Erstellt am: 4. 12. 2013 - 17:35 Uhr
Sex(y), realistisch
Radiotipp
QueereS Kino und Queeres TV sind am 4.12. die Spezialgäste in der FM4 Homebase (19-22 Uhr)
Es war einmal... Ellen. Ellen DeGeneres, mittlerweile eine der erfolgreichsten und lustigsten TV-Show-Hosts Amerikas, hat mit ihrer Sitcom "Ellen" in den 90er Jahren lesbische Fernsehgeschichte geschrieben. 1997 lief die vierte Staffel dieser an sich harmlosen Serie rund um eine Buchhändlerin, als in der "Puppy Episode" eine angebliche Bombe platzt. Die Serienfigur Ellen ist verliebt, und zwar in Susan, die von Laura Dern gespielt wird. Dass Real-Life-Ellen DeGeneres gleichzeitig in amerikanischen Talkshows ihr öffentliches Coming Out hat, machte die Sache zum Meilenstein in Sachen lesbischer Sichtbarkeit. Die beiden Teile dieser "Puppy Episode" aus Ellen sind nach wie vor sehenswert - und wer alle lesbischen Insiderjokes mitsprechen kann (der Toaster! Melissa Etheridge!), hat wahrscheinlich auch alle Folgen von The L-Word gesehen. Laura Dern hat übrigens später erzählt, dass sie nach dieser Rolle in "Ellen" für eineinhalb Jahre keine Rolle mehr bekommen hat. "Ellen" als Sitcom hat es nach dem Coming out nicht mehr lange gegeben. Dafür darf Ellen als Entdeckerin von Justin Bieber gelten.
Der erste schwule Teenager, der eine tragende Rolle in einer der zentralen Teenie-Serien der 90er Jahre spielen sollte, war Jack (Kerr Smith) aus Dawson's Creek. Sein Coming Out war ein großes Drama. Tränen, Schuld und am Schluss die große Versöhnung, ein Coming Out als Tearjerker inszeniert. Wer da nicht mitheult, dem ist auch nicht zu helfen.
In amerikanischen Blogs kursiert gerade der Begriff "queer-baiting" - gemeint sind queere Subtexte die nur als Köder für die Community dienen, die als eine der treuesten Serien-Fans gilt. "Queer-baiting, for those who do not know, is the practice of television shows and movies putting in a little gay subtext, stirring up interest with queer fans, and then pulling a NO HOMO, MAN on the viewers. (...) Mere speculation that a character could be gay is played for laughs, and if you don't see something wrong there, then there's something wrong."
Jack aus Dawson's Creek ist aber eigentlich ein Auslaufmodel in Sachen queerer TV-Repräsentation. Der andere Jack, der aus "Will and Grace", machte die Figur des "lustigen Homo" vom Sidekick zur Hauptrolle. Über das Für und wider dieser Form, queere Inhalte im Mainstream zu positionieren, wird seitdem nicht nur in queer-akademischen Kreisen gestritten.
Muss man als Schwuler, Lesbe oder Trans*Person schon froh sein, wenn man vorkommt, wenn auch als Klischee (der flamboyante Schwule, die kämpferische Lesbe, etc.)? Oder darf man ein bisschen mehr an Differenzierung verlangen, ohne gleich als undankbar zu gelten?
Der Boom an meisterlichen amerikanischen TV-Serien in den letzten zehn Jahren hat das Spektrum jedenfalls enorm erweitert. Mit "Queer as Folk" und "The L-World" gab es zwei Serien, die fast ausschließlich queeres Leben, oder das, was im Fernsehen davon gut aussieht, zum Thema hatten. Und mit der äußerst erfolgreichen Comedy-Serie "Modern Family" kamen Cameron und Mitchell in die amerikanischen Wohnzimmer. Ein schwules Paar mit einem adoptierten Kind, das Teil einer größeren Familienkonstellation ist, die über mehrere Generationen geht. "Modern" soll hier heißen: Patchworkfamilie. Und tatsächlich wurde wohl noch nie so selbstverständlich über queere Elternschaft gelacht wie in Modern Family.
Dass am Kern der Kernfamilie nicht gekratzt wird, ist eines der leicht irritierenden Elemente der Serie, genauso wie der Umstand, dass Cameron und Mitchell wenig bis keine körperlichen Affekte zeigen. Ist das der Preis für das Hauptabendprogramm?
We are Family?
Familie, also Kinder kriegen und heiraten, das ist für die queere Community das Wichtigste - könnte man meinen, wenn man aktuelle TV Serien verfolgt. Ohne dem weißen, schwulen Paar, das darüber streitet, wer mit dem SUV das adoptierte Kind von der Schule abholt, scheint derzeit keine Serie möglich. Der romantische Terror des Wedding-Business hat die queere Serienwelt im Sturm erobert. "The New Normal", die schwule Familienserie von Autor/Produzent Ryan Murphy hatte das alles, inklusive Adoption, auch im Programm, ist über die erste Staffel nicht hinausgekommen. Seine anderen beiden Produktionen, "American Horror Story" und vor allem "Glee", haben aber immer noch genug queeren (Sub-)Text und vor allem Fans, um monatelanges queeres Binge-Watching zu ermöglichen. Wie in "Glee" - in seinen besten Tagen - mit Verve die Klischees und Fallen der Repräsentation von Minderheiten einfach weggesungen und -getanzt werden, hat zu einigen der "schwulsten" Momente der Seriengeschichte geführt, die halbnackten Kerle von True Blood, Spartacus und Teen-Wolf einmal ausgenommen.
Die Zukunft
Die Gefängnis-Serie "Orange is the New Black", die vom Streaming-Dienst Netflix produziert wurde und dieses Jahr eine fulminante erste Staffel hingelegt hat, gilt als eine der progressivsten Serien in Sachen "Sexual Politics". Mit der Trans-Figur Sophia, dargestellt von real-life Transgender Laverne Cox, werden Fragen nach sexueller und Gender-Identität im Brennspiegel des Genres "Frauengefängnis" ganz neu gestellt.
Über queeres Leben im San Francisco der Gegenwart will uns die neue HBO Serie "Looking" demnächst mehr erzählen. Als "Girls für Schwule" wurde diese Serie schon gepitcht, vielleicht ist es auch nur ein Hipster-Update von "Queer as Folk". Der Regisseur der ersten Episode heißt jedenfalls Andrew Haigh, und der hat schon mit seinem Film "Weekend" neue Standards für eine sexy realistische, nüchterne queere Liebesgeschichte gesetzt. Da ist die Welt der TV-Serien ausnahmsweise noch hinterher.