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Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

25. 11. 2013 - 18:43

Nick Cave live im Wiener Gasometer

Vom zornigsten der jungen Männer zum souveränsten aller Gentlemen.

fm4.ORF.at/musik

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Nick Cave hat sich vom zornigsten der jungen Männer zum souveränsten aller Gentlemen gewandelt, obwohl er, wenn man bei seinem Konzert in der ersten Reihe steht, und er einem zum fünften Mal ins Gesicht schreit, nicht weniger entrüstet wirkt als zu Birthday Party-Zeiten - aber in einer ganz anderen Sphäre der Souveränität. Kein verrückter Junkie, sondern jemand, der über den Horizont geblickt hat. Nick Caves Sprache beruhigt und bedroht zugleich, trügerischer Trost und Zorn scheinen gemeinsam in einer WG zu wohnen.

Nick Cave

Patrick Münnich

Es ist wohl eine Berufskrankheit: Wenn Leute über Nick Cave schreiben, versuchen sie in seiner Sprache zu schreiben, und so lesen wir seit mehreren Jahrzehnten Dinge wie, dass der "Fürst der Finsternis Audienz hält", oder dass es "kein Konzert war, sondern eine Messe des Schmerzes". "Vier Löcher im Kopf des Teufels" und die "Saat ist zart" gehören schon zu den spitzenmäßigen Ausreißern der Nick Cave-Konzert-Betitelung.

Das Feuilleton serviert oft eine dünne Suppe der metaphorischen Unzulänglichkeiten, wenn es um Nick Cave und seine leibhaftigen Manifestationen geht. Deshalb gebe ich euch diese Worte von Nick Cave selbst bezüglich seines neuen Albums "Push The Sky Away" mit auf den Weg: "Push The Sky Away" ist das Geister-Baby im Brutkasten und Warrens (Ellis, Anm.) Loops sind der Rhythmus seines winzigen, zitternden Herzens.

Alle Fotos von Patrick Münnich

Ich war erstaunt, wie präzise Nick Caves Texte auch diesmal mit dem zugegebenermaßen obskuren Personal meiner Albträume korrespondieren. Der "Higgs Boson Blues" war der schauerlichste Moment seines gestrigen Wien-Gastspiels.

Hannah Montana does the African Savannah
As the simulated rainy season begins
She curses the queue at the Zulus
And moves on to Amazonia
And cries with the dolphins

Zwei der Kreaturen, vor denen ich mich sehr ekle und sie auch ein bisschen fürchte, in einem Absatz.
Miley Cirus: Ich schäme mich, die gleichen Reproduktionsorgane wie diese Kreatur zu haben und damit noch etwas mehr mit ihr zu teilen als die reine Spezies-Zugehörigkeit.
Flussdelphine: Machen mir unfassbare Angst wegen ihres Aussehens, und dass sie im Brasilianischen Macumba-Seelen stehlen, macht sie mir nicht geheuer.
Also meine, wie ich behaupten würde, doch recht ausgefallenen Alptraum-Figuren in einem Vers zu verbinden: bravo Nick Cave. Bei euch schafft er es sicher auch, ohne dass eurem/eurer Nächsten der Schrecken, der in dieser Poesie steckt, transparent wird.

Nick Cave and The Bad Seeds

Patrick Münnich

Nick Cave begann sein Konzert mit "We know who U R", einer Nummer wie eine tätliche Drohung. Alt gewordene Nick Cave-Verehrerinnen mit rotumrandeten Brillen und spekulativerweise extra für diesen Abend herausgeholten schwarzen Lederjäckchen und Stiefelchen machen Fotos, als würde ihr Seelenheil davon abhängen.

Nick Caves schwarze Haare glänzen bis in die letzte Reihe und er springt wie eine Mischung aus manischem Prediger und Marionette zwischen seinem Piano und der die Hände nach ihm reckenden ersten Reihe hin und her.

Ich freue mich sehr über "Tupelo" im ersten Teil und möchte Nick Cave persönlich für die Inbrunst danken, mit der er der ersten Reihe fünf Mal ins Gesicht raunt und spuckt, dass der Sandman on its way ist.

Nick Cave

Patrick Münnich

Er fragt nach, ob wir für den Lustmord von "Red Right Hand" bereit sind und er verwandelt mit Alleinunterhalterorgel, Glockenschlag und Lärmausbrüchen auch das Planet Music in eine infernalische Kaschemme. Irgendwer wird da in einem Hinterhof geschlachtet.

Es folgt eine melancholische Hymne an die sich zu Körpern manifestierende Idee, "Mermaids". Nick Cave ist glaubhaft über die Pose hinaus. Die Zeitlosigkeit seines Gestus ist es, glaube ich, das die Leute immer von etwas Priester- oder Predigerhaftem sprechen lässt, wenn es um seine Live-Auftritte geht.

Ich muss auch fast weinen, als er als eine der nächsten Nummern, den "Weeping Song", ohne Blixa Bargeld singt. Warren Ellis' Geige ersetzt Blixas Parts.

Es folgt ein manischer Ausbruch namens "From her to Eternity". Wenn ich mir von der bösen Fee des Schicksals einmal was wünschen dürfte, dann wäre es ein auf die Schreipassagen kondensiertes Nick Cave-Konzert, das wahrscheinlich nach neun Minuten jeglichen Intensitätsrahmen sprengen würde. In der Realität des gestrigen Abends wird nicht geschrien, sondern Nick Cave spielt am Klavier einen ruhigen Block, bestehend aus "People Ain't No Good", "Sad Waters" und "Into my Arms".

Ein kluger Nick Cave sondert seine Intensitäten in wohldosierten Dosen ab.

Nick Cave and The Bad Seeds

Patrick Münnich