Erstellt am: 3. 12. 2013 - 15:32 Uhr
People Ain't No Good
Nach dem Hass der amerikanischen Presse setzt sich jetzt das große Nörgeln in Europa fort. Und auch in deutschsprachigen Medien werden die Klingen gewetzt. „The Counselor“, die Kollaboration des Regieveteranen Ridley Scott und der lebenden Literaturlegende Cormac McCarthy, wird wohl auf den meisten Filmlisten des heurigen Jahres auf dem letzten Platz landen, belächelt, verspottet, verhöhnt.
Was ist es, dass die meisten Kritiker so erzürnt, verstört oder aufwiegelt und was steckt wirklich hinter dem strangen Mix aus überkandidelten Bildern und philosophisch angehauchtem Inhalt?
SILVIA SZYMANSKI schreibt beim Filmblog hardsensations.com. Am intensivsten über Filme aus dem Golden Age of Porn und als 13-Jährige in ihrem Filmtagebuch. Romane schreibt sie aber auch.
Nach einer persönlichen Einführung in das Schaffen des Ausnahme-Autors McCarthy meinerseits an dieser Stelle, ihr dürft auch Heiligsprechung dazu sagen, wurde es auch wieder Zeit, ein Treffen am virtuellen Kamin der Filmbesessenheit einzuberufen. Auf unterschiedliche Weise von diesem kontroversen Film fasziniert, folgen wir - Sebastian Selig, die deutsche Autorin und Bloggerin Silvia Szymanski und meine Wenigkeit, den Spuren des „Counselors“ in die Sackgassen und Abgründe im mexikanischen Grenzgebiet.
SEBASTIAN SELIG lebt im Kino und schreibt darüber in so bunten Magazinen wie Hard Sensations, NEGATIV oder der Splatting Image. Kürzlich hat er an einem Buch über seinen Lieblings-Regisseur Dario Argento mitgewirkt und gedenkt sich nun dem deutschen Sexfilm zuzuwenden.
Achtung: Spoilerfrei geht es bei unserer Plauderei nur mehr teilweise zu. Unmöglich, unter die schimmernde Oberfläche dieses Films einzudringen, ohne gewisse Schlüsselszenen zu diskutieren. Desweiteren entschuldigen wir uns gleich dafür, wenn das hier komplett ausufern sollte. Hinter „The Counselor“ ruht eben kein Vakuum, wie manche meinten, sondern im Gegenteil, viel zu viel um alles wirklich anzusprechen.
![© centfox The Counselor](../../v2static/storyimages/site/fm4/20131249/counselor1_body.jpg)
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Prominente Platzhalter und Antifiguren
CHRISTIAN: Wie erging es euch mit „The Counselor“? Und versteht ihr die hasserfüllten Reaktionen der meisten Kritiker?
SEBASTIAN: Der Blick auf die sengende Steppe, die sich da vor uns weit öffnet, auf die flirrende Hitze, den wirft man aus dem geradezu frostig klima-heruntergekühlten Inneren eines dieser protzig, schwarzen SUVs. Durch eine dieser übergroßen Panoramascheiben blickt man und wähnt sich selbst dahinter sicher ganz im Coolen. Und doch bleibt man nicht unberührt. Auch wenn unangreifbar zu sein für jeden hier als sehr erstrebenswert, ja mehr noch, als großes „dann hat man es geschafft“ zu gelten scheint. Es erwischt einen am Ende eben doch. Mich als Zuschauer auch.
SILVIA: Es ist oft schwierig, zu wissen, warum man mit einem Film nicht so viel anfangen kann. Mir hat er auch nur wenig bedeutet - sicher aber nicht wegen zu wenig Narration oder zu viel Abgrundthematik. Die philosophischen Sprüche mochte ich zuerst nicht wegen ihrer mit so viel Selbstgewissheit vorgetragenen banalen Inhalte; ich fand dieses Missverhältnis zunächst lächerlich. Aber dann hab ich sie als etwas genommen, womit sich die Figuren sehr gut selbst charakterisieren. Sie sind ja keine Philosophen. Sie sind Leute im Gewühl, die für den eigenen und den sie umgebenden Lebensstil klingende Rechtfertigungen und Erklärungen suchen.
SEBASTIAN: Ich glaube, was man dem Film womöglich wirklich übel nehmen kann, ist, dass er einen erzählerisch ja ziemlich in der Luft hängen lässt. Man sich vielleicht irgendwie sogar am Ende verschaukelt vorkommt, wird einem doch weder mit einem cleveren Plot-Twist oder gar einem erlösenden Finale noch einmal Erzählkino-mäßiger Honig ums Maul geschmiert. All diese kalten, mitunter sicher auch sehr verkopften Sprüche, die „The Counselor“ einem ständig um die Ohren pfeffert, wie die dann einfach nur sehr direkt und gnadenlos immer wieder runter in den Abgrund geworfen werden, ohne an Auffangen auch nur zu denken.
![© centfox The Counselor](../../v2static/storyimages/site/fm4/20131148/the-counselor1_body_small.jpg)
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CHRISTIAN: Ich würde ja so weit gehen und meinen: Das sind keine richtigen „Figuren“. Sondern archetypische Platzhalter für bestimmte, nahezu metaphysische Themen, die Cormac McCarthy wichtig sind. Und es gibt auch keine richtige „Erzählung“.
DIAMOND DEALER: To enhance the beauty of the beloved is to acknowledge both her frailty and the nobility of that frailty. At our noblest, we announce to the darkness that we will not be diminished by the brevity of our lives.
Ich glaube, mir vorstellen zu können, wie dieser Film entstanden ist. Nachdem Ridley Scott seine Adapation des literarischen Blutbads „Blood Meridian“ cancelte, bot er dem Autor an, in jedem Fall was mit ihm gemeinsam zu machen. Und die Stars wetzten schon unruhig im Vorfeld, weil jeder bei einem McCarthy-Film dabei sein will. Dieses Commitment wiederum schmeichelte dem Autor. Und er hat etwas geschrieben, was an der Oberfläche zum Style-Diktator Scott passen könnte. Aber in Wahrheit brutal seine schweren Inhalte einem Massenpublikum vorsetzt. Ein unmögliches Projekt im Grunde. Aber Friedrich Nietzsche hätte sich wahrscheinlich genauso geschmeichelt gefühlt.
SEBASTIAN: Ja, ich kann mir schon vorstellen, dass einem das nicht gefällt und man als Kritiker versucht ist, schützend die Hand um die Kinozuschauer zu legen. Umso mehr, wenn man sich selbst heute immer noch an die scheinbare Sicherheit einer „Handlung“ klammert, auch wenn sich das Kino hier selbst längst in wunderbarer Freiheit weiterentwickelt und weitestgehend davon befreit hat. Das man Handlung und die damit verknüpften Erwartungen an ein „Schauspieler-Kino“ irgendwie als Qualitäts-Kriterium begreift und sauer ist, weil der Film, weder das eine bietet, noch das andere sein will.
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Schnappen oder geschnappt werden
CHRISTIAN: Die nackte Hollywood-Wahrheit scheint ja zu sein, dass sich riskante Projekte dieser Größenordnung nur mehr mit Starpower verwirklichen lassen. Wenn du einen transgressiven Film machen willst, der dir mit der Knarre ins Gesicht fährt und die Welt den Bach runtergehen lässt und dein Drehbuch Low-Budget-Verhältnisse überschreitet, brauchst du einen Brad Pitt oder Ryan Gosling an Bord. Aber was passiert im konkreten Fall von „The Counselor“ durch die Kollision Superstars vs. radikale Thematik?
SEBASTIAN: Ich glaube, wenn sich aus der Entwicklung des Blockbuster-Kinos, der „Hollywood-Formel“, ein Schluss ziehen lässt, dann der, dass die alten Gesetze und Formeln, wie Stars = besondere Aufmerksamkeit, so wie früher heute einfach nicht mehr greifen. Weil in dieser Aufmerksamkeit nun viel weniger Bewunderung mitschwingt. Die Beziehung Star/Zuschauer ist mehr ein reines Sex-Ding geworden und gleicht heute sehr viel weniger einer Liebesbeziehung, solche Formeln gehen einfach kommerziell oft nicht mehr ganz so glatt auf. Die Treue fehlt. Schön ist es aber trotzdem, dass entsprechende Beteiligung großer Stars, einem immer noch solch seltsame Filme bescheren, weil eben immer noch daran geglaubt wird.
CHRISTIAN: Was ist nun das Schlüsselthema für euch?
COUNSELOR: You don't trust her.
RAINER: Jesus Counselor, she's a woman.
SEBASTIAN: Ich habe den Film beinahe als etwas verbittertes Lehrstück erlebt, als ungehemmt brutales „So ist das, wenn Du im Märchen den falschen Prinz küsst“. In einer Welt, wo alles nach einem schnappen kann und sich alles nur ums nicht geschnappt werden dreht.
CHRISTIAN: Lehrstück und Verbitterung, definitiv, da möchte ich gleich anknüpfen. Zum ersten: Cormac McCarthys Werke transportieren eine bestimmte Philosophie, die man vorschnell mit Sozialdarwinismus verwechseln könnte. Weil es oft ums Fressen und Gefressenwerden geht.
Aber in Wirklichkeit will uns dieser Autor, der im Übrigen die Outsider, Randfiguren und Getriebenen favorisiert, zwingen, Fragen zu stellen. Er treibt seine Platzhalter-Figuren an Endpunkte, wo es ums Ganze geht. Wo sich im Angesicht des Todes wirklich das Innerste offenbart, jenseits von Fassaden oder Masken. Er will auch den Leser aus seiner Komfortzone reißen, in der man es sich mit Meinungen, Ideologien oder Religion bequem gemacht hat. Auch „The Counselor“ ist so ein Fragestück, aber verwirrenderweise nicht in trostlose Betroffenheit gekleidet, sondern in Pulp und Glamour.
WESTRAY: I could live in a monastery, scrub the steps, wash the pots, maybe do a little gardening. Why not?
COUNSELOR: You're serious.
WESTRAY: Very.
COUNSELOR: Why don't you?
WESTRAY: In a word, women.
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SILVIA: Diaz‘ metallic lackierte Fingernägel und ihr Society-Lady-Leo-Look, Bardems unvergessliches Schmetterlingshemd aus Reiche-Tanten-Satin, Fassbenders exquisit legere Leinenhose… allmählich beginne ich, das als Märchenkleider anzusehen, aus denen Blut kommt, wenn man dran kratzt.
CHRISTIAN: Die angesprochene Verbitterung wiederum, brachte wohl auch Ridley Scott in den Film. Wer „Prometheus“ noch in Erinnerung hat: Ob man den mag oder nicht, da will uns ein Sci-Fi-Epos ganz überdeutlich sagen, dass die Menschen rücksichtslose, gierige, kapitalistische Arschlöcher sind. Und dass Gott oder die Götter da draußen im Universum die Schöpfung hassen und gerne ausradieren würden. Und zu diesem eher nicht optimistischen Weltbild addiere man noch den mysteriösen Selbstmord von Tony Scott während der Dreharbeiten. Man spürt die Verbitterung durch die stylische Verpackung tonnenschwer hindurch.
SILVIA: Ich habe „Prometheus“ nicht gesehen, und es gibt wirklich fürchterlich gute Gründe, sich vor Menschen zu entsetzen. Aber als Menschenbild, so allgemein, taugt so ein pauschal verdammender Blick nicht, dafür gibt es zu viel anderes. Wenn man verbittert ist, denkt man allerdings oft wirklich so. Mir fallen da oft die misanthropischen alten Leute hier im Ort ein und das alte Leierkastenlied, das meine Oma immer sang. Ihr war viel geholfen worden, und doch sang sie ihr Leben lang, im Brustton der Überzeugung: „Hilfe wird dir niemand geben / denn die Menschen von heut‘ haben kein Herz“…
MALKINA: Suppose that I told you that I had sex with my sister. Would you believe that?
PRIEST: You really have to go now.
MALKINA: Because I did. We did it every night. As soon as the lights were out we were at it. We’d be falling asleep at our desks the next day at school. They didn’t know what was wrong with us. But that’s not the worst thing. Do you want to hear the worst thing? You might say that it’s not really about sex but it is about sex. It’s always about sex.
SEBASTIAN: Ist das denn so? Öffnen sich da vielleicht nicht gerade doch jetzt wieder bei vielen die Herzen? Ist dieser abgeklärt zynische Blick nicht längst auch schon wieder ein Auslaufmodell, hat er doch letztlich nicht für Klarheit gesorgt und erst recht nichts Schönes entstehen lassen? Sehnt man sich da nicht längst wieder danach Dinge, Filme, Menschen einfach mal so zu umarmen? Ans Herz zu drücken? Sich gegenseitig zu unterstützen? Auf das sich Liebe und Begeisterung gegenseitig immer weiter hochschaukelt.
CHRISTIAN: Es gibt ja von Ridley Scott auch Filme, wo er Russell Crowe zum Weintrinken in die sonnige Provence schickt, wenn ich an den schrecklichen “A good year” denke. Ich für meinen Teil würde, wie in der Kunst so oft, meinen: Die Misanthropie tut seinem Werk gut.
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The Devil wears Prada
CHRISTIAN: Nun ist es so, dass in den Büchern von McCarthy und auch in den dazugehörigen Verfilmungen oft diabolische, überlebensgroße Männer die Geschichten antreiben. Mit der von Cameron Diaz verkörperten Malkina fungiert plötzlich eine Bling-Bling-Frau als Katalysator, die ebenso grausam agiert. Wie seht ihr diesen Charakter?
REINER: Are you really that cold?
MALKINA: The truth has no temperature.
SEBASTIAN: Tatsächlich blieb mir die von Cameron Diaz natürlich geradezu göttlich verkörperte Malinka, von allen Figuren gleichzeitig auch am Fremdesten. Warum sie so herz- und gnadenlos tut was sie tut, in der Zerstörung schwelgt und scheinbar nicht viel mehr will, als sich an was Glattem zu reiben oder hochstilisierten Vergnügen nachzugehen, ich habe da einfach nicht spüren können und begreifen wollen, warum. Okay, da ist die Verachtung, die sie gegenüber der etwas naiven Romantik der von Penélope Cruz verkörperten Laura empfindet. Und dass sie meint, das Kaputtmachen, Vorführen, mit einem Preis versehen zu müssen.
Aber wann und worin kommt diese Frau denn einmal selbst zum Leben? Wo da vielleicht manchmal was aufblitzt, ist, wenn man sie zusammen mit Javier Bardem/Reiner erlebt. In dem dankbar unausgesprochen bleibenden Eingespieltsein zwischen den beiden, auch wenn hier für mich viel auf Bardems unaufgeregt, ungerührte Herzlichkeit zurückgeht, mit welcher er stets auf sie reagiert.
SILVIA: „Nicht viel mehr will, als sich an was Glattem zu reiben“: Das ist sehr treffend. Ja, ich weiß auch nicht. Besonders hinter der Figur Malkina stecken eher mythologische Ideen als psychologische; sie ist am ehesten eine Dämonin.
![© centfox The Counselor](../../v2static/storyimages/site/fm4/20131148/the-counselor2_body_small.jpg)
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CHRISTIAN: Das ist der Punkt. Es gibt ja auch nicht verfilmte Passagen aus dem Skript, wo etwa der von Bruno Ganz gespielte Diamantenhändler die griechische Mythologie zitiert. Und von der Härte dieser Götterwelt gegenüber den Menschen spricht, im Gegensatz zum neutestamentarischem Gottessohn. Die Welt von Cormac McCarthy folgt dem harschen alten Testament. Und der griechischen Antike. Hier regieren Auge um Auge, Zahn um Zahn und finstere Göttinnen wie Malkina.
SILVIA: Die Gegensätzlichkeit der Paare Fassbender-Cruz und Bardem-Diaz fand ich reizvoll; das hätte auch Stoff für eine Komödie sein können, in der die frisch Verliebten entsetzt die aufeinander Eingespielten betrachten. Counselor und Laura: dezente Eleganz, formelhaft romantische Liebesworte, scheuer, keuscher Sex unter weißen Laken. (Er: „Sag etwas Schmutziges zu mir“, Sie: „Ich möchte, dass du mich da unten anfasst!“) Reiner und Malkina: Neureichenprotz, hemmungslos individuelle sexuelle Absonderlichkeit, auf Gedeih und Verderb aneinander geschmiedet Sein. Mit deutlichem Nachteil für Reiner.
CHRISTIAN: Wunderbar, dieser Gedanke. Wenn man sich dazu die wenig existenten Youtube-Schnippsel ansieht, wo sich der eigentlich extrem grimmige Cormac McCarthy zum Film äußert und er dabei verschmitzt grinst, dann entlarvt sich der Komödien-Aspekt noch mehr. Eine Komödie mit scharfen Drahtschlingen und Snuff-Videos, wir sind tief in Cormac-Country.
![© centfox The Counselor](../../v2static/storyimages/site/fm4/20131249/counselor8_body.jpg)
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Bunte Hunde mit Vaginalängsten
CHRISTIAN: Um bei den beiden gegensätzlichen Pärchen zu bleiben, bei der Kollision von Frauen und Männern in diesem Film, da müssen wir natürlich auch über die Sequenz sprechen, an der auch die Gegner nicht vorbeikamen.
RAINER: It was like one of those catfish things. One of those bottom feeders you see going up the side of the aquarium. Sucking its way up the glass. It was just...Hallucinatory. You see a thing like that, it changes you.
SILVIA: Es ist meine liebste Szene, als Reiner dem Counselor die Geschichte mit der Windschutzscheibe anvertraut (die jetzt bestimmt viele gern mal ausprobieren würden). In seiner Beschreibung dieser Szene offenbart sich eine solche Bedrängnis, so ein treuherzig respektvolles Grauen vor der Energie seines Weibes, eine lustige Erschütterung über diesen „Saugwels“ und „Putzerfisch“ mit dem fremden „gynäkologischen“ Geschlechtsteil – man hat ja immer vor den falschen Dingen Angst! Bardem/Reiner bringt das so delirant plastisch rüber, es ist wie eine dieser Geschichten, die einem ein sehr betrunkener Mann nachts an der Theke erzählt. Ich mag Reiner am liebsten in dem Film. Er ist so ein ängstlicher, sentimentaler, bunter, alter Hund. Er ist für mich auch derjenige, der die philosophischen Texte am besten spricht – wie jemand, der nicht weiß wie ihm geschieht und was er redet.
SEBASTIAN: Ja, Bardem/Reiner mochte ich auch am liebsten. „Ein ängstlicher, sentimentaler, bunter, alter Hund.“ – Du bringst es ganz wunderbar auf den Punkt. Mit ihm war ich wirklich gerne zusammen. Sein Gegenüber, der „Counselor“ Fassbender hat mich hingegen lange verwirrt. Da ist dieser bildschöne, introvertierte Mann, der ähnlich wie in „Shame“, gleichzeitig so unnahbar, wie geradezu manisch getrieben zu sein scheint. Ein körperlich exzessiver Typ, mit dem man sich trotzdem keinen Sex ausmalen kann. Einer, dessen Innenleben ständig um eine fiebrige Idee von Nähe zu kreiseln scheint und käme es doch dazu, sofort in Tränen ausbrechen würde, ob der Gewaltigkeit einer Berührung. Wie sich Penélope Cruz an seiner Seite ein warmes Nest überhaupt nur vorstellen konnte, ich weiß es nicht.
REINER: Men are attracted to flawed women too of course, but their illusion is that they can fix them. They just want to be entertained. The truth about women is that you can do anything to them except bore them.
![© centfox The Counselor](../../v2static/storyimages/site/fm4/20131249/counselor12_body_small.jpg)
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SILVIA: Gute Beschreibung. Es ist vielleicht ihr Unbelecktsein, das die beiden verbindet – etwas, das wohl nicht dasselbe ist wie Unschuld. Sie stehen am Rande und nippen nur an ihren Gläsern. Und besonders er spürt wohl eine vage Sehnsucht, mehr zu sein und zu erleben als das. „Der ratlose Ratgeber“, schrieb ein Kollege, Andreas Borcholte, über die Figur des Counselor.
CHRISTIAN: Ich wage mal zu vermuten, dass der Desperado Reiner auch den Machern des Films näher gegangen ist. Denn er zeigt, inmitten dieses grausamen, vom Schicksal determinierten Planspiels aus Göttinnen, Dämonen und kleinen menschlichen Würmchen, die meisten Anzeichen einer Figur aus Fleisch und Blut, die über das Platzhaltertum hinausgeht.
Lustiges Faktum an Rande zu Bardems Look: Seine mit dem Bizarren kokettierende Frisur wurde ja von Produzent Brian Grazer inspiriert, einem Hollywood-Altmacho mit Hang zum Marschierpulver. Rainers protzige Villa wiederum entspricht dem Wohnsitz von Michael Bay. „Bei Michael liegen sogar auf der Toilette Geparden herum“, hört man von Besuchern dort.
![© centfox The Counselor](../../v2static/storyimages/site/fm4/20131249/counselor2_body.jpg)
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Jenseits von Gut und Böse
MALKINA: I suspect that we are ill-formed for the path we have chosen. Ill-formed and ill-prepared. We would like to draw a veil over all the blood and terror that have brought us to this place. It is our faintness of heart that would close our eyes to all of that, but in so doing it makes of it our destiny...But nothing is crueler than a coward, and the slaughter to come is probably beyond our imagining.
CHRISTIAN: Kommen wir doch nochmal zu den zentralen Thematiken dieses seltsamen Lehrstücks zurück. Wenn ich in Kritiken lese, dass die Dialoge keinen Sinn ergeben, befürchte ich, dass eine bestimmte künstlerische und philosophische Tradition verloren gegangen ist. Ich denke an Künstler, die sich gängigen Kategorisierungen entziehen wie Georges Bataille, Sam Peckinpah, Wakamatsu Koiji, Ágota Kristóf, Malcom Lowry, Flannery O'Connor, bis hin zu Nick Cave. Diese höchst unterschiedlichen Typen eint, dass sie erst in der Konfronation mit dem Abgrund faszinierende menschliche Regungen erblicken. Dass ihre Figuren den Untergang suchen, sich daran reiben und entzünden. Unser Freund Lars von Trier gehört natürlich zu diesem Kanon. Und selbstverständlich Nicolas Winding Refn, dessen „Only God Forgives“ ähnlich gehasst wird wie „The Counselor“. Zwei Filme übrigens, in denen dämonische Überfrauen regieren und die Männer fast schon freiwillig in den Abgrund spazieren.
SILVIA: Diese Ähnlichkeiten mit „Only God Forgives“ sind mir auch aufgefallen, aber ich muss/müsste noch darüber nachdenken. Der Sinn der Dialoge…ihre Philosophie erscheint mir oft sehr subjektiv und angreifbar, aber ich sehe sie nicht als etwas Absolutes an. Sie hängt von der Umgebung und dem Lebensstil der Figuren ab, die sie für sich selbst und gegen andere benutzen.
Die Leute, die Verbrecher sein wollen, sagen: Der Mensch ist schlecht, also muss ich ihn nicht gut behandeln, und die Natur ist böse, also bin ich’s auch. Der Händler, der seine Diamanten verkaufen will, benutzt dafür feinsinnig klingende philosophische Verkaufsargumente. Die mexikanischen Gangster und Malkina vergolden ihr Tun mit Theorien über die raubtierhafte „Eleganz des Jägers“ und die Ausweglosigkeit mancher Entscheidungen (die in Wirklichkeit ja selten so vorkommt). Auch der Rat der Sieger an die Verlierer, ihr Schicksal anzunehmen, ist weniger Philosophie denn die Lizenz zur Arschlöchrigkeit, „life is a bitch“. Das hat im engen Sinne nicht viel geistige Substanz. Aber es erfüllt seinen Zweck – für die Figuren und auch für den Film, der ja wirklich dieses Pulpige, Aufgemotzte hat, so dass die Sprüche als Würze und Geschmacksträger gut zu ihm passen.
![© centfox The Counselor](../../v2static/storyimages/site/fm4/20131249/counselor11_body.jpg)
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CHRISTIAN: Eine interessante Differenzierung und ein ziemlich bodenständiger Blick auf dieses mythologische Schachspiel. Wie auch immer man darüber denkt, ich glaube, dem Film geht es auch darum, unterschiedliche Facetten des Bösen zu zeigen. Das erinnert mich an Georges Bataille, den vielleicht provokantesten Meisterdenker des 20. Jahrhunderts, der gänzlich verschiedene Kategorien des Bösen voneinander abgrenzte. Vom irrationalen und leidenschaftlichen Bösen bis hin zum kalten, emotionslosen vernunftorientierten Bösen, das Gangsterorganisationen wie politische Regimes antreibt. Im „Counselor“ findet sich das ganze Spektrum, von einer mythischen Figur wie Malkina, die wie die Charaktere des Marquis de Sade das Leben, die Schöpfung und Gott verhöhnt bis zu nichtdenkenden Mordmaschinen der Drogenkartelle. Eine Raubtierwelt, in der nur Penelope Cruz wie ein Lämmchen unter Geparden wirkt.
WESTRAY: I'm pretty skeptical about the goodness of the good. I think that if you ransacked the archives of the redeemed you would uncover tales of moral squalor quite beyond the merely appalling. I've pretty much seen it all, Counselor, and it's all shit.
SILVIA: Ich finde nicht, dass man das Böse in einem Menschen mit einem Raubtier vergleichen kann. Raubtiere jagen und töten das, was sie essen müssen. Das Böse im Menschen ist weniger natürlich - eher ein kalter Wahnsinn, dem sich manche Leute verschreiben, um ihre Ziele zu erreichen.
SEBASTIAN: Ja, das Böse macht es sich da zu einfach. Welche völlig absurde Legitimation es da für sein Handeln sucht, indem es Herzlosigkeit und Gewalt zur Selbstverständlichkeit erklärt, gar noch von „Naturgesetzen“ hirnspinnt, man kann sich nur wundern und stets mit ganzer Liebe dagegenhalten.
CHRISTIAN: Mit der Liebe dagegenhalten: Das ist in „The Counselor“ kein Thema. Wohl aber für Cormac McCarthy. Das Kind in „The Road“, seinem späten Schlüsselwerk, beharrt ja in einer rundum zerstörerischen Welt auf seiner Moral. Es werden keine Monstren geboren, möchte uns McCarthy damit sagen, aber es ist leicht zu einem zu werden. „I don't think goodness is something that you learn“, meinte er in einem raren Interview. „If you're left adrift in the world to learn goodness from it, you would be in trouble.“
COUNSELOR: Did you read this fucking thing?
WESTRAY: I did read it.
COUNSELOR: Who writes this shit?
WESTRAY: They’re called journalists. You want to avoid them.
Und dann gibt es noch diesen schönen Satz von Cormac McCarthy: „It is more important to be good than it is to be smart.“ Der Counselor versucht verdammt smart zu sein, aber das geht alles andere als gut.
![© centfox The Counselor](../../v2static/storyimages/site/fm4/20131249/counselor4_body.jpg)
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