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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

24. 11. 2013 - 16:47

Hart und Zart

Der Song zum Sonntag: No Joy - "Last Boss"

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  • Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.

Vielleicht darf man aller moderner Verwirrungstechniken und der Freude am Geheimnisvollen zum Trotz den Titel einer Platte ausnahmsweise auch einmal als tatsächlich aussagekräftiges Mission Statement der Menschen dahinter lesen: Die neue EP des kanadischen Trios No Joy nennt sich "Pastel And Pass Out" - diese vor allen Dingen mit viel Schall, Hall, Fuzz und akustischem Nebel operierende Band hat also, so will sie uns eventuell mit diesen Worten sagen, den Weichzeichner und die aprikosenfarbene Zärtlichkeit ebenso im Angebot wie die komplette Dröhnung, den Absturz und den rauschinduzierten Ausfall.

Diese Gegenüberstellung Zart vs. Hart bzw. eben diese gegenseitige Umschmiegung Zart und Hart ist die - schon vielfach zitierte - zentrale, das Genre definierende These eines Sounds, der so etwa seit 1990 schon, grob vereinfacht, ungenau, blablabla etc, "Shoegazing" genannt wird. No Joy aus Montreal, lange Zeit von Jasamine White-Gluz und Laura Lloyd als Duo betrieben, mittlerweile um Drummer Garland Hastings erweitert, sind ausdrückliche Jüngerinnen in ebenjener Kirche. Die Säulenheiligen des Shoegaze, My Bloody Valentine, sind ihre Götzen, das können und wollen No Joy nicht leugnen.

No Joy

No Joy

No Joy

So war das Prinzip, nach dem sich unter hundert Schichten von Gitarren-Noise und Effekterauschen die süßlichsten Melodien tummeln sollten, auch für das 2010 erschienene Debütalbum von No Joy oberstes Ideal. Ungestüm taumelten die zwei jungen Frauen von No Joy da auf dieser wunderbaren Platte namens "Ghost Blonde" durch Donner, Sturm und Gebrumm, das sie selbst an ihren Gitarren heraufbeschworen hatten. Diese Ästhetik war 2010 nicht neu, der unbekümmerte Überschwang, die schiere Energie und das gute Händchen für catchy Hooks aber machten "Ghost Blonde" zu einem erfreulichen Album.

Dieses Jahr ist - wieder beim sehr guten Label Mexican Summer (Autre Ne Veut, Peaking Lights, Co La uvm.) - das zweite Album von No Joy erschienen: Die Veränderungen im Vergleich mit dem Debüt sind auf "Wait To Pleasure" kleine und die erwartbaren. Man hat den Sound ein bisschen geschliffen und aufgehübscht. Den Gesang und die Melodien etwas klarer herausgearbeitet. Gekracht wird hier immer noch, keine Angst, man kann hier bloß tatsächliche "Songs", im Gegensatz zu wabernden Klangwolken, wesentlicher einfacher ausmachen.

Auch das ist sehr schön, der wahre Killer-Release von No Joy dieses Jahr aber ist die die aktuelle Tournee begleitende "Pastel And Pass Out"-EP. In gerade einmal drei Songs und elf Minuten Spielzeit ist hier eingedampft so ziemlich alles zu erleben, was Shoegazing und sein Nachbarfeld Noise-Pop so wunderbar und mitreißend macht. Euphorie, Verzerrerwahn, Melancholie, gasförmiges Mäandern, Rock-Power und allerliebstes Gezwitscher.

No Joy

No Joy

Die "Pastel And Pass Out"-EP von No Joy ist bei Mexican Summer erschienen.

Alles hier ist super, der Eröffnungstrack "Last Boss" aber nimmt in drei Passagen und ebenso vielen Minuten noch einmal eine extreme Verdichtung vor: Im ersten Teil des Songs verschränken sich Dreampop, ein funky Bass und ein krautiger Motorik-Beat auf unerhörte Weise, in Phase zwei werden mit schwerem Fuss auf dem Verzerrer-Pedal wieder einmal die Errungenschaften einer guten Leise/Laut-Dynamik demonstriert , die ganze Angelegenheit wird dann noch mit in den Himmel jauchzenden Aaaah-Oohhh-Chören unterfüttert. Am Ende gibt’s einen beruhigenden Come-Down, ein Blubbern, ein Rauschen.

Was gesungen wird, ist naturgemäß schwer zu verstehen, der titelspendende "Last Boss" immerhin meint hier den letzten Endgegner in einem Computerspiel. Verstiegene These: Der Song vertont die Mühsal, den Kampf, den Triumph, die Ermüdung, den Post Orgasmic Chill, die Erleuchtung, die Erlösung.