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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

3. 12. 2013 - 19:30

The daily Blumenau. Tuesday Edition, 03-12-13.

Das neue Musiker-Prekariat durch das Sezieren des alten begreifbar machen: die Coen Brothers schaffen mit 'Inside Llewyn Davis' mehr als nur ein Portrait der New Yorker Folkszene von Anfang 60.

Seit der NR-Wahl online: der Versuch das klassische Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so ansatzweise Täglichkeit hinzukriegen. Und das immer mit Items aus diesen Themenfeldern.

#musik #politik #jugendkultur #sixties #bewegtbild

Kann sein, dass Inside Llewyn Davis der bislang beste Film der Coen Brothers ist - mir stünde da zumindest Barton Fink zu stark im Wege - aber das ist eine Frage, der wohl nur Filmkritiker interessiert.

Ich gehe ins Kino, um mein Leben bereichert zu sehen, und da spricht Inside Llewyn Davis echt viele (und dann auch noch wunderbar beleuchtete) Themen-Bereiche an.

Die Coens erklären da, scheinbar nebenbei, die neue prekäre Musiker-Welt und zwar indem sie die alte prekäre Musiker-Welt sezieren.

Mehr zu Dave Van Ronk, dem Mayor of MacDougal Street, vor allem auch seine Musik hier.

Die beste Beschreibung dieser Zeit kommt aber von Dylan: in seinen Chronicles, Volume 1 beschreibt er Zeit und Atmosphäre geradezu seismographisch genau, vor allem was die im Film so gut getroffene Couchsurfer-Muffigkeit angeht.

Denn zwischen der Kunstfigur Llewyn Davis, der lose auf diversen echten Folkies der Greenwich Village-Szene (vor allem auf der Biografie von Dave Van Ronk) rund um 1960 basiert, und heutigen Proponenten besteht wenig Unterschied, was Lebensumstände und Verwertungs-Ketten betrifft. Die abgefuckten Label-Chefs, die schmierigen Booker, die berechnenden Manager sind ebenso wieder da wie das wenig glamouröse Leben von der Live-Musik oder das Couch-Surfing, wenn man dabei nicht so erfolgreich ist.

Die Coens haben die Zeit (den Herbst 1961) und den Ort (die Folk-Clubs auf der MacDougal Street, New York) mit Bedacht ausgewählt. Während wir Llewyn Davis, den Großmeister der falschen Entscheidung, egal ob privat oder beruflich, beim Scheitern zuschauen, dräut im Hintergrund eine neue Zeit. Eine, die dann auch Farbe reinbringt in die bei "Inside Llewyn Davis" noch so gut wie schwarz-weisse, an allen Ecken triste inhaltsleere Welt der auslaufenden 50er.

Jemand, der sich nicht mehr damit begnügt das Tradierte, das Übertragene in all seiner Reinheit zu bewahren (wie das die Folkies dieser Ära als Leitmotiv vor sich hertrugen), sondern den Menschen seine eigene, höchst zeitgemäße Version davon zu Gehör zu bringen, würde alles niederreißen.

Die letzten Minuten des Films zeigen nicht nur wie die letztlich an seiner eigenen inneren Muffigkeit erstickende Hauptfigur im Backyard des Gaslight Cafes (irgendwie auch zurecht) verdroschen wird, sie zeigen auch kurz den Auftritt des Künstlers nach ihm: Wir sehen ihn nur von seitlich hinten, er hat verwuscheltes Haupthaar und spielt Dink's Song - Fare Thee Well. Dort wo Davis aufgibt, startet Bob Dylan durch.

Damit das nicht allzu dokumentarisch daherkommt, drehen die Coens die historischen Fakten so wie es ihnen passt. Dylans späterer Manager, den Newport-Festival-Gründer Albert Grossmann, der 61 bereits (mit Peter, Paul & Mary supererfolgreich) in New York war, besucht die Filmfigur Davis da noch in Chicago, in seinem alten Club; damit Grossmann, den die Coens Bud bevornamen, ihm, nach erfolglosem Casting als Solo-Künstler dann eine Rolle in einem Dreier-Projekt anbieten kann, von dem man ahnt, dass es erfolgreich werden wird. Llewyn lehnt natürlich ab.

Manch einer der damaligen Folkies, wie der tatsächlich in Fort Dix stationierte Tom Paxton, wird sehr eng angelehnt dargestellt. In anderen, wie dem von Justin Timberlake unglaublich stilecht verkörperten Jim, stecken gleich mehrere Vorbilder. Unter anderem auch der Chef selber, Dave Van Ronk, der Mayor der MacDougal Street, der King des Village, aus dessen Autobiografie die Coens die Athmosphäre der Zeit gesaugt haben.

Und um auch die Antithese aufzustellen, gibt der unvermeidliche John Goodman einen am legendären Doc Pomus angelehnten heroinsüchtigen Jazzer, der voller Verachtung auf die Folkies blickt.
Aber es werden sie sein, die die Umwälzungen der nächsten Jahre mitanstoßen, begleiten und in einer inhaltlichen Schärfe kommentieren werden, die man bis dorthin in der (durchaus auch chartstauglichen) Pop-Musik noch nie erlebt hat. Die New Yorker Folk-Szene Anfang der 60er war tonangebend, verantwortlich für den Soundtrack zur Epoche der Befreiung (von Klassenschranken oder alten Frauenbildern), gegen Krieg (Dylan und Baez beim March on Washington) und gegen eine Gesellschaftsordung, die nach 1968 dann nicht mehr dieselbe war.

All das beginnt am 6. September 1961 im Gaslight Cafe. Und der in seiner Welt eingekerkerte Llewyn Davis hat keine Chance: Er ächzt draußen in der Gosse, während drinnen der inhaltlich wagemutigere Dylan seinen Siegeszug antritt, weil er eben nicht brav Klassiker covert, sondern einen neuen selbstbestimmten Weg geht. The Rest is History.

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Dylan-Setlist-Infos gibt's hier - sie sind aber, vor allem in den frühen Jahren, nicht komplett. Der erste New York-Auftritt im Cafe Wha? von Jänner 61 fehlt etwa.

Die kurz angespielten Stücke "Car" und "Song to Woody" sind Aufnahmen vom erwähnten September-Abend im Gaslight, wo fast alles mitgeschnitten wurde. "Dink's Song (Fare Thee Well)" hat Dylan im Gegensatz zur Coen-Realität an diesem Abend nicht gespielt, sondern erst ein paar Tage später in Gerde's Folk City. Dafür war dort tatsächlich der im Film erwähnte (New York) Times-Kritiker anwesend. Der, Robert Shelton, hat daraufhin diese extrem karrierefördernde Rezension verfaßt.