Erstellt am: 23. 11. 2013 - 11:43 Uhr
"Die Gewalt wird fieser"
Gestern hab´ ich meine Frau verdroschen, das sagt heute kein Mann mehr am Stammtisch, meint Andrea Brem von den Wiener Frauenhäusern auf die Frage, inwiefern sich in den letzten drei Jahrzehnten der gesellschaftliche Umgang mit Gewalt gegen Frauen geändert hat. Das liegt nicht zuletzt an der Arbeit der Frauenhäuser.
Frauenhäuser Wien
gestern für heute für morgen - unter diesem Motto werden am Sonntag, 24.11.2013 im Wiener Volkstheater gleich drei wichtige Jubiläen gefeiert: 35 Jahre Frauenhäuser, 25 Jahre Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser, 15 Jahre Frauenhelpline gegen Gewalt 0800/222 555, mit dabei u.a. Mika Vember
"Das Private ist politisch" ist ein Kernsatz der Frauenbewegung der 1970er. Damit ist auch häusliche Gewalt, Gewalt in Beziehungen gemeint. Aus der politischen Bewegung sind konkrete Orte entstanden: Opferschutzeinrichtungen für betroffene Frauen. Das erste Frauenhaus in Österreich wurde vor 35 Jahren in Wien von engagierten Sozialarbeiterinnen eröffnet. Heute sind es allein in Wien vier Häuser, landesweit ingesamt dreißig. Die Einrichtungen sind Anlaufstellen für Frauen, die von massiver Gewalt in der Beziehung betroffenen sind, sowie für deren Kinder, die in vielen Fällen selbst Gewalt erfahren haben. In den Häusern, deren Adressen zum Schutz vor den Partnern, den Tätern, geheim bleiben, sollen Frauen vor allem in Sicherheit sein. Im geschützen Umfeld sollen sie die Möglichkeit haben, weitere Schritte zu überlegen und zu setzen, professionelle Hilfe und Unterstützung erhalten sie von den Frauenhaus-Mitarbeiterinnen.
Seit 25 Jahren organisieren sich die autonomen Frauenhäuser im AÖF, dem Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser Das Netzwerk trägt viel zu Aufklärung und Sensibilisierung bei, Erfahrung und Expertise bestimmen den Diskurs über Gewalt gegen Frauen mit. Das Gewaltschutzgesetz, mit dessen Neuauflage 2009 der Opferschutz verbessert wurde, geht auf die Initiative und Mitarbeit des AÖF-Netzwerks zurück.
759 Plätze gibt es derzeit in dreißig Frauenhäusern, damit liegt Österreich im europäischen Durschnitt. Von 1991 bis 2012 suchten rund 53.000 Frauen und deren Kinder in den Frauenhäusern Schutz und Unterstützung. In den Wiener Häusern waren es seit 1978 ingesamt 14.000 Frauen und 13.500 Kinder - momentan gibt es in Wien vier Frauenhäuser mit insgesamt 175 Plätzen.
Gewalt, die kaum sichtbare Spuren hinterlässt
Gewalt gegen Frauen hat Konsequenzen, das ist heute auch Tätern bewusst, wie Andrea Brem meint. "Was wir jetzt erleben ist, dass die Gewalt fieser wird, nicht weniger massiv, aber weniger sichtbar. Schwer beweisbar." Die Geschäftsführerin der Wiener Frauenhäuser erzählt von einem Fall, bei dem ein Arzt seine Frau nur auf den Kopf schlägt, weil man da die Hämatome nicht sieht.
Frauenhäuser Wien
Neben körperlicher und sexualisierter Gewalt, ist es psychische Gewalt, denen viele der Frauen oft über Jahre ausgesetzt sind, bevor sie ein Frauenhaus aufsuchen. Mit einer Kampagne legen die Wiener Frauenhäuser momentan den Fokus auf diese Problematik. "Wovon wir sprechen, das ist Psychoterror, wo verschiedene Dynamiken ineinander verschränkt sind." Und die skizziert Andrea Brem so: "Frauen dürfen keine Kontakte haben, sie werden über lange Zeit massiv abgewertet, ihr Selbstwertgefühl wird völlig untergraben, sie sind einer extremen Kontrolle ausgesetzt und sie werden teilweise sehr gefährlich bedroht - es wird ihnen gedroht, sie umzubringen oder sie werden über die Kinder bedroht, dass die ihnen weggenommen werden, oder der Mann droht mit Selbstmord, auch das ist eine massive Bedrohung."
Mit ihren Kampagnen wollen die Wiener Frauenhäuser nicht nur Betroffene, sondern alle Menschen ansprechen und für die Problematik sensibiliseren. Denn, gerade in den letzten Jahren sind es oft die Chefs oder Nachbarn betroffener Frauen, die sie motivieren, sich Hilfe zu suchen.
Eine von fünf hat Gewalterfahrungen
Für Österreich gibt es noch keine Studie, die das Ausmaß von Gewalt gegen Frauen auf Basis einer repäsentativen Umfrage dokumentiert. Doch Rückschlüsse lassen sich aus europäischen Studien ziehen, heißt es auch beim Gewaltschutzzentrum. Das Ergebnis einer dieser aktuellen Studien aus Deutschland lautet: "Jede vierte bis fünfte Frau im Alter von 16 bis 85 Jahren ist/war körperlichen und/oder sexuellen Übergriffen durch Ex-/Beziehungspartner ausgesetzt."
Eine von fünf - diese Zahl ist nicht neu, sie ist seit Jahren von ExpertInnen zu hören. Auch wenn sich Umgang und Form von Misshandlungen verändert haben, passiert Gewalt "in genau derselben Heftigkeit wie früher", so die Geschäftsführerin der Wiener Frauenhäuser, Andrea Brem. "Solange viele Frauen von ihren Männern ökonomisch abhängig sind, wird die Gewalt weitergehen."
Gleichzeitig zeigen aber Untersuchungen aus Deutschland, dass gerade Frauen, die mehr verdienen als ihr Partner, die erfolgreicher sind als er, Gefahr laufen misshandelt zu werden -Täter demütigen ihre Partnerinnen, um ein vermeintliches Gleichgewicht in der Beziehung herzustellen. Andrea Brem: "Der gesellschaftliche Hingergrund ist immer noch der, dass der Mann der Haupternäherer der Familie ist. Wenn dieses System aus irgendwelchen Gründen nicht klappt, ist das in jedem Fall ein Punkt wo es vermehrt zu Gewalt kommen kann, in allen gesellschaftlichen Schichten."
Die Ansage und Analyse aus den 70ern, den ersten Tagen der Frauenhäuser gilt heute noch: Gewalt an Frauen ist ein politisches und gesellschaftliches Problem.