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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

5. 12. 2013 - 20:38

The daily Blumenau. Thursday Edition, 05-12-13.

A little faltering. Über Paradigmenwechsel in der Lebensplanung und in der Rezeption von investigativem Journalismus.

Seit der Nationalrats-Wahl online: der Versuch das klassische Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Und das mit Items aus diesen Themen-feldern.

Gelegenheits-Hopping oder Verdienst-Sammlung?

#moral #fußball #ökonomie #medien

Mithilfe des (Fußball-)Wettskandals trainieren wir unser Verständnis von Wirtschaft, sagt Armin Thurnher im gestrigen Falter. Skandale sind in Österreich Bildungsprogramme, eine in sich strukturell korrupte Gesellschaft benützt das als Anschauungs-Unterricht für die Verbesserung der eigenen Fähigkeiten - wozu erst einmal das Verstehen der Abläufe gehört. Mir ist der Ökonomie-Vergleich zwar in einem Nebensatz von Lotto-Chef Stickler aufgefallen, ich habe dann aber nichts daraus gemacht - Armin Thurnher ist eben der bessere Blogger.

Der beste Satz in des Falter-Chefs aktuellem, wie immer nicht verlinkbaren, sondern nur im Heft zu lesenden "Seinesgleichen geschieht" ist aber ein anderer: "Und da uns der Sport lehrt, wie das Leben funktioniert, lernen wir das Leben nicht mehr als mühevolle Aneinanderreihung von Verdiensten einzuschätzen, sondern als Folge von Gelegenheiten, die wir nicht verpassen dürfen"

Yes, but no, but yes, but no, but...
Zum einen ist zweiteres die ewige amerkanische Herangehensweise ans Leben (bzw die zwei, drei, vier, unendlich vielen Leben, die man in den USA haben kann), zum anderen ist ersteres nicht umzubringen. Vor allem im Sport. Der dort in den letzten Jahren aufgetauchte "akribische Arbeiter" ist (egal ob Koller oder Guardiola) das Anzustrebenswerte Ideal. Und natürlich ist der Praktikumismus eher das Kumulieren von Meriten als die Chance auf eine Gelegenheit.
Aber insgesamt ist dieser (mögliche) Paradigmenwechsel etwas, worüber sich nachzudenken und selbst/fremdzubeobachten lohnt.

Visonäre Steilvorlage für den investigativen Journalismus?

#medienpolitik #demokratiepolitik

Ein paar Seiten weiter (und auch zumindest ein bisserl verlinkt) nimmt sich Florian Klenk eines Themas an, das bei mir seit, Moment... zumindest dem 17. 9. (da hab' ich die dazugehörige Notizsammlung eröffnet) auf der Agenda steht: der seltsam-scharfe Kritik einzelner österreichischer Medien-Akteure am investigativen Journalismus.

Unter dem aussagekräftigen Titel Sind Aufdecker Verbrecher? wehrt er sich gegen die Vorwürfe des Verlagsleiters Hans-Jörgen Manstein, der von Klenk höflich und mit dem Hinweis auf seine Rolle als Veranstalter der heimischen Medientage als ernstzunehmenden Kollegen bezeichnet.
Eh.
Obwohl: die Manstein-Publikationen sind allesamt Branchenblätter, also Fachorgane, die ihr Thema (egal ob Touristik oder Maklertum) eher freundlich begleiten als kritisch hinterfragen. Die Medien-Branchenblätter Horizont und Bestseller sind zwar die klar bestbeleumundesten ihrer/unserer Branche, aber auch nicht frei von dieser Grundeinstellung, die logischerweise im krassen Gegensatz zum Leitbild des Falter und anderer kritische-politischer Medien steht.
Hier ist die gegensätzliche Meinung also vorprogrammiert - allein es überrascht die Heftigkeit.

Die Manstein-Kritik ist nicht neu (hier exemplarisch eine Äußerung von 2012, da eine Eröffnungsrede von 2011, da ein prototypisches Interview), wird aber selten auf Verlagsleiter/Herausgeber-Ebene entgegnet - auch weil den Playern dort sowohl Vision als auch Sprache dafür/dazu abgehen. Es bleibt kritischen Bloggern oder eben dem angegriffenen und reflexionstüchtigen Floran Klenk vorbehalten diese Debatte zu führen.

Mansteins Argumente im Kurzdurchlauf: die ständige Reduktion von investigativem, also enthüllendem Journalismus auf das eher unkritische und unüberprüfte Bereitstellen von (oft noch dazu anonym) Geleaktem nervt und ist zudem unethisch. Da gehe schnelle Anpatzerei von langatmig-knochentrockener Recherche. Faire Prozesse seien, wegen der medialen Vorverurteilung auch nicht mehr möglich.

Der Polizist hatte sich, wohl weil Leser, der Krone anvertraut. Und es sind Polizisten, auch höhere Chargen, die Details des Wettskandals an die (diesbezüglich allerdings auch stetig bohrende) Krone weitergegeben haben. Diese Facette des Enthüllungs-Journalismus spart die Manstein-Klenk-Debatte allerdings aus.

Außerdem stellt sich Manstein hinter den Amtsmissbrauchs-Paragrafen, dem jüngst der Polizist, der die Strafzettel-Verpflichtungs-Ungustelei der Polizei geleakt hat, zuletzt zum Opfer fiel.

Das überraschende an diesem - von Ämtern, Justiz und Politik natürlich geteilten - Standpunkt ist, dass er von einem Verleger kommt. Der natürlich gute alte Zeiten beschwört, Alfred Worm verklärt und als Ende der aktuellen Entwicklung den Wohlfahrtsausschuss der Französischen Revolution sieht. Das alles könnte einen veranlassen diese Aussagen abzutun. Da sie aber kritische Punkte berühren, tut Beschäftigung Not. In Österreich kommt die Diskurseröffnung eben oft aus eher verwehten Ecken.

Florian Klenk beschäftigt sich also nun; er erklärt sich und seinesgleichen, eine für den diesbezüglich eher keuschen Falter durchaus untypische Selbstreferenzialität.

Ich stelle mir nach dem Lesen seiner Erklärung diese Fragen: was ist wichtiger? Die Arbeit der Justiz nicht durch Veröffentlichungen zu erschweren, oder die allzu oft laue, zögerliche und durch zuletzt wieder wegen der Weisungsgebundenheit vieler Beamter in der internationalen Kritik stehende Justiz zu kontrollieren? Wo bleibt angesichts der milden oder gar aufgehobenen Urteile gegen Korruptionisten die angeführte Justiz-Beeinflussung? Wieso sollte das Medienrecht stärkere Kontrollen für Investigationen einziehen, noch ehe der Gesetzgeber die vielen Justiz-Lücken schließt durch die Korruptionisten immer noch entfleuchen können?

Klenk gibt dann angesichts vieler aktueller und auch historischer Verfahren (wie das gegen den NS-Arzt Heinrich Gross oder den Omofuma-Prozess) Tipps, wie man mit juristischen Tricks ganz legal an Infos kommen kann, die sonst unter Verschluss geblieben wären, und, ja, das mag teilweise echt nach Boston Legal klingen, es geht aber immer um die Parteinahme für die echten Opfer; nicht die Angeklagten, deren Schutz Manstein und die Justiz gestärkt sehen wollen, sondern die Geschädigten, die sonstwo keine Stimme kriegen.

Das ist nicht nur eine elegante Replik auf den etwas strangen Amtsmissbrauchs-Vorwurf von Manstein, sondern auch eine Steilvorlage für den seriösen Investigativ-Journalismus, der sich zuletzt vielleicht eine Spur zu sehr in die Täter verbissen hatte, anstatt die Opfer vor den Vorhang zu holen.

Vor allem strotzt Klenks Geschichte vor historischen und juridischem Wissen, denkt und folgert praxisnah ohne die Meta-Ebene aus den Augen zu lassen. Damit sollte die vergleichsweise einspurige Manstein-Polemik eigentlich vom Platz serviert sein. Auch weil er eine Vision liefert und nicht mit Selbstkritik spart.

Aber wie so oft geht es auch in dieser Debatte nicht um die Überlegenheit von Argumenten, sondern um die Interessenspolitik dahinter. Da ist es nicht anders als im großen internationalen Vergleich, wo der Guardian ja immer noch Troubles wegen seiner NSA-Berichterstattung bekommt, mit (offiziell) duchaus ähnlich gelagerter Begründung.