Erstellt am: 17. 11. 2013 - 16:11 Uhr
Für immer Honig, zumindest heute
"It's so easy to laugh / It's so easy to hate / It takes strength to be gentle and kind" - das hat Morrissey schon 1986 im The-Smiths-Song "I Know It’s Over" gewusst. Dass die Ironie und der Zynismus ach so charakteristische Modi im Ausdruck der Generation X bis hinauf zu den Millenials und denjenigen, die man vermutlich in irgendeiner Werbeagentur immer noch "Hipster" nennt, gewesen sein sollen, davon haben wir schon genauso viel gehört, wie von der Ansicht, nach der die Ironie aber schon so was von over sei. Ironie ist immer die Ausrede.
In manchen Momenten darf man sich also auch eine ernstgemeinte, warmherzige, herzensgute und aus Frottee geformte Musik wünschen, die es ganz genau so sagt, wie es ist und wie es gemeint ist, nämlich, dass die Liebe und das Verliebtsein zwei total unschlagbare Konzepte zur Gemütserwärmung sind. Ein ganzes Leben könnte man sich so vorstellen!
Mutual Benefit
- Alle Songs zum Sonntag auf FM4
- Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.
Der Musik, die der junge US-amerikanische Musiker Jordan Lee mit seinem Projekt Mutual Benefit so fabriziert, haftet aktuell also der liebevolle Geruch des Altmodischen an bzw. es wird jetzt vielleicht wieder modern werden, sich einer verschlafen-putzigen Schlafzimmer-Hausmusik hinzugeben und an Banjos und Ukulelen Rauschebart-Folk zu basteln, der nach Zimt und Honig schmeckt.
Ende Oktober ist das richtig gut bezaubernde Debütalbum von Mutual Benefit namens "Love’s Crushing Diamond" erschienen, eine Platte, die die durch sie bestäubte Welt für knappe 30 Minuten gut 8 Jahre in die Vergangenheit transportiert. Liebe Hippies wie Devendra Banhart entwarfen damals kauzige Musik, einerseits für Wald, Wiese und Lagerfeuer, genauso aber auch immer mit Weirdness und Verstörungspotenzial ausgestattet. Das Animal Collective hatte die Elektronik noch nicht so recht für sich entdeckt und klopfte und rasselte lieber an Holz und tausend kleinen Glöckchen im Gebüsch.
Bei Mutual Benefit – schon der Name lässt erahnen, dass wir es hier mit einem wohlerzogenen jungen Mann zu tun haben könnten – fehlt jetzt so gut wie jeder Sinn zur Störrigkeit und zum Querschlägertum. Herrlich tönen hier die Glockenspiele, gar sensibel wird die akustische Gitarre befühlt, Violinen summen. Das alles ist ganz wunderbar und ein süßes Antidot zu dem ständigen Haten und Edgy-Sein-Müssen. Morgen ist dann wieder japanischer Noise und usbekische Tape-Manipulation.
Mutual Benefit
Die Single "Advanced Falconry" ist so etwas wie der Signature-Song von Mutual Benefit – und auch das beste Stück auf "Love’s Crushing Diamond": Ein barock aufgeschmücktes Stück schüchterner Kammerpop, dem es sogar gelingt, nach furchtbaren Jahren des Overkills durch furchtbare Bands auch ein Banjo wieder sympathisch klingen zu lassen. Jordan Lee singt so schlichte und schöne Zeilen wie "Oh to stare into the void / And see a friendly face / And find meaning in a word / In a moment of rare grace" , danach umarmen wir uns, ganz vorsichtig, und drücken einander im genau richtigen Maße feuchte Küsse auf die Wangen.
Und der Titel des Songs? "Advanced Falconry" bedeutet so viel wie "Greifvogeljagd für Fortgeschrittene" und gibt diesem großäugigen Lied so dann doch noch einen giftig-gefährlichen Beigeschmack mit auf den Weg, nicht auszuschließen ist auch eine sexuelle Konnotation, damit wir vor lauter lieblichem Biedermeier nicht komplett unter der Kuscheldecke wegdösen.