Erstellt am: 27. 11. 2013 - 19:25 Uhr
SWIFT: EU-Kommission übergeht Parlament
Die EU-Kommission hat am Mittwoch die lange erwartete Stellungnahme zu zwei wichtigen transatlantischen Abkommen vorgelegt. Sowohl das allgemein als "SWIFT-Abkommen" bekannte Programm zur Verfolgung terroristischer Finanzströme (TFTP) wie auch das "Safe Harbour"-Abkommen waren im Zug der NSA-Affäre zur Disposition gestellt worden.
Update 01:50
Die Conclusio der Kommission des am Mittwoch veröffentlichten Beschlusses lautete hingegen: "Die Beibehaltung des Status Quo erscheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt als die beste und ausgewogenste Option".
Für besonderen Grimm vieler Parlamentarier sorgte der Umstand, dass die Kommission diese Position bereits an die USA übermittelt hatte, noch bevor das Parlament davon Kenntnis erhielt.
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"Verhandlungspfand aus der Hand"
Das Parlament hatte die Kommission davor mit großer Mehrheit aufgefordert, das TFTP-Abkommen zu kündigen. Die österreichische Abgeordnete Eva Lichtenberger (Grüne) bezeichnete die nunmehrige Vorgangsweise der Kommission als "Zumutung" gegenüber dem Parlament.
Hier wiederhole sich "der gleiche Wahnsinn wie bei ACTA", indem die Einwände der Parlamentarier ignoriert und obendrein "ein Verhandlungspfand aus der Hand gegeben" werde, sagte Lichtenberger am Mittwochabend zu ORF.at.
"Wirtschaftsspionage nicht auszuschließen"
Josef Weidenholzer (SPE) bezeichnete diese Vorgangsweise gegenüber ORF.at als enttäuschend. Die Kommission habe die "Überwachungsaffäre für beendet erklärt - ohne vorher mit dem Parlament zu sprechen" sagte Weidenholzer, das Parlament teile die Einschätzung der Kommission nämlich nicht."
"Die Forderung des europäischen Parlaments nach Aussetzung des SWIFT einfach zu ignorieren und die Antworten der Amerikaner blind hinzunehmen" sei "eine Gefahr für die Glaubwürdigkeit von Europa", so Weidenholzer. Es brauche "Zeichen, die auf der anderen Seite des Atlantiks gehört werden. Wirtschaftsspionage kann nicht ausgeschlossen werden."
Im Oktober hatte das EU-Parlament eine Resolution verabschiedet, die Rat und Kommission aufforderte, das SWIFT-Abkommen zu kündigen. Die EPP hatte sich gegen eine Kündigung ausgesprochen, da Europa noch über kein eigenes System gegen Terrorfinanzierung verfüge. Das TFTP-Abkommen mit den USA habe nichts gebracht, die OECD-Maßnahmen gegen Terrorfinanzierung seien hingegen effektiv, sagt der Völkerrechtler Erich Schweighofer.
"USA halten TFTP-Abkommen ein"
Der Abgeordnete Hubert Pirker (EVP) sieht hingegen keinen Grund, an den Aussagen der Kommission zu zweifeln und ist "überzeugt, dass das TFTP-Abkommen von US-Seite eingehalten wird."
"Das haben uns bei unserem Besuch in Washington auch höchstrangige Vertreter der US-Regierung bestätigt", so Pirker weiter. Es wäre daher "fahrlässig, verantwortungslos und gegen die Sicherheitsinteressen der Bürger Europas, würden wir nun – trotz dieser Berichte und nur aufgrund von Medienberichten – dieses Abkommen kündigen."
Die Medienberichte
Sowohl in den von Edward Snowden ans Licht gebrachten internen NSA-Dokumenten wie in den im Lauf der Affäre offiziell veröffentlichten Entscheidungen des geheimen Gerichtshofs FISA finden sich umfangreiche Indizien dafür. So hatten NSA-Agenten jahrelang routinemäßig auf eine Datenbank mit "Business Records" zugriffen, die nicht näher spezifizierte Datensätze von Privatfirmen enthält.
Die Auflagen des Geheimgerichts, dem Aufsichtsorgan für Auslandsspionage nach dem "Foreign Intelligence Surveillance Act" (FISA), wurden über mehrere Jahre erst ignoriert, dann wiederholt mit immer neuen Tricks umgangen. All das ist in den USA offiziell aktenkundig, die Kommission hat dies geflissentlich ignoriert.
Ausweichmanöver
Das der Aussendung zu Grunde liegende Dokument der Kommission, das parallel zu den Ankündigen aus Brüssel von der britischen Bürgerrechtsorganisation Statewatch im Volltext veröffentlicht wurde, erwähnt den Parlamentsbeschluss mit keinem Wort. Ebensowenig wird auf den Verdacht der Wirtschaftsspionage eingegangen.
Stattdessen bezieht sich die Kommission auf eine von der konservativen Parlamentsfraktion (EVP), vor allem aber dem Ministerrat initiierte Anfrage an die Kommission, ob es denn möglich sei, ein solches System auf europäischer Basis zu errichten. Die Antwort der Kommission: Leider nein.
Preis der Reziprozität
Die Kommission preist vielmehr das bestehende System,
in dessen Rahmen von den USA Daten aus dem globalen Finanztransaktionssystem SWIFT abgezapft werden, als wichtig und effizient.
Die Mitgliedsstaaten würden immer häufiger von den im Abkommen enthaltenen Reziprozitätsklauseln Gebrauch machen und dadurch selbst Daten erhalten. "Der Datentransfer in die USA" führe dadurch zu "verbesserter Sicherheit für Europa."
"Nicht mit den üblichen Details"
Wie und in welchem Ausmaß die Sicherheitslage in Europa bis jetzt verbessert wurde, ist aus dem Dokument der Kommission allerdings nicht zu erfahren. Im Abschnitt "Wirkungsanalyse" ("Impact Assessment") heißt es vielmehr: "Die in diesem Zusammenhang erhobenen Daten" müssten "höchst vertraulich" bleiben, um zu verhindern, dass die Betreffenden ihr "kriminelles oder terroristisches Verhalten adaptieren", um das System zu umgehen. Man könne daher in puncto "Wirkung" nicht mit den sonst üblichen Details aufwarten.
De facto enthält das Papier überhaupt nichts dazu, es fußt auf puren Behauptungen und enthält imminent die Aufforderung, diesen Aussagen einfach zu vertrauen.
Das Narrativ der Kommission zum Thema SWIFT/TFTP lautet also, auf den Punkt gebracht: Die Verfolgung der Finanzströme von Terroristen funktioniert so gut, dass wir nicht das Mindeste darüber verraten dürfen, wie gut es funktioniert, weil es sonst nicht mehr funktionieren würde.