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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

26. 11. 2013 - 20:43

The daily Blumenau. Tuesday Edition, 26-11-13.

Alte und neue Blogger; Ceterum Censeos und urban legends.

Seit der NR-Wahl online: der Versuch das klassische Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so ansatzweise Täglichkeit hinzukriegen. Und das immer mit Items aus diesen Themenfeldern.

Kraus war Blogger. Thurnher ist es auch, nur weiß er's nicht.

#medien

Ich bin ja kein Krausianer. Ursprünglich wohl aus den üblichen (natürlich dämlichen) Teenager-Gründen, denselben wie bei den Doors, nämlich weil sich Leute in meinem Umfeld als Kraus-Fans (oder eben Doors-Fans) gebärdet hatten, die ich, vorsichtig gesagt, nicht so gut fand: Gymnasiale Dandys mit Drang zur Poesie-Performance des Grauens, wahrhaft Baryllische Figuren.

Die Doors habe ich nachgeholt (dank meiner Schwester); Kraus nie. Vielleicht auch, weil mir sein Ansatz ein allzu begleitender, allzu kommentierender war - und das ist etwas, was einem jungen Menschen, der Journalist und kein Dandy sein will, nicht so sehr gefallen muss.

Nun ist mir Karl Kraus, diese Ikone des österreichischen Schreibens unlängst wieder begegnet, in einer Rezension und zwar mit folgender Beschreibung seines (streng strukturierten) Tagesablaufs: "Um 15 Uhr begibt er sich zum ersten Mal ins Kaffeehaus, er liest die Zeitungen, arbeitet und macht Aufzeichnungen. Das Abendessen nimmt er um 20 Uhr im Gasthaus ein. Danach, gegen 21 Uhr, besucht er ein anderes Kaffeehaus, wo er wiederum die aktuellen Tages- und Wochenblätter liest. Um 23 Uhr geht Kraus nach Hause und schreibt bis nach 5 Uhr früh, ehe er zu Bett geht und bis gegen Mittag schläft."

Wenn man die Medien-Sessions, vor allem die nächtliche, auf heutige Verhältnisse umlegt, dann entspricht das dem Ideal des Bloggers. Einem (in Österreich) unerreichbaren Ideal, weil die Kraus'sche Herangehensweise ein seriöser Fulltime-Job ist. Und dieser idealtypische Tagesablauf bestätigt auch die reine Begleit/Kommentiert-Funktion meiner alten Vorurteilswelt. Investigation, das Auftreiben von Beobachtungen und Aussagen steht nicht auf der Kraus'schen Tagesordnung, sondern die Medien-Beobachtung.

Trotzdem steht Kraus mancheinem, und nicht den geringsten unter uns als über sein Werk einflussnehmender Gottvater bei. Und weil nicht sein kann, was nicht sein darf, gibt es dann, wenn jemand Kraus als Blogger-Vorfahr bezeichnet, erbitterten Widerstand - wenn auch inhaltlich ausgedünnten, in diesem Fall einen, der mich an meine Lehrer-Mitschuld hier erinnert.

Das hat damit zu tun, dass Armin Thurnher zwar schreibt und agiert wie ein Blogger, es aber nie so sehen könnte, weil er das Medium des Blogs, das Internet so abgrundtief deppert findet. Das mag ein absurd formalistischer Zugang zu den Dingen sein - er ist in den fruchtlosen Abwehrkämpfen des Analogen gegen das Digitale aber halt üblich.

Ich muss aber gestehen: Wie so oft, wenn man historische Figuren, die sich nicht mehr wehren können, als Urväter oder Vorläufer einer Entwicklung hernimmt, ist dann einer Debatte auf recht bescheidenem Niveau Tür und Tor geöffnet.

Ich will sie deshalb, und auch weil ich als Nicht-Krausianer zuwenig Bescheid weiß, nicht führen. Der Hinweis auf den Widerspruch, der Verweis darauf, dass die Kraus'sche Arbeitsweise eben deutlich mehr Niggemeier als Di Lorenzo, klar mehr Thurnher als Klenk hat, reicht.

Dass Armin Thurnher der wohl wichtigste Blogger der österreichischen Gegenwart ist, ohne es zu wissen, weil er glaubt, dass derlei an einem Medium festzumachen ist, wo es dabei doch rein um die Form der Inhaltsvermittlung geht, sei hier also nur als Arbeits-Hypothese angemerkt.

Der Mythos "zu früh ins Fußball-Ausland": zerschmettert

#fußball #urbanlegend

Ebenso wie Armin Thurnher trägt auch Herbert Prohaska, ein anderer Listenbester, ein Ceterum Censeo vor sich her. Nicht so regelmäßig und auch nicht als konkrete medienpolitische Forderung, sondern ofenbankiger. Es lautet etwa so: früher, als die Spieler noch nicht so früh (teilweise schon mit 15/16) ins Ausland gewechselt haben, was alles besser.

Zuletzt hat er das wieder einmal mit frei erfundenen Zahlen hier getan: Prohaska produziert, gemeinsam mit anderen seiner Generation eine urban legend - weil dieser Vorwurf von den Medien ja nicht überprüft und doppelgecheckt, sondern unkritisch wie so oft, einfach 1:1 übernommen wird.
Prohaska spricht von Listen von 70 jungen und in jungen Jahren ins Ausland gegangenen Spielern, die zu 90% scheitern. Prohaska meint, es würden keine drei, derer die zeitig gegangen sind, schaffen.

Das alles habe ich letzte Woche hier widerlegt: es stimmt weder, dass die jungen Jahrgänge massiv ins Ausland drängen (bei den 96er oder 97er-Baujahren kommt man zusammen auf keine zehn), noch ist der Scheiter-Quotient derart hoch. Die jungen Österreicher, die es übers Ausland zu einer anständigen Profi-Karriere geschafft haben, sind zur Hälfte mit unter 20 und zur Hälfte mit über 20 weggegangen. Der immer wieder vorbildhaft erwähnte Junuzovic (er war 25) gehört allerdings zu den drei ältesten.

Anlässlich dieser kleinen, aber wichtigen Überprüfung samt Replik, die künftige Ansagen im Sinne dieser Urban Legend jetzt eigentlich unmöglich machen sollten, hat ein Kollege mir etwas geschickt: eine Liste aller damals noch jugendlichen Legionäre, also aller Austro-Kicker die (zu) früh ins Ausland gegenagen waren, die der Kurier 2009 zusammengestellt hatte (da fehlten ein paar, aber als Sample ist diese Menge durchaus brauchbar). Der Kollege hat die Lebenswege der Jungs auf dieser Liste immer wieder upgedatet und so eine ebenfalls recht brauchbare Antwort über Erfolg oder Misserfolg.

Und auch hier zeigt sich: 50:50. Keine rede von "nur 3" oder 90 Prozent. Das kam also dabei raus:

Echte Karriere

David Alaba (Bayern -> Hoffenheim -> Bayern)
Marko Arnautovic (Twente -> Inter -> Werder -> Stoke)
Andreas Weimann (Aston Villa -> Watford -> Aston Villa)
Philipp Hosiner (1860 -> Sandhausen -> Vienna -> Admira -> Austria)

Well done

Darko Bodul (Ajax -> Sparta Rotterdam -> M. Funchal -> Sturm -> Odense)
Dieter Elsneg (Frosinone -> Kapfenberg -> Grödig)

Auf einem guten Weg

Michael Schimpelsberger (Twente->Rapid)
Marco Djuricin (Hertha -> Regensburg -> Hertha -> Sturm)
Bernhard Janeczek (Mönchengladbach -> Ried)
Tobias Kainz (Heerenveen -> Emmen-> Sturm)
Christopher Knett (Hoffenheim -> Großaspach -> Austria Lustenau)
Thomas Dau (Aston Villa -> Horn -> Rapid -> Vienna -> Rapid -> Mattersburg)
Dominik Hofbauer (Aston Villa -> Rapid -> FAC -> Wr. Neustadt -> Rapid -> St. Pölten)
Richard Strebinger (Hertha -> Werder II)

Am Kippen

Christoph Knasmüller (Bayern -> Inter -> Ingolstadt)
Radovan Mitrovic (Heerenveen -> Emmen -> Utrecht -> Horn)
Robert Gucher (Frosinone -> Kapfenberg -> Frosinone)
Christian Derflinger (Bayern II)

Da ist was schiefgegangen

Kevin Krisch (Werder -> Hartberg-> Vienna) )
Patrick Derdak (Werder -> LASK--> Neusiedl -> Sportklub- > Ebreichsdorf)
Georg Krenn (Everton -> Kapfenberg-> Admira II -> Stegersbach -> Vienna)
Georg Grasser (West Ham -> GAK -> Leoben -> Allerheiligen)
Daniel Pirker (1860 München -> Burghausen -> Grödig -> Villacher SV)
Elias Wagner (Hearts -> Admira -> Austria Klagenfurt -> Stripfing)

Also: sechsmal ging wirklich was daneben (wobei das wie im Fall Wagner auch an einer katastrophalen Verletzung liegen kann) bei den meisten lief alles recht okay, bei bis zu zehn würde ich bereits jetzt von einer Karriere sprechen. Was die urban legend, an der Herbert Prohaska da strickt, ein weiteres mal ganz drastisch widerlegt.

Aber, um der Wahrheit die Ehre zu gereichen: ein anderer Kollege hat mir im selben Zusammenhang von einem 2008 geführten off-records-Gespräch mit dem damaligen Jugendleiter des Schweizer Fußball-Verbands erzählt, der - obwohl eine Vielzahl der Schweizer Nachwuchs-Spieler ebenfalls bereits frühzeitig bei Vereinen der großen Ligen spielen - vor allem über die Politik der großen englischen Vereine gejammert hatte. Die würden früh Masse an Klasse shoppen, ohne sich groß um Persönlichkeitsbildung und andere in der Schweiz damals schon selbstverständliche Dinge kümmern (Chelsea war das Negativ-Beispiel).

Abgesehen davon, dass der Vergleich mit Österreich wegen der hierzulande eben viel schlechteren Bedingungen hinkt: der Schweizer Nachwuchs ist weiter im Ausland unterwegs. Ebenso wie in Österreich wird der Anteil in den jüngeren Altersklassen geringer. Im aktuellen Kader der U20 etwa (ein Team, das der ÖFB ja aufgelöst hat) stehen Akteure aus Lyon, Arsenal, Auxerre, Juventus, Schalke, Sampdoria und, ja, Innsbruck (Basels Vuleta). In der U19 gibts einen Spieler von ManU, der Kapitän der U18 wechselte zu Newcastle usw

In einer gesicherten Infrastruktur wie der Schweizer Liga, wo die 17 bis 19jährigen auf echte Auflaufzeiten kommen, ist das möglich und logisch. Österreich ist für dieses Modell noch nicht reif. Die Flucht ins Ausland bleibt, solange die Liga unter teilweise amateurhaften Bedingungen agiert, die (eben auch datenmäßig belegbare) bessere Alternative.