Erstellt am: 5. 12. 2013 - 18:44 Uhr
Fucked up im weißen Salon
Erschütternderweise ist es schon wieder eine Woche her, da hat Schmieds Puls im Austrian Cultural Forum in London gespielt, mitten in Knightsbridge, einem von russischen and arabischen Oligarchen neuerdings mit Swimming Pools und Privatsaunas untertunnelten, sonst eher leblosen Teil Londons, wo das Nachtleben eigentlich nur der Security gehört. Aber vor einem der Zuckergussfassadenhäuser hängt eben die rot-weiß-rote Fahne, und dahinter findet allerhand an Dingen statt, die eher wenig bis gar nichts mit Popkultur zu tun haben.
Insofern war es ein echtes Experiment, als Mira Lu Kovacs alias Schmieds Puls sich dort letzten Donnerstag im weißen Salon mit ihren zwei Gitarren vor dem Bösendorfer auf den schwarzledernen Klavierhocker setzte und Songs aus ihrem neulich beim als Kanal für eklektischen Almost-Pop aus Österreich längst unverzichtbaren Jazzwerkstatt-Label (siehe König Leopold, Maja Osojnik, Willi Landl, Angela Maria Reisinger) erschienenen Debüt-Album Play Dead vortrug.
Ich hatte Mira zum ersten Mal live gesehen, als sie im Sommer beim von Patrick Pulsinger programmierten Wiener Popfest allein und furchtlos den überdachten Innenhof des Wien Museums bespielte.
Der weiße Salon in London ist räumlich gesehen so ziemlich das genaue Gegenteil davon, nämlich ein kleiner, warm und trocken klingender Raum mit Parkettboden und Stuckdecke. Er bedarf aber desselben Sinnes für konzertantes Drama, den Mira beim Popfest bewiesen hatte:
Das Spielen mit der Reduktion, der Mut, ein Set beinahe a capella mit einem gesprochenen Text und wenigen verstreuten Gitarrennoten zu beginnen (“How Many Days Has February“/“Silently Agree“) und ihr Publikum lange raten zu lassen, was da noch nachkommen könnte. Die ökonomisch eingesetzte klassische Zupftechnik mit ihrem genau durchkonzipierten Fingersatz, inklusive des genauen Wissens, wie lange jeder Akkord anzuhalten und wann der dämpfend auf die Saiten gelegte Handballen wieder für absolute Stille zu sorgen hat.
Dazu noch eine Stimme, die sich gleichberechtigt mit der Gitarre die melodische und rhythmische Arbeit teilt.
Robert Rotifer
Was ich vor dem Londoner Konzert noch nicht wissen konnte, ist, mit welcher Souveränität Mira Lu Kovacs dem Publikum in extemporiertem Englisch die Geschichten ihrer Songs erzählen, uns ihre Gitarren per Vorname vorstellen und mehrmals bekennen würde, wie sehr sie die Anwesenheit ihres Schlagzeugers Christian Grobauer und des Bassisten Walter Singer vermisst – wobei ich schon sagen muss, dass dieser Abend gerade von der oben beschriebenen klanglichen Nüchternheit ihres Solo-Spiels profitiert.
Jazzwerkstatt
Play Dead von Schmieds Puls - gutes Cover auch.
„Prague“ zum Beispiel ist in der Band-Version auf dem (übrigens sehr empfehlenswerten) Album ein jazzig/akustisch-songwriterischer Song mit leichtem R&B-Einschlag, wie man ihn mit viel Glück auch zwischen den Jack Johnson-Nummern in einem besseren Karottenkuchen-Café hören könnte. Hier klingt dieses Lied dagegen wie eine spannende, die Faulheit der Intuition herausfordernde Montage aus Sperrigem und Rundem (nicht falsch verstehen, das Album ist auch keine glattgebügelte Affäre, nicht umsonst versteckt sich der einzige klassische Uptempo-Airplay-Song darauf ausgerechnet ganz am Schluss als Hidden Track).
Auch die Welt-Diagnose “This is all so fucked up“ zu Beginn von “Spider“, dem zentralen Indiz für meinen „Joni-Mitchell ab Hejira“-Vergleich (der übrigens falsch liegt, Miras Vorbild ist vielmehr Ani DiFranco), hallt in diesem Haus der gepflegten Kulturdiplomatie besonders kraftvoll nach. Genauso wie “In fact I found out that you screwed all those people“ in der vorletzten Strophe des formidablen Anklage-Lieds “Shame On You“. Kaum sonstwo in London fallen solche Wörter so selten wie hier.
Aber da ist nichts Kokettes dran. Mira, die halb aus Niederösterreich, halb aus dem Burgenland kommende, einst mit 15 zum Musiklernen und -machen nach Wien gekommene Künstlerin, hat uns doch gerade vorhin – ich glaube vor dem Song “You Will Always Have a Piece of my Heart“ – erst erklärt, dass der „Schmied“ in ihrem Bühnennamen die Übersetzung von Kovacs aus dem Ungarischen, der „Puls“ wiederum eine Metapher für rohe Herzensangelegenheiten ist.
Nach dem Konzerterlebnis hab ich Schmieds Puls für meine Sendung FM4 Heartbeat interviewt. Diese, inklusive des Interviews, ist hier nachzuhören.
Robert Rotifer
PS: Zum dienstäglichen Auftritt von mimu am selben Ort mehr demnächst und hier.