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Martin Pieper

radio FM4

Martin Pieper

Ist Moderator und Chefredakteur von seinem Lieblingssender. Hat sein Hobby zum Beruf gemacht.

28. 11. 2013 - 17:06

D.I.S.C.O.

Do the Hustle! Disco-Geschichten zum Anschauen und Anhören feat. Larry Levan, Salsoul Orchestra und Kermit dem Frosch.

Die Geschichte von Disco lässt man sich am besten von Tänzern und Besuchern erzählen, die tatsächlich dabei waren, als in New York Anfang der 70er Jahre die ersten Discotheken aufsperrten. Diese Clubs wurden für eine wilde Mischung aus „Inner-City-Minorities“ zum sicheren Hafen, zum Fluchtpunkt und zum utopischen Gegenentwurf zur grimmigen Realität Manhattans. Die Disco-Clubs hatten nicht zufällig religiös konnotierten Namen wie „The Sanctuary“, „The Saint“ oder „Paradise Garage“. Immer wieder ist vom rituellen Clubbesuch als „Kirchgang“ die Rede. Das Tanzen weit in den Sonntag hinein war das hedonistische Gegenprogramm zur Sonntagsmesse. Einige orignale Disco-Moves kann man in diesem Video sehen, das einige sehr schöne Tänzerinnen und Tänzer der TV-Show „Soul Train“ zu einem Proto-Discoklassiker aus den Philly-Soul Studios shaken lässt.

Die prägenden New Yorker Disco-DJs wie Nicky Siano, Larry Levan oder David Mancuso haben in den 70er Jahren fast alles erfunden, was Clubmusik bis heute definiert: Das Mixen und Cutten, das Break als Höhepunkt, die Dynamik einer 12-Inch Platte, den Remix, das „Never Stop“ der After Hour Party. Alles das ist sehr schön zu sehen und zu hören in einem der raren Videos, die ins Innere der Paradise Garage führen. Sehr rohes aber ausführliches Bild und Soundmaterial von der allerletzten Party dieses vielleicht meist-betrauerten Clubs der Disco-Geschichte und seinem König, dem DJ Larry Levan, der - man könnte sagen an seinem Lebensstil - wenige Jahre später zugrunde gegangen ist.

Das Studio 54, neben der Paradise Garage wohl der berühmteste Club der Discogeschichte, hat das Prinzip Diskothek mit ganz neuen Regeln ausgestattet. Partypics, Türsteher, Einlasskontrolle und Celebrity Culture sind einige der "Errungenschaften“ die uns Steve Rubells kurzlebiger Sündenpfuhl hinterlassen hat. Auch damit müssen wir bis heute leben.

In der Disco-Kanonisierung, die mit diversen Neo-Disco und Nu-Disco Strömungen der letzten Jahre passiert ist, hat man sich darauf geeinigt, sich an die „gute Seite“ von Disco zu erinnern. Und nach dem offiziellen Disco-Backlash der 80er Jahre gab es auch genug zum Wiederentdecken für die Nachgeborenen: Fantastische Musik, Underground Clubs, gefährlichen Glamour. Dabei ist bei diesem hybriden Biest namens Disco das Wertvolle vom Trash, das Hässliche vom Schönen, das Befreiende vom Kommerziellen nicht voneinander zu trennen. Wie ist zum Beispiel die Rolle von John Travolta in seiner „Saturday Night Fever“ Rolle zu beurteilen? Ein durchaus stimmiger Film, der von sehr viel mehr erzählt als von einem Disco-Tänzer im weißen Anzug. Waren Village People, eine nach schwulen Stereotypen von einem französischen Produzenten gecastete Band, reiner Sellout? Darf man Beethovens 5. Symphonie discofizieren, Frauen stöhnen, und Cartoon-Charaktere quieken lassen, Hauptsache die Bass-Drum wummert drunter four to the floor? Selbst Kermit der Frosch hatte seinen Discomoment, und der war sicher nie in der Paradise Garage, um zu tanzen. Aber auch so etwas gehört zu Disco, denn Essenz und Authentizität darf man von diesem Genre nicht erwarten.

Symbolisch wurde Disco mit einem Fanal in einem Chicagoer Baseballstadion im wahrsten Sinne des Wortes verbrannt. Mit dem Slogan „Disco Sucks“ lud eine lokale Radiostation dazu ein, Discoplatten mitzubringen und vor dem Spiel der White Sox zu verbrennen und Tausende folgten dem Aufruf. Das Footage von dieser Aktion, die die alte rockistisch/sexistische/homophobe Ordnung wieder herstellen sollte, ist immer noch unheimlich.

Was der tobende Anti-Disco-Mob nur symbolisch erledigen konnte, wurde Anfang der 80er Jahre von der Aids-Krise endgültig begraben: Disco ging zurück in den Underground, um dann ein paar Jahre später als House wieder sein schönes Haupt zu erheben. Aber das ist dann eine andere Geschichte, die andere Tänzerinnen und Tänzer erzählen sollen. Eine der besten Dokumentationen über New York, Disco und House-Tänzer nennt sich „Maestro“ und da kommen wirklich fast alle zu Wort, die an der Discokugel mitgebaut haben. Eine Empfehlung!

Und wer nur Musik hören will und sich nicht an Standbildern stört noch eine Liste mit ein paar persönlichen Favoriten für die Youtube Disco.

Taana Gardner: Heartbeat - Larry Levan Remix
Ein meisterliches Stück Remix-Kultur, ein pochendes Herz und ein unschämt stolpernder Beat, mit all dem Drama, dass Larry Levan aus diesem Song holt.

Salsoul Orchestra: Love Break/Ooh I Love It
Unter dem Regenbogenlogo von Salsoul sind einige der opulentesten Disco-Produktionen entstanden. Kein Wunder, dass man gleich ein "Salsoul-Orchestra" dafür gründen muss. Das Love Break ist die Samplegrundlage für ca. eintausend House und Hop Hop Platten geworden.

Risco Connection: Aint No Stopping Us Now
Die psychedelisch-trippig-dubbige Variante von Disco. Klingt so frisch, als hätte man gestern noch um 4 Uhr Nachmittags in der Panoramabar dazu getanzt. Ein Favourite von David Mancusos Loft-Parties.

Loose Joints: Is It All Over My Face
Arthur Russell, das verkannte Genie in seiner Disco-Inkarnation. Ein Paradise Garage Klassiker, mit einer charmant danebenliegenden Sängerin und einem cheeky sexuellen Subtext. You give me LUV Dancing

Patrick Cowley feat. Sylvester: Menergy
Disco von der Westküste. Sylvester ("You Make Me Feel Mighty Real") und Patrick "San Franciscos Giorgio Moroder" Cowley machen gemeinsame Sache. Sehr gay.

Für sieben Tage zum Nachhören

Natalie Brunner und Martin Pieper erzählen eine mögliche Geschichte von Disco, eine Geschichte aus New York, wo in Sachen Disco alles begann: Während Giorgio Moroder seinem Münchener Studio in den frühen 70er Jahren noch als Techniker mit Sequencer und Synthesizern experimentiert, wurde Disco in New York schon zu einem nächtlichen Paradiesgarten für hedonistische Underdogs. Die aktustische Tour führt an legendäre Orte der Nacht wie The Loft, Paradise Garage oder Studio 54 und erzählt von Ausgrenzungen und Glücksversprechungen, von Undergroundclubs und John Travolta. Zu Wort kommen Zeitzeugen, wie der Erfinder der "extended Version" John Morales, aber auch nachgeborene Fans wie Metro Area.

Außerdem: Natalie Brunner hat mit Giorgio Moroder über seine Karriere von Donna Summers „I Feel Love“ bis zum Meta-Disco-Projekt von Daft Punk gesprochen.

DISCO