Erstellt am: 16. 11. 2013 - 19:12 Uhr
„Not corroded Plastic“
Den ersten Tag hatte ich – trotz des Willens, mir das vielgerühmte Projekt Kidcat Lo-Fi unbedingt anschauen zu wollen – fast ganz verpasst und „nur“ mehr Amanda Palmer teilweise gesehen. Aber was heißt da „nur“: Die Frau ist eine Macht, eine Glaceehandschuh tragende Ein-Frau-Armee von Talent, Spielfreude, ideologischer Festigkeit und sexueller und gesellschaftlicher Energie … was soll ich sagen, was ich nicht schon gesagt habe: Egal ob sie alleine mit dem Kurt-Weill-Piano, mit ihrem Ehemann und Stephin Merritt auf der Ukulele, mit dem (leider erbärmlichen) Grand Theft Orchestra, mit den irrwitzigen Dresden Dolls spielt oder als Vortragende von Crowdfunding, Feminismus, Selbstermächtigung, Kunst oder Medienkritik spricht – sie ist unschlagbar und ich kenne immer noch niemanden, der diese Frau wenn nicht liebt, so doch irgendwie bewundert.
Das Lou Reed Tribute am Ende ihres Blue Bird Gigs, das Martin Blumenau gestern schon gepostet hat, dürfte ihrer Popularität auch nicht gerade geschadet haben. Und wartet nur, bis der Advent noch unser Geheimdokument mit Amanda Palmer auspackt, ihr werdet schauen und staunen. Bald schon, sehr bald.
Tag zwei versprach dann auch so einiges – und hielt es. Statt der abgesagten Rae Morris spielt kurzfristig der Vorarlberg- Amerikaner Matt Boroff.

VSA/Hanna Pribitzer
"I want to get Lost!"
Ich muss zugeben, dass ich mich nicht um Matt Boroff gerissen hatte, bisher - zu sehr verkörperte der in Vorarlberg lebende Amerikaner einen aus der Grunge-Zeit herüberwehenden Rockismus, das Cowboystiefelig- Rauhbeinige, das einsam bis in den Tod gegen den unerbittlichen Wüstenwind Angesinge, zu dem man(n) nebenbei dem Einzigen-Freund-Pferd nach dem Klapperschlangenbiss den Gnadenschuss gibt, mit einer Träne, die beweist, dass auch die Härtesten ihre Gefühle zeigen können … Ungerechte Klischees, ich weiß - so etwas stand ja andererseits Leuten wie Walter Salas Humara oder Mark Lanegan öfter gut zu Gesicht und hat auch mich schon mal zum Dreitagebartstehenlassen animiert. Und in deren Spiel mit Lärm und Rauheit fühlt sich Boroff auch ganz wohl,er weiß genau, was zu tun ist. Matt Boroff beeindruckt dann auch durch die Tatsache, dass er das Ganze für diese Musik nötige Repertoire völlig alleine herzustellen imstande ist. Sein bester Freund ist das notorische Loop Pedal, mit dessen Hilfe sich die ganze Rhythmusgruppe simulieren lässt, inklusive zig Layern verzerrte Gitarrentürme, über die obgenannter Gesang eingepasst wird – so steht der einsame Mann einsam auf der Bühne und singt, er möchte „lost“ „getten“. Der Menge hat's gefallen.
Derweil sieht man den leibhaftigen Adam Green mit einem merkwürdigen Hut auf dem Kopf etwas ziellos durch das Porgy schlendern – ob er wohl etwas getrunken hat? Und ein konzentrierter Wohlbekannter setzt sich auf der Bühne ans Piano, während neben ihm tatsächlich eine Harfe reingeschoben wird. Vorher kommt noch Host Klaus und beseitigt alle Unklarheiten: Das folgende Konzert ist eine Premiere, die akustische Live-Umsetzung von „Skull & Bones“, dem Zweiten von zwei soeben erschienenen Alben der Band Chain Reactions um Sofa Surfer Wolfgang Schögl a.k.a I-Wolf.

VSA/Hanna Pribitzer
The Singer
Es ist schön, ihn wiederzusehen – und nichts dabei wieder zu sehen, was er immer schon gemacht hat. Und es ist schön, dass jemand wie Wolfgang Schlögl, der seit Jahren mit Unermüdlichkeit die halbe Szene vor sich hertreibt, so spät noch seine Liebe zu etwas Unerwartetem entdecken kann. Dem Singen. „Ich wollte einfach wieder singen“, sagt er nach dem Konzert der Chain Reactions, „und das war weniger eine Erweckung als aus einer Not geboren, weil ich den Musikern die Sachen ja vorsingen musste, damit sie sie spielen können“. Und nun singt er. Es wäre nicht I- Wolf, hätte er das Ganze nicht mit Musik in großem Stil umrahmt, Musik von einer Riesenband mit zwei Gitarren, elektrischer Violine, drei MitsängerInnen, Notenständern, einer Harfe und einem Schlagzeuger mit Paukenschlegeln und Besen, die ganze Wucht und Professionalität, die man von seinen Soul-Strata-Projekten und den Sofa Surfers kennt – nur hier – dem Motto des Festivals entsprechend – akustisch umgesetzt. Am Anfang singt er alleine, eine Nummer der fast vergessenen Neunziger-Chanteuse Liz Phair, nach und nach betritt diese Fußballmannschaft von Band die Bühne und steigert den Gig leise spielend unmerklich nach und nach zu einem Big Sound, sodass man erst am Schluss merkt, wozu so viele MusikerInnen nötig gewesen sind. I –Wolf beherrscht die große Form und die intime Nuance gleichermaßen. Wenn er dieses Riesenprojekt gebraucht hat, um sich und uns zu beweisen, dass er das auch ohne Computer kann, ist das einmal mehr gelungen.
Das Wunderkind
Adam Greens Pensum muss man mal schaffen. Er singt, komponiert, malt, führt Regie, macht Interviews, zieht mit Carl Barat und Macaulay Culkin über die Häuser, hat sieben Alben veröffentlicht, eine legendäre Band gegründet und aufgelöst, einen I-Phone-Film voller Promi-Freunde gedreht und ist gerade mal 32. Und Franz Kafkas Geliebte Felice Bauer soll seine Urgroßmutter gewesen sein, aber das kann ich irgendwie immer noch nicht glauben, obwohl es mir schon 50 Mal erzählt worden ist.

VSA/Hanna Pribitzer
Adam schlurft auf die Bühne und macht das, was sich alle gedacht hatten, nachdem bekannt geworden war, dass er hier endlich spielt: Er spielt „Bluebirds“ und findet einen Diamanten in seinem Zahnfleisch, als er seine Weisheitszähne reinigt. Die Bühne wirkt nach den raumfüllenden Chain Reactions und Matt Boroffs Wald von Pedalen und Verstärkern so leer, als würde ein Off Theater modernen Tanz in den Räumlichkeiten eines stillgelegten Opernhauses in Detroit aufführen. Und Adam füllt diese leere Bühne mit ebensolchem. Begleitet von einem italienischen Gitarristen stakst, hüpft, und stolpert er durch sein Modern Dance Repertoire und ist so gut gelaunt und aufgeräumt, wie man es von ihm nicht immer gewohnt war, er übt sich in Posen, verteilt charmante Bonmots und Küsschen und gibt mal den Crooner, was er ausgezeichnet kann, mal den Geschichtenerzähler und Songwriter – was er ebenfalls ausgezeichnet kann. Der Mann ist ein textsicherer Lyriker, in einem kurzen Moment bewundere ich den Lektor des Adam-Green-Buches „Magazine“ bei Suhrkamp – vielleicht hat er die Qualität dieser oft absurden und dann wieder punktgenauen Songzeilen richtigerweise als Poesie schon erkannt, als ich dem Projekt noch Exploitation vorgeworfen hatte.

VSA/Hanna Pribitzer
Heute wirkt er ein wenig beschwipst, was ihm aber ganz gut tut, denn Fröhlichkeit und unarrogante Kommunikation sind in der Vergangenheit nicht gerade seine Stärken gewesen, vielleicht hat das wienerische Stehachterl seinen jungshaften Charme noch verstärkt. Alle singen und klatschen mit, als wären sie auf einer jüdisch urbanen Version einer Landjazzmesse, jede/r lächelt, allen geht’s gut. Adam erzählt ungefragt, wie sehr ihm Gulasch aufstößt - jaja, die vielen Zwiebel - und wie sehr wir auf Wien stolz sein sollen, immerhin sei es nicht aus „rostigem Plastik“ – wieder ein schönes Bild, das ihm offenbar mühelos rausrutscht. Am Ende des Gigs nimmt er noch das Motto des akustischen Festivals ernst und singt die Zugabe ohne Mikrofon, worauf die Mitsingmeute ganz still wird und lauscht.
... und die Torte
Und dann – wie immer am Ende von was Schönem – gibt es Torte.
- www.songwriting.at
- FM4 Acoustic Session mit Adam Green
Am dritten Tag, heute, spielt die wieder genesene Legende Edwyn Collins, die charmante Rachel Sermanni und der überaus interessante Spoken-Word-Chor-Ukulelen-Hybrid A Band of Buriers. Davon morgen mehr ...