Erstellt am: 4. 12. 2013 - 17:30 Uhr
The daily Blumenau. Wednesday Edition, 04-12-13.
Seit der Nationalrats-Wahl online: der Versuch das klassische Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Und das mit Items aus diesen Themen-feldern.
Das ist ein beinhartes Protestlied. Allerdings richtet sich die Kritik nicht gegen eine bestimmte Gruppe, sondern gegen jedermann, der sich betroffen fühlt; auch gegen mich selbst.
#demokratiepolitik
Unlängst in der Redaktion: kleine zufällig entstandene Diskussion darüber, ob es angeht noch beim zunehmend widerlicher auftretenden quasi-monopolisierten Online-Händler zu bestellen; um schließlich bei in Asien hergestellten Socken und der Frage ob dieser Konsum eher angeht und der Frage wo man für sich die Parameter einziehen soll, zu landen.
Unlängst in meinem Kopf: ich kenne Michel Reimon, zwar nur flüchtig, aber schon eine Weile. Und vor allem: er ist dort, in meinem Kopf, positiv konnotiert. Das begann bei der Ex-Freundin, die seine Arbeitskollegin war und immer nur Gutes zu erzählen hatte und endet mit meinen immer fruchtvollen Begegnungen. Jetzt ist Reimon die Nummer 2 der Grünen für die EU-Wahlen und ich überlege, ob mich das so beeinflusst dass ich mich da komplett raushalten soll, schreiberisch. Andererseits: ich kenne und schätze auch Niko Alm und bin trotzdem nie in Verlegenheit gekommen, die NEOS irgendwo/-wie komisch zu featuren.
Rein zufällig höre ich gerade in dieser Sekunde eine Cover-Version eines alten Dylan-Stücks, Outlaw Blues: da heißt es "I got a man in Jackson and I ain't gonna say his name; you know he's a brown skinned man, but i love him just the same". Das was 1966 noch eine unerhörte politische Provokation war, ist heute, fast 50 Jahre später, so eigentlich nicht mehr sagbar. Was tun? Nicht mehr spielen? Immer den Kontext erklären?
Unlängst in den Niederungen der heimischen Debatte: Erregung über einen Licht-ins-Dunkel-Spot, der sich den Thema Behinderung zwar lieblich (über das beliebte Sujet des Kindermunds) annähert, aber ein No-Go berührt: er insinuiert, dass Behinderte, in diesem Fall ein Rollstuhlfahrer, gefixt, repariert werden können/sollen. In der Folge das übliche Aneinandervorbeigerede derer, die es gut meinen und eher um Anschaulichkeit für den (doofen) Mainstream als an punktgenauer Korrektheit interessiert sind, und den Puristen.
Alles Fragen der politischen Korrektheit, alles dauernd und immer präsent in unseren Leben, von Kleidung über Nahrung bis hin zum Verhalten den Mitmenschen gegenüber. Und sie existieren, egal ob wir sie aufnehmen und uns damit beschäftigen oder sie ignorieren.
Unlängst an meiner Haustür: dem Mann von Stiege 2, der es nie schafft mir die Tür kinderwagengerecht aufzuhalten, ist das alles wurscht. Er ist das, was man früher einen Privatgelehrten nannte, publiziert für ein stramm reaktionäres, monarchistisches bis nationales Publikum ein paar Broschüren und bessere Flugzettel im Jahr und lebt von als Abos getarnten Spenden.
Ich hab' mich durch seine Netz-Präsenz geklickt: mit dem simplen Freund-/Feind-Schema ist das alles kein Thema. Alle, die frömmelnder oder aggressiver Volkstümelei frönen sind heldenhafte Starhembergs, alle, die andere Kulturen und Denkungsarten reinbringen wollen, nur entartete Verräter an Arterhaltung und ideologischer Volksgesundheit.
Weil die Garage X nächste Woche die Verteidigungsrede von Breivik als Monolog aufführen will: auch die Schriften des Schlächters von Utoya weisen eine solche Denke auf, und natürlich kann die durch ihre immanente, einfache, höchst geradlinige Stringenz eine Menge Interesse entfachen.
So etwas wie ein differenziertes Menschenbild gibt es da nicht, so etwas wie eine differenzierte Sicht auf die Welt findet nicht statt - ist ja auch nicht notwendig, wenn es nur darum geht, möglichst simple und in die eigene Ideologie passende Antworten auf (all zu) komplexe Fragen zu finden, Antworten, die sich durch einen Kern einer gewissen Nachvollziehbarkeit erfreuen.
Das reicht oft schon.
Natürlich nur so weit wie die Nasenspitze.
Denn die zentralen Zukunftsfragen, die den Planeten in seiner unentrinnbaren Gesamtheit beschäftigen, werden durch das Wegdrücken, durch die Selbstbeschränkung auf Clan-Interessen und archaische Blutbande ja nicht gelöst. Im Gegenteil.
Nun dient das Schlagwort der politischen Korrektheit nicht nur den unbeirrt auf ihre blutige Scholle Starrenden, sondern auch Denkfaulen und Handlungsoptionsarmen jeglicher Ideologie als ritualisierte Aufschrei-Hilfe. Vor allem dann, wenn die Komplexität der Gegenwart überlegte Lösungen erfordert, dient das Gejammer über die angeblich übermächtige political correctness in erster Linie dazu, sich a) nicht beschäftigen zu müssen oder sich b) mit der erstbesten gutklingenden Antwort zufriedengeben zu können.
Und weil es auch innerhalb dieses Themas keine einfachen Erklärungen gibt, kommt es zu folgendem Paradox: die besten Helfer der bigotten PC-Klageweiber sind die Scharfmacher unter den Vorantreibern der politischen Korrektheit, die Trolle dieser Szene diejenigen, die sich am Vernadern aufgeilen. Vor allem jene, deren Hobby es ist, jede noch so kleine Ritze auf Eventualitäten auszuleuchten und mit Vorschriften einzudecken. Man erkennt diese Menschen daran, dass sie bereit sind, das eigentliche Ziel sofort aufzugeben, wenn die Möglichkeit einer neuen Verkomplizierung besteht; es sind die, die jedes eigentlich schon fertige Paket aufschnüren, weil sie drin ein vorgeblich bedeutendes, noch unbeacktertes Detail vergessen haben wollen.
Dieser unheiligen Koalition von Zuwenig und Zuviel, diesem zweiköpfigen Monstrum der asozialen Ich-Bezogenenheit, den zwanghaften Vermeidern verdankt die politische Korrektheit das aktuell nur mäßige Image.
Das ist natürlich nicht so förderlich.
Und vor allem angesichts der Tatsache, dass die Basis der political correctness die Überlegung ist, wo wir als Gesellschaft die Parameter einziehen, mit denen wir aktuell (aber auch im Hinblick auf die Welt, die wir hinterlassen wollen) leben können/wollen und genaue Fragen, gezielte Überlegungen und komplexe Antworten, die trotzdem in umsetzbaren Lösungen münden, ausarbeiten. Daran führt kein Weg vorbei - außer dem (in der Praxis eh schon sehr unrealistischen) der radikalen Segregation, der kompletten Abschottung, den die extreme Rechte vorantreibt.
Die politische Korrektheit soll und muss der wichtigste Index einer künftigen Gesellschaftsordnung sein, sofern sie noch demokratisch funktionieren will. Dafür gilt es, ganz ähnlich wie im auf uns zukommenden fetten Problemfeld rund um Big Data, unsere Tendenzen zu höhlenmenschigen Fluchtreaktion auf der einen und Überkompensation auf der anderen Seite zu überwinden.