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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

27. 11. 2013 - 16:56

The daily Blumenau. Wednesday Edition, 27-11-13.

Greifbarer Populismus und ergreifende Unentschieden. Warum das Wahlvolk das wahre Volk ausbremsen muss und wieso ein 0:0 groß und ein 1:1 nichts ist.

Seit der NR-Wahl online: der Versuch das klassische Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so ansatzweise Täglichkeit hinzukriegen. Und das immer mit Items aus diesen Themenfeldern.

Populismus, Korruption und das wirkliche Volk

#politik #volk #vertretung

Der Mann heißt Jan Werner Müller, er lehrt in Princeton und er trägt dieser Tage universitär vor in Wien. Sein Thema ist der Populismus und das führt ihn in - soweit ich gesehen habe - genau ein österreichisches, aber in viele deutsche Medien.

Müllers Grundthese fußt auf der ganz genauen, eben wissenschaftlichen Definition des Populismus (und weil er Deutscher ist und auch den linken Populismus gut kennt, ist er, was die Ausrichtung betrifft, unverdächtig). Der Populismus geht von einem einigen, homogenen, hart arbeitenden, moralisch reinen Volk aus, das sich korrupten Eliten gegenübersieht. Die Populisten behaupten die einzigen legitimen Vertreter des Volkes (oder zumindest des wahren Volkes, das den Parametern entspricht) zu sein und stellen da auch einen Exklusivanspruch.

Dass das sowohl an die für die heutige Rechte (der extreme ebenso wie die populistische Arm) immer noch vorbildhafte Narrativ-Inszenierung der Nazis, aber auch an den Alleinvertretungs-Anspruch der kommunistischen Ideologien (die ja auch das wahre Volk, die Massen, zu vertreten glaubten) erinnert, ist für Müller dann - zumindest in den 5-Minuten-Portionen der öffentlichen Äußerungen - kein Thema; ich bin sicher, dass er das in seinen längeren Publikationen sehr wohl tut. Die kluge Differenzierung der transatlantischen Unterschiede des Populismus darf mir da als Beleg dienen.

Gemein ist allen, den alten, versunkenen oder in Breivik-Manifesten oder einschlägig-unzensierten Foren wieder auftauchenden Ideologien, ebenso wie den neuen, slicken feschistischen Rechtspopulisten ein ganz bestimmter Volks-Begriff. Der wird mit einem "Wir" und "Uns"-Selbstverständnis vor sich hergetragen als wäre das den heimlichen Wunschzetteln an den politischen Weihnachtsmann entnommen. Und soll dann in der Praxis zur Vertretung dieser eh passiven Masse, der eh immer nur schweigenden Mehrheit führen.

Aber: selbst 30% - in manchen Ländern Europas maximal, vielerorten auch deutlich weniger - sind keine Mehrheit und schon gar nicht das Volk, sondern maximal die virtuelle Version davon, das "wirkliche Volk", die Anständigen, hart arbeitenden, moralisch Überlegenen, weil völkisch Bewussten.

Gegen diese Zuschreibungen, gegen diese Vereinnahmungen, gegen diese Instrumentalisierungen muss sich meiner Einschätzung nach nicht so sehr der politische Gegner wehren (der wäre klug beraten alle offensichtlichen Bruchstellen dieses immer sehr dünn gestrickten Schmähs aufzureißen ohne sich groß mit den Inhalten der Gegner zu beschäftigen, weil das die eigenen Ansätze automatisch überlagert), sondern zuallererst das Volk selber. Über seine sozialen Netzwerke, über die Möglichkeit bei Medien (gast)zukommentieren, über den Druck der Straße, über Aktionismus, über Selbstaufklärung (die Europa-Wahl 2014 wird über die diesbezügliche Reife einiges an Aufschluss geben...)...

Die paar Hardcore-Prozent, die sich wirklich als auserwählt erachten, dürfen nicht mit dem Anspruch mein, dein, unser Vertreter zu sein, durchkommen. Denn sie sind es nicht: alle Demoskopie belegt das - das österreichische Wahlvolk ist nicht nur herkunftstechnisch nicht homogen, und auch nicht einig, nirgends, weder ideologisch noch in sonstwelchen Geschmacksfragen.

Ähnlich wie die Tea Party nehmen die Populisten die Gesellschaft in eine Geiselhaft - wer nicht für sie ist, ist gegen Gott und Vaterland, und so gesehen nicht Teil des Volkskörpers, sondern irgendwie ganz schön entartet.

So plustern sich die Populisten auf, sammeln zu ihrem Core-Bereich von maximal 8 - 10 % jede Menge "denen zeig ma's jetzt"-Spaß-Mitläufer und solche, die hoffen in (auch kleinsten) politischen Positionen plündern zu können, und kommen so auf das 30%-Bedrohungs-Szenario.

So sehr der bigotte Alleinvertretungsanspruch nervt: noch viel mehr nervt die Tatsache, dass das Volk (und natürlich auch das wirkliche Volk, das oft ganz besonders) zumindest genauso korrupt ist wie die ach so flächendeckend korrupten Eliten. Anders könnte das System ja auch gar nicht funktionieren.

Egal ob ganz oben (man beachte im hier verlinkten Text die Passage mit Grassers Amtsantritt) oder an der Basis, wo die Steuerhinterzieher, Schwarzhackler, Vorteilsnehmer und Gefälligkeitserlediger fröhliche Urständ feiern. Die ländliche Häuslbauer-Gesellschaft, ein Großteil der kommunalen Immobilien-Geschäfte ist strukturell korrupt, kleine Machtträger in Verwaltung und Exekutive sind viel zu gefährdet sich den Alltagsmechanismen (Nehmen/Geben) hinzugeben, um da nicht reinzukippen.

Letztlich regen sich die Kleinkriminellen über die White-Color-Verbrecher auf - und alle, die zu keiner dieser Gruppen gehören (eine zumindest relative, hoffentlich aber doch noch absolute Mehrheit der Österreicher) werden kumpanenhaft mitgezogen.

Was tun?

Müllers Tipp an die Konkurrenz ordentlich und brav aufzuklären, die Argumente ernstzunehmen aber die Lösungen auseinanderzuklauben, also in komplexe Details zu gehen, ist im wissenschaftlichen Kontext sicher richtig.

Im echten Leben geht es um Plakatives, um simple Losungen, die die populistischen Stabreime an Oberflächlichkeit sogar unterbieten dürfen, solange sie der gesellschaftlichen Realität verpflichtet sind.
Und sie müssen aus dem Volk, dem Wahlvolk kommen, als Gegenbewegung zum aufgeplusterten wirklichen/wahren Volk. Das können weder die Alt-Parteien noch die neuen ichbezogenen Bewegungen leisten. Wer sich drauf verlässt, dass ihn irgendeine Institution vor der Vereinnahmung durch den Populismus beschützen kann, ist schon verlassen.

Es war ein ergreifendes Remis in der Champions League!

#fußball #kleingeistigkeit

Es war wahrlich packend: auswärts gegen Porto angesichts der Klasse und spielerischen Übermacht des Gegners als österreichischen Underdog ein Remis zu halten - was für eine Leistung!

Deshalb: meinen tiefst empfundenen Respekt an die Austria Wien, genauer an die Junioren der Austria Wien, das U19-Team, das in der Youth League, dem fantastischen Beiprogramm der Champions League, immer parallel zu den Großen antritt.

Mit dem 0:0 von gestern - hier der Bericht samt taktischer Aufstellung, danke APA! - hat der violette Nachwuchs nämlich alle Trümphe in der Hand. Punktegleich (aber mit dem Plus im direkten Vergleich) mit Porto liegen sie auf Platz 2 - den kann man mit einem Heimsieg gegen das bislang punktelose Team von Zenit St. Petersburg (merke: den aus dem Boden gestampften Oligarchen-Verein erkennt man auch daran, dass sein Nachwuchs nichts kann) fixieren, egal was Porto anstellt.

Das bedeutet wiederum: Achtelfinale; etwas was die Alten noch nie geschafft haben (und in den nächsten Jahren auch nicht schaffen werden).

Falls ihr, UserInnen bei meinen Anfangszeilen an das gestrige Abend-Spiel im Estádio do Dragão gedacht habt, wo es ja auch ein Unentschieden gab: das hat keinen Wert. Null.

Nur ein Sieg hätte die Chance auf Rang 2 am Leben gehalten, mit einem Remis ist selbst Platz 3 (und ein frühlingshaftes Weitermachen in der Europa-League) flöten gegangen.
Der (der Sieg) wäre nach der gestrigen, wieder recht matten Leistung der großen Austria gegen einen powerplaymäßig daueranrennenden Gegner eh nicht richtig gewesen - trotzdem, solange es die Chance gibt, muss man sie doch ergreifen, solange die Möglichkeit besteht, muss man sie doch anzupacken versuchen. Oder?

Coach Nenad Bjelica ist da anderer Meinung. In der 64. Minute, beim Stand von 1:1 und allen noch offenen Optionen, wechselte er einen defensiven linken Mittelfeldspieler gegen einen sehr offensiven linken Flügel ein und signalisierte seiner Mannschaft so "auf Resultat-Halten" zu spielen. Einem Resultat, das den letzten Platz zementiert.

Anstatt Risiko zu nehmen und den einen Konterstoß anzupeilen, der vielleicht zur Glücksführung reicht, verordnet der Trainer also das gepflegte Abwarten.
Statt sich von der Möglichkeit aufs Achtelfinale beflügeln zu lassen (und dabei von mir aus mit fliegenden Fahnen unterzugehen, aber eben eine halbe Stunde lang drum gefightet zu haben wie blöd), verzichtet Bjelica auf alles. Alles. Er will den einen Punkt, der das Ausscheiden zementiert. Wie kleingeistig, wie unfußballerisch ist das denn.
Danke für gar nichts, Bjelica.