Erstellt am: 3. 12. 2013 - 13:59 Uhr
"Ich möchte nicht immer AIDS sein"
Vor fünf Jahren erfuhr Phindile Sithole, dass sie HIV positiv ist. “Eigentlich,” erzählt die 24-Jährige, “sagte der Arzt: ‘Du hast AIDS im fortgeschrittenen Stadium.’” Ihr CD4-Zellwert lag bei zwei. Die Anzahl dieser Abwehrzellen pro Kubikmillimeter liegen bei einem gesunden Menschen bei ca. 600 bis 1500.
Unverzüglich begann sie ihre erste Behandlung. Eine Woche später kollabierten ihre Nieren. Der zweite Mix an Medikamenten brachte ihr Übelkeit, Nachtschweiß, und Appetitlosigkeit. Sechs Pillen, zwei Mal am Tag. “Die Halluzinationen waren das Beste an der Sache,” lacht die überdrehte junge Frau, als wir uns Anfang August in Johannesburg, Südafrika, treffen. “Leider habe ich die nicht mehr.”
Aufgewachsen ist Phindile in Pretoria - bei ihrer Tante. Ihre Mutter starb, als sie 8 Jahre alt war. Mit 13 wurde sie von ihren Verwandten adoptiert. Ihr Onkel war Alkoholiker, missbrauchte die gesamte Familie. “Er verprügelte mich, bis ich blutig war. Oder ohnmächtig,” erzählt Phindile. Sie vertraute sich ihrer Nachbarin an. Diese klagte den Onkel an, ging vor Gericht.
Bram Lammers
Sie wollte Phindile und ihre Schwester Zanele adoptieren. Doch Zanele bekam Panik und ließ die Anklage fallen. Sie blieb bei ihrem Onkel und Phindile bekam ein neues Zuhause. “Wir wuchsen sehr unterschiedlich auf,” erzählt Phindile. “Wir haben unterschiedliche Wertvorstellungen und unterschiedliche Sichtweisen auf das Leben.”
Phindile war immer der Klassenclown. Sie hat sich nie getraut ihre Ängste und Schwächen zu zeigen. Sie liebt Parties, Schuhe, tanzen und mit Freunden abzuhängen.
Das zog sie auch durch, als sie ihr Studium an der Universität von Kapstadt (UCT) begann. Sie inskribierte in English und Tanz - und tanzte sieben Stunden pro Tag. Nach einer Woche musste sie mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die kommenden sechs Wochen durfte sie nicht mehr tanzen und ihr wurde empfohlen, ein anderes Studium aufzunehmen.
Ein Jahr lang ließ Phindile ihre Mitstudenten im Dunkeln was ihren Status anging. Von der Leitung am Campus erhielt sie eine Bewilligung für einen kleinen Kühlschrank in ihrem Zimmer im Studentenheim, um ihre Medikamente aufzubewahren. Es war eine Zeit voll von kleinen Lügen und Geschichten, um nicht diskriminiert zu werden.
2010 dann folgte ihr großes “coming-out”. Einer ihrer Freunde war Mitglied des Studentenrats und half ein Event für den Welt-Aids-Tag zu organisieren. “Ich wusste nicht, ob es dumm oder mutig war,” so Phindile. “Aber ich meldete mich als Freiwillige für eine Rede vor der gesamten Uni.”
Laut UNAIDS sind über 6 Millionen Südafrikaner HIV-positiv. Rund 300.000 Menschen sterben jährlich an Krankheiten, die mit dem Virus zusammenhängen. Dennoch, so Phindile, wusste man auf der Uni von keinem, der Infiziert war. Das Thema war Tabu. Und sei es heute noch.
Ihr Arzt in Kapstadt ging sorgfältig durch ihre Patientenakte und überraschte sie mit folgendem Ergebnis: Sie hat den Virus von ihrer Mutter erhalten. “‘Lungeninfektion’ stand als Todesursache auf dem Totenschein meiner Mutter. Das ist die südafrikanische Beschreibung von AIDS.” Phindile lacht, macht Witze. Teilweise über eindeutig schmerzvolle Erinnerungen und Ereignisse aus ihrem jungen Leben.
Sie versuchte ihre zwei leiblichen Schwestern von einem Test zu überzeugen. Erst nach langem Drängen gestand ihr Zanele, dass sie bereits seit drei Jahren weiß, dass sie positiv ist. Für Phindile war dies ein Schock. “Ich weiß nicht, ob sie ihren Status akzeptiert hat. Ich weiß nicht einmal, ob sie Medikamente nimmt.” Sie sei das Gegenteil von ihr. Verschlossen und bürgerlich.
Ihr damaliger Freund war sehr gläubig, wollte mit seinem ersten Mal bis nach der Hochzeit warten. “Es war perfekt,” so Phindile. Er sei gut zu ihr gewesen und gleichzeitig musste sie nicht über eine mögliche Ansteckungsgefahr nachdenken. Es sei schwierig gewesen, so zu leben. Sich krank zu fühlen, Geheimnisse zu haben.
Bram Lammers
Heute hat die junge Frau hat keinerlei Hemmungen über Sex zu sprechen. Sie erzählt von ihrem letzten Freund mit dem sie “himmlischen Sex” hatte. Darüber, dass es Jahre dauerte, bis sie sich beim Sex gehen lassen und ihn endlich genießen konnte. “Manchmal fragen mich Leute: ‘Hast du Sex? Wie?’” Sie grinst und fährt fort: “Genau so wie du. Nur ein wenig leidenschaftlicher.”
Phindile ist das Gesicht zahlreicher Anti-AIDS Kampagnen von internationalen Organisationen und Unternehmen - von UNAIDS bis Shell. Sie hat einen Buchvertrag für eine Autobiografie, bereist die ganze Welt für Konferenzen. “Manchmal aber,” so erzählt sie in einem der seltenen ruhigeren Momenten, “wünsche ich mir, dass es nicht immer darum ginge. Ich möchte reisen und einfach eine normale 24-Jährige sein. Ich möchte nicht immer AIDS sein.” Sie verdiene zwar ihr Geld damit, aber sie wolle sich nicht über die Krankheit definieren.
Vor einigen Wochen hat Phindile versucht, sich ihr Leben zu nehmen. Mit einer Überdosis ihrer Medikamente. Es ist ihr nicht gelungen. Sie hatte innere Blutungen und starke Schmerzen, verbrachte Wochen im Krankenhaus. Ihre Freunde sagen, es sei ein schlechter Versuch gewesen. Ein Schrei nach Aufmerksamkeit. "Es wurde alles zu viel", sagt sie heute. "Ich habe mich selbst zu sehr für die Öffentlichkeit aufgegeben. Jeder denkt, dass ich immer fröhlich bin. Das versuche ich auch, um andere glücklich zu machen. Aber auch ich habe beschissene Tage. Aber das ist schwieriger, wenn man in der Öffentlichkeit steht."
Jetzt, zurück aus dem Krankenhaus ist Phindile wieder ganz die Alte. Quirlig, laut und fröhlich. Was bleibt, ist das Virus.