Erstellt am: 1. 12. 2013 - 22:48 Uhr
The daily Blumenau. Weekend Edition, 01-12-13.
Seit der NR-Wahl online: der Versuch das klassische Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so ansatzweise Täglichkeit hinzukriegen. Und das immer mit Items aus diesen Themenfeldern.
Heute, wie angekündigt, was vom Netz-Kongress der Zündfunk-Kollegen aus Bayern.
#digitalism #medien
... abgesehen von der Einsicht, dass der BR, auch der Hörfunk, mit Budget/Ressourcen/Selbstvertrauen ausgestattet ist/wird, die in Österreich die nächsten Jahrzehnte unerreichbar sein werden. Nicht nur für den ORF, für alle hiesigen Medien...
Der Erstversuch dieses von der Zündfunk-Redaktion angestoßenen Netz-Kongresses hat etwas Erstaunliches zustande gebracht: einerseits ein dichtes und inhaltlich breit gefächertes Programm anzubieten, bei dem alle Interessenten auf ihre Kosten kommen sollten und gleichzeitig eine doch recht gefinkelte Schwerpunkt-Setzung; die durch die Aktualitäten (Big Data und die NSA-Affäre) auch irgendwie notwendig war.
Sind wir gerüstet für die Antworten auf nie gestellte Fragen?
Big Data, die Vernetzung aller möglichen Datenstränge & -ströme wird nicht nur den Überwachern und Geschäftemachern wertvolle Einblicke in dein Innenleben bieten - du wirst sie (im bestimmten Bereichen wie der Gesundheit, an bestimmten Knotenpunkten wie Amtswegen) auch selber serviert bekommen.
Nur: Willst du das alles auch wirklich wissen? Über dich, oder deine Nächsten. Und, die philosophische Frage dahinter: kannst du damit umgehen? Wir sind für das übergroße Wissen um uns selbst nämlich psychologisch nicht gerüstet.
Die Narrative, die jeder über seinen Körper, seinen Geist, seine Seelenzustände, seine Umgebung entwickelt hat, dürfen erdichtet und nicht faktenorientert sein - im Optimalfall sind sie sogar Krücken, die uns über die bewusst ignorierte Realität hinweghelfen. Sich in allen Bereichen tatsächlich an allen, auch den unangenehmen, gern weggedrängten Fakten über uns und unser Leben orientieren zu müssen, ist eine Kulturtechnik, die wir überhaupt nicht beherrschen.
Big Data wird es höchstwahrscheinlich notwendig machen uns diesbezüglich neu kennenzulernen. Überforderung durch ein Zuviel an Erkenntnis.
Auch wenn du nicht auf Facebook bist, kennen sie dich gut
Sagen wir, du willst nicht, dass deine Umwelt weiß, dass du schwul bist; weil du ungeouteter Politiker, Wirtschafthai oder Sportler bist und es deiner Karriere schaden würde.
Sagen wir, du bist deshalb nicht bei Facebook; sicherheitshalber.
Hilft nix - Facebook weiß das trotzdem.
Und über diverse Datenweitergabe-Umwege wirst du auch die entsprechende auf dich zugeschnittene Werbung bekommen, wenn du dich im Netz bewegst.
Facebook weiß dass du schwul bist, weil dein Name in den Profilen deiner Freunde vorkommt, weil es mitdenkt und hochrechnet: und ab einer gewissen Anzahl schwuler Kontakte giltst du algoryhtmisch auch als schwul.
Das gilt für alle großen Datenkraken - auch wenn du die Gloria Gaynor-Bestellung auf Amazon vermeidest, die finden das via Big Data schon heraus. Manchmal reicht ein Move vor der X-Box.
In gläsernen Gesellschaften passen wir uns viel stärker an
Logisch, das alte Diktaturen-Muster: Anpasslertum aus Angst, Mitläufertum wegen Terror-Angst.
In unseren Konsum-Demokratien läuft das sublimer, aber ähnlich. Je mehr, auch von den Jungen, erwartet wird, dass sie sich öffentlich bewegen, äußern und bewähren, desto näher an den durchschnittlichen Normwerten werden sie sich bewegen. Nicht weil sie blöd oder gemein sind, sondern weil der Mensch den anderen primär gefallen will und eine gesamtgesellschaftliche Ein/Aufforderung der/zur erfüllengshelfenden Multiple Choice-Person (im Gegensatz zur Person, die Themen, Fragen und Antworten selber aussucht) besteht, der man schwer auskommt.
Die kleinen Fluchten in die What's App-Gemeinden sind da auch keine großen Hilfen.
Und: solange Datenentblößung für die Älteren (mangels Bewusstseinsstand) gar kein Problem darstellt (Stichwort: null Erregung über das NSA-Abgreifen), wird sich an der Selbstentblößung der Digital Natives gar nichts ändern können.
Die Kompromiss-Sucht der Talkrunde: Einstampfen!
Das Entsetzliche bei - vor allem österreichischen - Talkrunden und Podiums-Diskussionen ist der völlig verdrehte Glaube daran, dass man eine bewusst (manchmal übertrieben) di- und kontrovers ausgesuchte Runde dazu drängen muss, sich in irgendwelchen Punkten einig zu sein.
Diese meist an den Haaren herbeigezogenen Kleinst-Kompromisse walzen die Talker und Diskussionsleiter (auf Geheiß ihrer Veranstalter) dann gern zu Erfolgsstories aus.
Als ob das a) jemanden interessieren und b) irgendetwas bringen würde.
Beim nämlichen Kongress habe ich bei einer guten, scharfen, niveauvollen und kontroversen Debatte über Big Data (mit der Netzaktivistin, dem Politiker, dem Wissenschafter, dem Philosophen, allesamt verbal schlagkräftige Menschen) erlebt, wie man diesen Blödsinn brechen kann.
Ein Teilnehmer hat nach einem Drittel der vorgegebenen Zeit das dröge, eh für jeden erkennbare Kompromiss-Ziel (ja, es gibt Chancen, aber auch Gefahren, alles eine Frage des Ge/Missbrauchs) ausgesprochen, und dann eine Debatte über Lösungen und weitergehende Thesen eingefordert, die ihm von den anderen Diskutanten dann auch prompt geliefert wurden.
Das klappte, weil es sich um eine gute, toughe, denkfähige und nicht allzu selbstgefällige Runde handelte.
Ich würde derlei gerne einmal (ein einziges Mal) auch in einer österreichischen Talkrunde, bei einer heimischen Podiums-Diskussion sehen.
Dazu müsste man aber die selbstgefällige Im-Kreis-Dreherei, bei der die Gäste ihre paar vorbereiteten Stehsätze und Anekdoten absondern, verlassen. Dazu wäre es auch nötig, sich auf das Denken anderer einzulassen und Möglichkeiten durchzuspinnen. Und, vor allem, müsste man die Gefallsucht des Gemeinsamen zu etwas Überflüssigem erklären.
All das ist so unösterreichisch, dass mein Wunsch reine Illusion bleiben wird müssen. Da hatte es München besser.