Erstellt am: 15. 11. 2013 - 19:02 Uhr
"Don't need to shake my ass"
Es hat ein paar Tage gedauert, bis ich meine Privilegien ausreichend gecheckt hatte: weiß, männlich, europäisch, mittleren Alters, nicht Hunger leidend und so weiter. Und während ich mir gründlich überlegte, ob ich der richtige bin, hier meine Meinung abzugeben, war der Twitter-Feed bereits dazu übergegangen, alle abzukanzeln, die dachten, sie müssten die Welt mit ihrer Sicht des Lily-Allen-Videos behelligen.
Um ehrlich zu sein, war es genau diese hyperblasierte Standard-Pose, die mich dazu gebracht hat, erst recht und schon überhaupt mit Verspätung diesen Blog zu schreiben.
Weniger als Reaktion auf das Video (zu dem ich jetzt nicht zu verlinken brauche, das schafft ihr schon selber) denn als Zusammenfassung einiger der interessantesten Reaktionen anderer, vielleicht noch mit Zusatzbemerkung hinten dran.
Da waren einmal die ersten Blogs wie der tumblr #BlackinAsia (übrigens ein Mann), der Lily Allens Video geradezu forensisch des Rassismus überführte und dabei eigentlich nur das sowieso Unübersehbare sichtbar machte.
Dann die Rechtfertigung vonseiten Lily Allens, in der sie behauptet, ihr Video habe "nothing to do with race, at all."
Schon Punkt 1 und 2 ihrer sechspünktigen Klarstellung hinkten allerdings hoffnungslos:
„1. Wenn irgendjemand nur für eine Sekunde glaubt, dass ich eine spezielle ethnische Zugehörigkeit für das Video verlangt habe, dann liegt er/sie falsch.
2. Wenn irgendjemand glaubt, dass ich die Mädchen nach dem Vortanzen wegen ihrer Hautfarbe wegschicken würde, dann liegt er/sie falsch.“
Nun ja: Abgesehen davon, dass Tänzerinnen von professionellen Agenturen wohl mit Foto im Katalog zu finden sind, ging es vor allem um die ethnische Herkunft des verlangten Tanzes, des Twerking, bzw. der Hip-Hop-Kultur, aus der er kommt. Das ist schließlich der Bezug auf die Goldketten im Text:
„I won't be bragging 'bout my cars or talking 'bout my chains
Don't need to shake my ass for you 'cause I've got a brain.“
Ich werde nicht über meine Autos prahlen oder über meine Ketten reden
Ich brauch für dich nicht mit dem Hintern zu wackeln, denn ich hab ein Hirn.
Wenn man sowas textet und dann andere auffordert, für die Kamera mit dem Hintern zu wackeln, während man sich selbst bedeckt hält und vergleichsweise bescheiden bewegt, dann klingt Punkt vier von Lily Allens Verteidigungs-Statement umso widersprüchlicher:
„4. Wenn ich tanzen könnte, wie das die Ladies können, dann wäre das auf euren Bildschirmen mein Arsch gewesen.“
Auch mit dem größten Ironieverständnis geht sich das wohl kaum aus, wie übrigens auch die altvordere feministische, weiße Kommentatorin Suzanne Moore im Guardian bemerkte: „Ah, die Ironie! Der ins Leere starrende, konservative und faule Ersatz für das kritische Denken.“
Moore führt in ihrem Text sehr schlüssig aus, warum Lily Allen sich von der visuellen Ausbeutung der Körper ihrer Models nicht freisprechen kann: „Wir leben genauso wenig in einer post-rassistischen wie einer post-feministischen Welt. Das ist der Kontext, in den dieses Video fällt: Eine weiße Frau aus der Mittelklasse spielt die Anführerin für anonyme, schwarze Frauen.“
Chris Sweeney, der Regisseur des Videos stritt das in einem – für das Medium typisch mit einem Standbild aller beteiligten Frauenhintern illustrierten – Interview mit Vice ab.
Einerseits betont er darin, wie viel Spaß der Dreh den beteiligten Frauen gemacht habe. „Schwesterlich“ sei die Atmosphäre gewesen.
„Sie steht nicht vorne und sagt: 'Schaut, was diese Mädchen tun müssen.' Ihre Aussage ist 'Schaut, was WIR alle tun müssen', und ich denke, das war wirklich wichtig.“
Verwirrend. Und ich dachte, im Text ginge es darum, dass Lily – ich sagte es schon vorhin – eben nicht mit ihrem Hintern wackeln müsse. Offenbar ein Irrtum, wie uns Sweeney aufklärt:
„Ich dachte, es wäre heuchlerisch, zu sagen, dass das ist, was alle anderen machen, aber wir tun es nicht.“
Eine ganz neue Definition von Heuchelei, derzufolge man alles, was man kritisiert, selbst tun muss. Aber es geht noch weiter:
„Deshalb macht sie (Lily, Anm.) mit, und macht alle die Dinge, die alle machen (nicht in dem Video, das ich gesehen habe, Anm.). Ich denke wir sind alle Komplizen darin. Man muss es sein, das ist, was heutzutage verlangt ist.“
Man haue mir auf den blanken Hintern im String-Einteiler, aber war ich einfach zu dumm zu verstehen, dass offenbar nicht das Video, sondern die feministische Pose von Lily Allen als ironisch zu verstehen war? Anders geht sich das nämlich nicht aus.
„Ich denke, es hat alles mit den Leuten zu tun, die die Videos machen, den Sängerinnen, und ob sie damit zufrieden sind. Was ich nicht will, ist, dass die Leute glauben, dass sie sich auf eine gewisse Art verhalten müssen, um in die Charts zu kommen.“
Zur Erinnerung: Hier geht es um einen Song, der wörtlich Objektifizierung kritisiert. Also den Prozess, wo das Individuum für den Betrachter und die Betrachterin auf ein Objekt reduziert ist. Wo es somit egal ist, wie dieses Objekt sich dabei fühlt. Ganz abgesehen davon, dass eineR draus schlau werden soll, warum man sich einerseits nicht „auf eine gewisse Art verhalten muss“, wo es doch andererseits „das ist, was heutzutage verlangt ist.“ Aber Sweeney ist auch ein Video-Regisseur, kein Kulturkritiker. Im Gegensatz Ayesha A. Siddiqi, die ebenfalls in Vice eine der schärfsten Kritiken zu Lily Allens Video anbieten durfte.
Ah, die Pluralität der Bloggerei, der ins Leere starrende, konservative und faule Ersatz für Stellungnahme und Positionierung.
Hier sind noch ein paar empfehlenswerte Blogs zum selben Thema: Alex McPherson in der Black Sky Thinking-Kolumne von The Quietus und Poejazzi.
Was in beiden und den anderen zitierten Kommentaren nicht vorkommt, ist ein anderes schiefes Element in Lily Allens Rhetorik, das sich nicht am Rassismusvorwurf, ja nicht einmal am Video festmachen lässt, und zwar folgende Zeilen: „You'll find me in the studio and not in the kitchen.“
Und ich dachte ja, es wäre eine tolle Sache, Tätigkeiten, die früher ausschließlich Frauen zugeschrieben wurden, wie etwa das Kochen, auf- und nicht abzuwerten. Irgendwer kocht für Lily Allen und ihre Musiker_innen und ihren Videoregisseur, während sie im Studio sind, und findet das auch in Ordnung, solange er oder sie dafür denselben Respekt bezieht. Hört sich aber nicht ganz so an.
Da kommen wir zu einer ganz anderen Frage, die sich in einem anderen Reim „There's a glass ceiling to break, uh-huh / There's money to make“ aufwirft. Ob nämlich eine Befreiung, die sich an traditionell patriarchalen, individualistischen Aufsteiger_innenmythen orientiert, wirklich so viel mit Feminismus zu tun hat, wie Lily Allen tut.
Oder ob der eher selbstgefällige Verweis auf das Geld, das sich machen lässt, im Großbritannien des Jahres 2013, wo entgegen dem allgemeinen Trend die Jugendarbeitslosigkeit beharrlich nicht sinken will bzw. die meisten Frauen nicht an der Glasdecke anstoßen, sondern mit ihren Teilzeitjobs - unter anderem in den Küchen vermögenderer Menschen - am Existenzminimum herumgrundeln, nicht eher doch auch ein bisschen eine Chuzpe ist.