Erstellt am: 29. 11. 2013 - 10:39 Uhr
In der Wüste der Emotionen
Ridley Scotts neuer Streifen hat unlängst bei seiner Veröffentlichung in den USA mehr hämische Kritik eingeheimst als irgendein anderer Film in diesem Jahr. Und wenn ich die zornigen Reaktionen mancher Journalisten nach der heimischen Pressevorführung dazurechne, könnte es wohl auch für viele von euch demnächst der Hassfilm schlechthin werden.
Ich für meinen Teil liebe „The Counselor“, ohne Abstriche. Nicht aus Gründen irgendeiner vertrottelten Distinktionshaltung, die mir grundsätzlich den Buckel runterrutschen kann. Sondern weil dieses seltsame, komplett außer Rand und Band geratene Werk die Liebe grundsätzlich in Frage stellt, an Empathie und Menschlichkeit zweifelt.
centfox
An den Grundfesten des Humanismus auf intelligente Weise zu sägen, dass ist etwas, was ich mir von Kunst auch regelmäßig erwarte. Am radikalsten ist in dieser Hinsicht ein anderer aktueller Film, der bei der Viennale das Publikum verstörte. In „The Act Of Killing“ lässt der junge Regisseur Joshua Oppenheimer indonesische Gangster sprechen, die im Auftrag des Staates für einen der unfassbarsten Genozide im 20. Jahrhundert verantwortlich zeichnen. Mehr noch, er gibt ihnen Raum, ihre Exekutionen und Folterungen an Männern, Frauen, Kindern in Verkleidungen nachzustellen. Lachend, vor der Kamera, in billigen Kostümierungen.
Joshua Oppenheimer bedient damit nicht billigen Voyeurismus. Er begibt sich auf eine investigative Reise ins Herz der absoluten Finsternis, bei der es um ganz große Fragen geht. Ist so etwas wie Mitgefühl wirklich in uns verankert oder nur ein Produkt der Zivilisation? Wo hören bestimmte Werte auf? Wann beginnt das Raubtier im Menschen unruhig im Käfig herumzuhetzen, besonders wenn Armut, Gier und höhere Geldsummen im Spiel sind? Lauter Gedanken, die einen direkt zum Schaffen jenes Mannes bringen, der für „The Counselor“ erstmals ein Originaldrehbuch geschrieben hat: Der einzigartige Cormac McCarthy.
centfox
Blutröte im Westen
Der 1933 in Rhode Island geborene Autor gehört definitiv zu den gefeiertsten Schriftstellern der Gegenwart, inklusive hochkarätiger Preise. Dabei sind die Bücher des öffentlichkeitsscheuen Cormac McCarthy alles andere als leichte Kost. Denn der strenge alte Mann der US-Literatur untersucht die menschliche Befindlichkeit ohne moralische oder ideologische Scheuklappen.
In knochenharten, oft auf das Notwendigste reduzierten Sätzen, taucht McCarthy so tief in verstörende Abgründe hinab, dass man als halbwegs sensibler Leser seine Romane nicht unbeschädigt verschlingt. „Blood Meridian“, auf deutsch „Die Abendröte im Westen“, heißt seine vielleicht eindringlichste Forschungsreise in die Grauzonen von Gut, Böse und noch böser.
Ein Westernroman nach außen, in Wirklichkeit ein Versuch über die Unerbittlichkeit, angesiedelt um 1850 im Niemandsland an der Grenze zu Mexiko. Die Hauptfigur, ein vierzehnjähriger Junge, der weder lesen noch schreiben kann, in dem aber bereits "ein Hang zu sinnloser Gewalt" brütet, schließt sich herumziehenden Desperado-Horden an. Angeführt werden diese Ex-Soldaten und Abenteurer von Richter Holden, einem komplett unbehaarten, verrückten Riesen.
rowohlt
Angetrieben von der grausamen Auge-um-Auge-, Zahn-um-Zahn-Philosophie des Richters metzelt die Gang Apatschen, Komantschen und friedliche Siedler wahllos nieder. In den Fontänen von Blut ertrinken schließlich auch nacheinander die Protagonisten, bis auf den Jungen, der sich von der Gewalt freisagen will. Aber er hat die Rechnung ohne Richter Holden gemacht.
„Blood Meridian“ ist weit mehr als eine Mischung aus Sam-Packinpah-Hommage und Splatter-Horror. Cormac McCarthy liefert einen düsteren Menschheits-Befund ab, der an Klassiker von Dostojewski, Hermann Melville oder auch an den Marquis DeSade erinnert. Viele Regisseure wollten diesen Stoff verfilmen, Ridley Scott wagte sich am nähesten an den Stoff heran. Aber letztlich hat er aufgegeben. „Das Buch ist so großartig, weil es völlig kompromisslos ist“, meint Scott in einem Interview, „der Film wäre doppelt und dreifach Jugendverbot gewesen.“
UPI
The Road To Nowhere
Andere Bücher von Mr. McCarthy lockten Hollywood durchaus an. Sein vielleicht konventionellstes Werk "All The Pretty Horses" (All die schönen Pferde) machte den Anfang. Regisseur Billy Bob Thornton verwandelte den Bestseller anno 2000 in ein starbesetztes Westernepos. Der stark verkürzte und glattgebügelte Kuhbuben-Film floppte allerdings gewaltig.
Erst die Brüder Joel und Ethan Coen hatten mit Cormac McCarthy Glück. Aus dem grimmigen Thriller „No Country For Old Men“ wurde ein lakonischer, grausamer, komischer Film, der Oscars einheimste und dem einsiedlerischem Autor viel Aufmerksamkeit bescherte.
rowohlt
Für sein bislang letztes Buch „The Road“ verließ McCarthy dann sogar seine abgelegene Farm im texanischen Grenzland und führte mit Oprah Winfrey ein ausgedehntes Interview. Wie angeblich auch der amtierende US-Präsident wurde die US-Talkshowqueen von dem sprachlich minimalistisch angelegtem Roman in die Knie gezwungen. "The Road" erzählt, weit weg von erwartungsgemäßen Klischees, vom Untergang der Welt, verursacht durch eine ungenannt bleibende Katastrophe, schildert wie die letzten Überlebenden im Kampf um Nahrung und Unterschlupf zu Bestien werden. Trotz aller Härte und dauerhafter Finsternis geht es vor allem um Emotionen.
Ein Vater und sein kleiner Sohn wandern durch die Ruinen der Zivilisation und klammern sich an winzige Hoffnungsschimmer. Wieder stellt Cormac McCarthy essentielle Fragen: Was bleibt von all unseren Regeln und Gesetzen in den Trümmern, woran können wir uns in äußerster Verzweiflung noch anhalten?
Der Australier John Hillcoat, der sich in seiner grandiosen Westernelegie „The Proposition“ schon vor dem Autor verbeugte, hat das zu Tränen rührende Apokalypse-Epos 2009 ambitioniert verfilmt. Und scheiterte dennoch. Der unerträgliche Horror der Vorlage lässt sich einfach nicht in Bilder übersetzen.
Constantin Film
Subversive Mogelpackung
Auf gewisse Weise wirkte „The Road“ fast wie ein künstlerischer Endpunkt im Schaffen des Literaturgottes aus El Paso. Aber stattdessen überrascht McCarthy mit weiteren Filmprojekten. Dem Hipster-Guru James Franco überließ er die Regierechte für sein Frühwerk „Child Of God“, für den „Blood-Meridian“-Fan Ridley Scott schrieb er sein erstes Originaldrehbuch. Womit wir wieder beim umstrittensten Film des Jahres sind, Vorhang auf für „The Counselor“.
Eine Weile fragt man sich tatsächlich, ob der mittlerweile 80-jährige Cormac McCarthy hinter dieser Geschichte eines schicken Anwalts steckt, der für mächtige Drogenkartelle arbeitet. Slick und stylisch gleitet der Film dahin, fast wie ein Ersatz-James-Bond spaziert Michael Fassbender durch protzige Luxusvillen, in denen Geparden zum Interieur gehören. Cameron Diaz, Brad Pitt, Javier Bardem und Penelope Cruz suhlen sich in der Sonne, es riecht nach Mainstream und Tarantino-Anflüge schielen um die Ecke.
rowohlt
Dabei betreibt Ridley Scott, dem Drehbuch eng folgend, einen ganz bewussten Etikettenschwindel im Sinne des Autors. Denn unter all dem Glamour und der Glätte, den überkandidelte Superstars und lustigen Frisuren, dem warmen Licht und schimmernden Bling-Bling, liegen zerklüftete Eisberge voller Verbitterung und Weltekel, schlummert der fieseste Stoff von McCarthy, seit er den Westen blutrot untergehen ließ.
Wenn dann die Schlinge um den Hals des Counselors enger wird und sich der Film rapide verdunkelt, sind wir mitten im „Blood-Meridian“-Territorium. Die Bosse der mexikanischen Drogengangs erinnern beklemmend an Richter Holden, die Rücksichtslosigkeit, mit der einige Protagonisten vorgehen, an die Mord-, Skalpier- und Vergewaltigungsmaschinen des Wüsten Westens. „The Counselor“, diese subversive Mogelpackung von einem Film, macht klar: Cormac McCarthy ist kein Sadist, sondern ein Hardcore-Humanist. Er konfrontiert uns in Büchern und Filmen nur aus einem Grund mit dem Grauen: Damit wir das Leben mehr schätzen lernen.
centfox