers Moritz Dingsbums, der König der eineinhalb Gesichtsausdrücke, völlig. Die echt berühmten Schauspieler-Fressen können das nämlich auch, wenn man sie dazu bekennt (z.B. Krol oder Müller, Kekilli oder Folkerts).
Es reicht auch völlig, dass die Münsterianer witzig sind - eine Kopie ist ebenso überflüssig wie unmöglich; und Ulmen und Tschirner werden das in ihrem One-Off wohl auf das Schmerzlichste beweisen.
Wenn die Tatsache, dass Herr Tukur ganz doll Klavier spielen kann, den nervigen Fakt dass schon wieder der Typ, der immer die Mörder spielt, ihn auch diesmal macht (und wir nach zehn Minuten im Chor "der war's!" rufen können) überlagert, dann stimmt was nicht, Tatort. Krieg dich doch ein und erzähl uns tolle Geschichten aus Themenfeldern, die Günther Jauch danach nicht einmal ansatzweise so dicht einzufangen versteht. Das ist dein Job und den machst du eh bestmöglich.
Beschwerde 2: Privat-TV-Programmierung für die Fische
Nastürlich hat der Tagespiegel recht, der angesichts der geplanten nächtlichen Versendung, die Sat1 mit dem Serien-Hit House of Cards vorhat, einen Forums-Eintrag zitiert: Bei Sat1 vermutet man kein Qualitätsfernsehen, von daher danke, dass ich den Sender nach "Homeland" und "House of Cards" endlich wieder meiden kann.
Gut, House of Cards kriege ich ohnehin im Netz und in wöchentlichen ORF-Dosen, Homeland ist sogar die DVD-Begutachtung wert.
Was aber mache ich, wenn weil Sat1 irgendeinen anderen Blödsinn wegen Quotenschwäche in seinen Nebensender Kabel1 abschiebt, was dann dort wiederum dazu führt, dass der Freitag völlig neu sortiert wird und damit für das Ende der gerade einmal für eine Woche wieder aufgenommenen 4. Staffel von Southland sorgt, die nach genau einer Folge völlig abbricht und jetzt gar nicht mehr zu sehen sein wird?
Ich mag Southland. Aber nicht so sehr, dass ich mir die halbe vierte Staffel on DVD besorgen will. Und im Netz krieg ich das auf meinen Arbeitsgeräten (dank der guten ORF-Firewall) gar nicht und auf dem wackeligen Laptop meiner Frau nur mit elenden Mühen rein. Fuck.
Klar, Privatfernsehen, oder wie dieser Herr meint, der Vampir zweiter Ordnung darf ich eigentlich nicht anmäkeln, weil die ja von Natur aus machen können, was sie wollen. Sind ja privat. Und deshalb werd ich mir das dann auch nicht ansehen. Und Southland halt irgendwie irgendwo herkriegen. Tipps anyone?
Beschwerde 3: Leichenberge machen Krimis nur unsexy
Apropos: SouthLAnd ist ein Musterbeispiel dafür, wie eine Cop-Serie sich an der Realität orientieren kann, ohne deshalb an Spannung zu verlieren. Southland ist nicht The Wire, aber es versteht sich als punktueller Erheller urbaner Zusammenhänge, es verweist und verknüpft, bildet soziale Realitäten ab und sorgt für Verständnis. Und das ohne Leichenberge zu hinterlassen. Bei den Cop-Stories von Southland gibt es Folgen ganz ohne Morde, und wenn, dann war es der Ehemann oder der Kumpel oder die Gang - ganz wie im echten Leben. Die Protagonisten haben soviel mit der eigenen Scheiße zu tun, dass sie die Verantwortung des öffentlichen Dienstes immer nur knapp, manchmal auch gar nicht stemmen können.
Wunderbarer Cast: Benjamin McKenzie als Rookie, Shawn Hatosy als von seinen Ängsten getriebener Detective, Regina King als ewige Zweiflerin an ihrem Können, Michael Cudlitz als kaputter Ausbildner mit Stützkorsett, Tom Everett Scott als Enttäuschung. Tolle Gaststars für einzelne Seasons: Emily Bergl, Lucy Liu, Jenny Gago, Lou Diamond Phillips. Und der heimliche Held, C. Thomas Howell als das doofe Arschloch, das dank seines irren Kodex immer auf die Beine fällt.
Southland lebt von seiner Atmosphäre, den gezielt gewählten Farb-Filtern, der meist sehr tief gehaltenen Kamera und dem immer wieder spürbaren Dreck von Straßen und Projects. Southland lebt von exzellent entwickelten Charakteren, die nicht schon in Folge 1 alles über sich verraten (the dickensian aspect... ).
Mir kommt dabei auch immer deshalb ein Seufzer aus, weil in allen deutschen oder österreichischen Versuchen sowas oder eine simple Krimi-Serie zu kopieren das, was Southland so vorbildlich leistet, so dümmlich missachtet wird: die Realität nicht zu beugen, ins Lächerliche zu überdehnen, sondern sie zu nutzen.
Die Geschichten, auch die allerwildesten, liegen auf der Stra?e und warten darauf aufgeklaubt zu werden, auch in Österreich, von Amstetten bis Attnang-Puchheim. Die hiesigen Drehbuchschreiber (und das trifft auch auf die branchenbesten, die Schnell-sten zu) haben so viel Angst vor diesen Themen, dass sie sich hinter Leichenbergen oder den bösen Auren von Serienmördern verstecken müssen.
So viele Morde (noch dazu solche mit komplex gesponnenen Intrigen und oft vom unwahrscheinlichsten Verdächtigen begangen) wie in einem Monat im Fernsehen verrichtet werden, hat das echte Österreich in einem Jahr nicht anzubieten.
Deshalb liefern auch nur satirisch-überhöhte Todesfälle oder vertrackte Ermittler ansatzweise Qualität, während sonst Fadgas aus den allzu vielen Leichen ausströmt.
Beschwerde 4: Sorry, Mandela - zu spät für den Jahresrückblick
Diese Beschwerde haben, ich weiß, bereits andere und auch bereits in der richtigen Form geführt.
Wer seine Jahresrückblicke bereits Ende November abführt, hat die Abfuhr aber auch verdient. Seit Jahren rücken alle immer weiter nach vorn, in einem Wettbewerb der Gedankenlosigkeit. Anstatt das in der Weihnachts-Feiertags-Woche, wo ohnehin wenig außer geistlosem Geglotze abgeht, zu platzieren (in der dann maximal noch ein Tsunami alles über den Haufen werfen kann) haben die Stationen in trauter Einigkeit bereits das meiste versendet.
Sorry, Orkan Xaver, ein Pech, Herr Mandela - wer nicht rechtzeitig kommt oder stirbt, findet dann halt nicht statt, basta.
Zitat: Am Ende wird es Xaver nicht mal in irgendeinen Jahresrückblick schaffen, was auch damit zu tun hat, dass Jahresrückblicke in Zeiten von Informationsattrappen-Journalismus jetzt schon im November gesendet werden.
Ich erwähne das hauptsächlich deshalb auch noch hier in dieser uncharmanten Beschwerde-Aufzählung, weil dieser scharfzüngige Blogger da im Zusammenhang mit der Xaver-Berichterstattung den wunderbaren Begriff des Attrappen-Journalismus kreiert hat und das auch schön mit der Walulis sieht fern-Reihe bebildern konnte. Dem sowieso besseren, weil komprimierteren Fernsehen.
Im übrigen sind in die Jahresrückblicks-Irrsinns-Kritik (die am Radio völlig vorbeizielt, dort hat man die Muße, zuzuwarten) auch die Print-Medien einzubeziehen: sowohl Spiegel als auch Süddeutsche haben ihre fetten JRB-Publikationen selbstverständlich bereits seit Ende November auf dem Markt. Wobei die zumindest die Ausrede "das Weihnachtsgeschäft!" vor sich hin säuseln dürfen.
PS: nach soviel Gesuder darf ich mir jetzt selbst die Aufgabe stellen, an dieser Stelle morgen vier Medien-Lobpreisungen vorstellig werden zu lassen. Selber schuld.