Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Binge Living"

Daniela Derntl

Diggin' Diversity

30. 11. 2013 - 14:16

Binge Living

So heißt die tagebuchartige Roman-Collage der Kunststudentin und Callcenter-Sklavin Stefanie Sargnagel, in der sie ihre besten Facebook-Postings und Zeichnungen gesammelt hat.

"Binge Living - Callcenter-Monologe" ist in der Redelsteiner Dahimène Edition erschienen.

Auf Stefanie Sargnagel ist Verlass. Ihre Postings zählen zu den Highlights in meinem Facebook-Feed: Sie sind witzig und goschert, grauslich und poetisch, aufrichtig und absurd zugleich. Jetzt hat die Kunststudentin mit der roten Baskenmütze ihre originellsten Facebook-Auswürfe wie "Der Vogerltanz – das Ballett des kleinen Mannes" in analoger Form gebündelt.

Redelsteiner Dahimène Edition

Das Buch "Binge Living – Callcenter-Monologe" versammelt Prosaminiaturen, die vom tristen Fristen im Callcenter, nächtlichen Besäufnissen in dubiosen Kaschemmen, einer messie-mässigen Gemeindebau-Wohnung und mehr oder minder gescheiterten Existenzen zwischen Galerie und Gosse erzählen.

Dabei trifft die schnörkellose Wiener Alltagssprache auf schwarzen Saubartl-Humor und die Reflexion einer nachdenklichen Mittzwanzigerin. Sargnagel ist eine tragisch-komische Antiheldin, ihre präzisen Momentaufnahmen und Milieustudien rühren an und bringen einen schallend zum Lachen. Über ihr Studium an der Akademie der bildenden Künste schreibt sie:

"Das Kunststudium ist so ungesund, ständig muss man zur Sicherheit fragen, ob LSD in den Wasserflaschen ist, aus denen man trinken will".

Über ihre Zukunfts-Visionen:

"Mit spätestens 30 will ich Königin von Österreich sein. Eine Fettleibige. Gütige. Blondiert. Auf einem Thron aus Bergkristallen. Ich äße den ganzen Tag Sacherwürstel und meine Waden wären voll Wasser. Dr. Worseg würde mich monatlich straffer nähen, bis ich nur noch ein verhärteter Fleischwulst wäre. Den würde man dann nach meinem Ableben am Stephansplatz aufstellen, um fröhlichem Migrantennachwuchs als rechter Torpfosten zu dienen und Traurigen als Trost."

Stefanie Sargnagel

Stefanie Sargnagel Selbstportrait

Und über ihren Callcenter-Job:

"Bei der Rufnummernauskunft hat man es vor allem mit jenem Teil der Gesellschaft zu tun, der zu reich, zu arm, zu dumm, zu alt oder zu high ist, um Internet zu verwenden."

"Ich liebe meinen Job - es ist pure Selbstverwirklichung als gesellschaftlicher Versager!"

Aber irgendwie mag Sargnagel ihren Job im Callcenter: "Das Witzige ist ja, seit ich mit dem Callcenter begonnen hab, hat ja auch eine gewisse Aufmerksamkeit für meine Sachen mit angefangen und ich bin auch viel produktiver dadurch, dass ich einen 20-Stunden-Job hab, weil einfach eine Tagesstruktur da ist. Ich glaub, auch wenn ich echt Kohle machen würd' mit meiner Kunst, hätt ich trotzdem das Bedürfnis, etwas Normales zu machen, was mich erdet und mir eine Struktur gibt."

Sargnagel schreibt nicht nur fleißig auf Facebook, sondern auch Artikel für's VICE-Magazin, Reiseberichte, Texte für Theaterproduktionen oder für ihre "Extrem Deprimierenden Zines". Auf DIY-Märkten verkauft sie ihre im MS-Paint gestalteten Witz-Bilder und selbst gebastelten Grußkarten, auf denen steht: "Tschuldige, war ur betrunken", "Wo ist dein Like-Button?" oder "Machen wir Sex?".

Stefanie Sargnagel

Eine reuige Grußkarte aus dem Hause Sargnagel

Stefanie Sargnagel

Bussi in a Box

Sehr charmant und Lo-Fi das Ganze, genauso wie Sargnagels Erfindung "Bussi in a Box", bei dem ein Papiermaxerl in einer Streichholzschachtel sitzt und "Bussi" in einer Sprechblase sagt. Und folgendes sagt Sargnagel selbst über ihre künstlerischen Kleinode:

"Das ist so nett irgendwie, weil im Künstlermilieu ist alles so abgehoben, elitär, verschlüsselt und nur für wenige Leute verständlich. Aber ich mag's viel lieber, wenn ich mehr Leute mit meinen Sachen erreiche. Und es ist so schön, wenn Leute "Ich liebe dich"-Karten kaufen, weil dann freuen sie sich und schenken es jemandem, der freut sich auch und man wird so überschüttet mit Liebe. Grußkarten machen ist tief befriedigend."

Stefanie Sargnagel vermittelt in ihren Arbeiten gerne ein Selbstbild von Faulheit und Planlosigkeit, wenn sie sich selbst als "IT-Sandler" und als den Hermes Phettberg ihrer Generation bezeichnet. Oder wenn sie schreibt:

"Ich finde Erfolg würde die Pointe in meiner Biografie kaputt machen".

Stefanie Sargnagel

Stefanie Sargnagel hat den Dreh raus!

Die Ironie ist, dass sie genau mit dieser Verweigerungshaltung immer bekannter und erfolgreicher wird. Sie will sich der Leistungsgesellschaft mit ihrem Konsum- und Lifestyle-Wahnsinn nicht unterordnen. Auch bei der weltweit-grassierenden Verschuldung macht sie nicht mit. Trotz ihres minimalen Callcenter-Salärs ist sie nicht im Minus am Konto. Sparsamkeit als Tugend haben ihr ihre Eltern beigebracht. Dank ihres Working-Class-Backgrounds ist Stefanie Sargnagel down-to-earth und auch wenn sie Malerei studiert, fühlt sie sich in der Kunst-Welt nicht unbedingt wohl:

"Es ist ja nicht so, dass ich eine Matura gemacht hab' und dann gedacht hab', "mein wirkliches Lebensziel ist es Künstlerin zu werden, deswegen bewerbe ich mich an der Akademie". Sondern ich hab' die Schule abgebrochen, hab' dann recht lang nichts gemacht, bin nur weggegangen und dann hab' ich mich relativ spontan an der Kunstuni beworben, ohne wirklich eine Ahnung von Kunst zu haben. Also es war nie so, dass ich Künstlerin werden wollte. Ich glaub', hätte ich einen straighten Lebenslauf, wäre ich vermutlich Grafik-Designerin oder Sozialarbeiterin geworden. Weil dieses Kunst-Kunst-Ding taugt mir ja eigentlich überhaupt nicht. Das Milieu ist sehr snobistisch und oberflächlich. Das ist halt das, was mich daran stört, aber andere Sachen find' ich auch wieder leiwand daran."

Stefanie Sargnagel ist salopp formuliert ein "grader Michl" und sagt unverblümt, was sie sich denkt. Das ist erfrischend lesenswert, doch ob es eine Fortsetzung, quasi "Binge Living Teil 2" geben wird, weiß sie noch nicht. Ich finde ja, sie sollte ein Drehbuch schreiben, damit auch meiner Generation der Spiegel im Sinne eines "Ein echter Sargnagel geht nicht unter" oder eines "Sargnagel-Blues" vorgehalten wird. Denn der Wiedererkennungs- und Unterhaltungswert ist bei ihr immens, wenn sie kluge Dinge schreibt wie:

"Eigentlich wollte ich mit 16 nur ein Bier trinken gehen vor's Flex, plötzlich war ich 27."

Stefanie Sargnagel

Am Samstag, den 30. November präsentiert Stefanie Sargnagel ihr Buch "Binge Living – Callcenter Monologe" in der Transporter Bar, 1040 Wien. Um 20 Uhr geht's los und im Anschluss legt das Seayou-DJ-Team auf.