Erstellt am: 29. 11. 2013 - 17:44 Uhr
"Warum sollen wir das Spiel mitspielen?"

Hannes Röst
Professor Michael Hartmann unterrichtet Eliten- und Organisationssoziologie an der Technischen Universität Darmstadt. Am Bekanntesten ist wohl seine Studie "Der Mythos von den Leistungseliten". Hier ein Portrait von Michael Hartmann in der Zeit
"Der gute Samariter hat auch nur Gutes tun können, weil er reich war“. So hat kürzlich der nie um Kontroversen verlegene Londoner Bürgermeister Boris Johnson in einer Rede Margaret Thatcher zitiert und aus seiner Liebe zu den wohlhabenden Eliten keinen Hehl gemacht. Wer mit diesem Satz und diesem Mann einverstanden ist, kann hier gleich aufhören, weiterzulesen und hat wohl vorgestern auch nicht die dritte internationale Reichtumskonferenz besucht. Eröffnet hat die Veranstaltung der deutsche Soziologieprofessor und Eliteforscher Michael Hartmann mit einer Keynote zum Thema „Rechtfertigung von Reichtum und Macht“, in der er Zusammenhänge zwischen partizipativer Demokratie, Politik und Reichtumsverteilung erörtert hat – und auch im Interview mit FM4 hat er in dem für ihn typischen stoischen Ton einige erstaunliche Erkenntnisse von sich gegeben.
Entfesselter Kapitalismus als "Tyrannei"
So hat er ein Statement eines des Kommunismus unverdächtigen, des Papstes Franziskus, „im Großen und Ganzen“ geteilt, der unlängst den entfesselten Kapitalismus als „Tyrannei“ bezeichnet hatte.
Das Interview mitProf. Michael Hartmann führte Joanna Bostock
"Die Logik des Kapitalismus, dass letztendlich der Markt entscheidet - und das bedeutet, dass der Stärkere sich durchsetzt - durchzieht , anders als noch vor 30-40 Jahren, inzwischen fast alle Lebensbereiche. Ob das das Universitätssystem ist, das Schulsystem, das Gesundheitssystem, in allen Bereichen wird derselben Logik gefolgt: In allen Bereichen setzen sich die Stärkeren auf Kosten der Schwächeren durch. Im Gesundheitssystem bedeutet das, wer privat versichert ist hat große Vorteile gegenüber dem, der gesetzlich versichert ist. Im Hochschulsystem bedeutet es, einige wenige Hochschulen, die bekannt sind, werben sehr viel mehr Forschungsmittel ein als andere und der Staat gleicht das nicht mehr aus… so könnte man die Bereiche durchgehen. Das hat schon was von Tyrannei."
Die Arm/Reich-Schere geht weiter auf
Dass die oft zitierte Arm/ Reich-Schere in den letzten 15 Jahren stärker auseinandergegangen ist als zuvor, scheinen auch Hartmanns Forschungen zu bestätigen.
"In den USA und in Großbritannien seit Mitte der achtziger Jahre, in Deutschland seit Ende der neunziger Jahre, hat diese Kluft massiv zugenommen, in Deutschland besonders schnell. Es gibt Unterschiede, ob man Vermögen oder Einkommen betrachtet. Vom Vermögen her ist die Ungleichheit in Deutschland oder in Österreich fast genauso groß wie in den USA. Vom Einkommen her ist es in den USA ungleicher als in Deutschland. In Österreich hat es sich zwar verschlechtert, aber im Vergleich mit Deutschland ist die Einkommensstruktur noch relativ ausgeglichen. Auf globaler Ebene haben sich sehr unterschiedliche Entwicklungen abgespielt. Es gibt Länder die deutlich aufgeholt haben, wo auch der Anteil der Armen an der Bevölkerung rückläufig ist, Indien, Brasilien, in ganz Lateinamerika hat sich eine Angleichung vollzogen. Es gibt Bereiche wo die Ungleichheit deutlich zugenommen hat, das ist Osteuropa, die ehemalige Sowjetunion und auch Afrika. Das heißt, es gibt widersprüchliche Bewegungen. Wenn man sich die wirklich sehr Reichen anschaut: Die letzte Studie der UBS zu den Milliardären weltweit besagt, dass es immer mehr Milliardäre mit immer höheren Vermögen gibt, die derzeitigen 2150 Dollar-Milliardäre verfügen über ein Vermögen von 6,5 Billionen Dollar.“
6,5 Billionen Dollar. Alle Superreichen zusammengenommen wären also, an ihrer Wirtschaftskraft gemessen, nach den USA und China das drittreichste Land der Welt. ArmutsforscherInnen, PolitikwissenschaftlerInnen oder ElitenforscherInnen wie Michael Hartmann warnen seit Jahren vor den direkten Folgen der klaffenden Arm/Reich-Schere und der sozialen Undurchlässigkeit für die repräsentative Demokratie. Am auffälligsten ließe sich die klassische „Politikverdrossenheit“ derzeit an den Wahlbeteiligungen ablesen.
Den Armen werden Wahlen zunehmend egal
"Die Armen beteiligen sich nicht mehr an der parlamentarischen Demokratie. Wir haben in Deutschland ein sehr eindeutiges Ergebnis: je ärmer jemand ist, desto seltener beteiligt er sich an Wahlen. Vor 15 Jahren war der Unterschied zwischen der Wahlbeteiligung der oberen 10% und der unteren 10% zwischen 85 und 95%. Heute wählen die oberen 10% immer noch zu 90%, die unteren 10% sind auf unter 50% zurückgefallen. Im Grunde herrscht eine Meinung vor: „Die da oben kümmern sich sowieso nur um sich selbst“, und wichtiger noch „für uns interessiert sich keiner. Unsere Interessen, und dass bei uns so vieles schlechter geworden ist, das haben die ja alle zu verantworten, die haben die Gesetze verabschiedet, Hartz 4 und ähnliches, und wenn wir sowieso keinen Einfluss haben, warum sollen wir die dann wählen? Es ist sowieso egal was wir wählen". Das ist eine sehr verbreitete Haltung."<<==
Wessen Problem ist dieses Auseiaderklaffen?
Ob dies zu einem oft herauf beschworenen - und in Ländern mit sehr hohen Einkommensunterschieden wie Indien oder Mexiko häufiger beobachtbaren - Horror Szenario führt, in dem die Reichen abgeschieden und bewacht leben, und die Kriminalität der unteren Schichten die Welt unbewohnbar machen würde, sieht Hartmann nicht so sicher und vor allem nicht so akut.
"Das wird wahrscheinlich noch eine Weile dauern. Anders als manche prognostiziert haben, haben wir in Deutschland noch keine „gated communities“ wie von velen vor 10 Jahren vorausgesagt, wir haben noch keine massive Kriminalität – all das mag kommen, aber das dauert länger als man das manchmal in den Medien erwartet hat. Aber die Gesellschaft verändert sich ganz allmählich. Ein Teil unten fällt einfach raus, der bleibt in der Armut hängen, hat kaum noch Chancen da wieder raus zu kommen und beteiligt sich nicht mehr an der politischen Willensbildung. Und oben wird sich ein sehr schmaler Teil daran gewöhnen, dass man sehr schnell immer reicher wird und Einfluss auf allen Ebenen nehmen kann, obwohl das nicht demokratisch legitimiert ist. Ob das dazu führen muss, dass die Gesellschaft auseinanderfällt, weiß ich nicht.
Wenn man sich die USA ansieht, wo dieser Prozess schon sehr viel länger dauert: solange sich die Kriminalität bei den Armen abspielt und die Reichen oder die gehobene Mittelschicht davon nicht direkt betroffen sind, gibt es keinen dringlichen Handlungsbedarf. Dann schlagen sich die Armen halt wegen Rauschgift tot, das ist ihr Problem. Es wird immer dann für die Reichen gefährlich, wenn sich politisch etwas organisiert. Dafür haben sie sehr feine Antennen und in dem Augenblick, wo politisch Gefahr droht, ist man bereit Zugeständnisse zu machen. Wenn man sich in Deutschland jetzt die Koalitionsverhandlungen ansieht: Dass der Mindestlohn – wenn auch nicht zu 100%, aber doch im Großen und Ganzen – in den Koalitionsvereinbarungen verabschiedet worden ist, hat damit zu tun, dass er eine große Zustimmung in der Bevölkerung erfährt, und dass die Gefahr besteht - sollte man ihm nicht zustimmen - dass sich ein großer Teil der Bevölkerung dahingehend radikalisiert, dass sie nicht mehr CDU oder SPD wählen, sondern entweder Rechtspopulisten oder die Linkspartei."