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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

13. 11. 2013 - 17:56

Kopflos durch die Nacht

Erfolgreiche Melkung einer altbekannten Geschichte: Die TV-Show "Sleepy Hollow" ist ein albernes, ein großes Vergnügen.

In Serie

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"The Question is not where but when. Welcome to the 21st Century, Mr. Crane!" sagt ein Cop während des Verhörs zu einem zerzausten und sichtlich verwirrten Ichabod Crane, der gerade erst in einer ihm schwer nachvollziehbaren Welt angekommen ist. Der Interviewer scheint, so bedeutungsvoll wie ihm diese Zeilen von den Lippen springen, ein Leben lang auf diesen Moment gewartet zu haben. Er hat ihn so ähnlich wahrscheinlich schon in vielen Cop- oder Sci-Fi-Shows gesehen. Sehr vieles kommt in "Sleepy Hollow" ganz genauso wie man das erwartet hätte, vieles kommt zum Glück ganz anders.

Liest man die Prämisse der Show "Sleep Hollow", die diesen September auf Fox Premiere hatte, könnte man ohne große Verrenkung meinen, dass so etwas nie funktionieren kann – tatsächlich aber ist "Sleepy Hollow" einer der Quotenrenner der Herbstsaison und fährt durchaus wohlwollende Kritiken ein. Zwei Wochen nach der Premiere wurde die Entscheidung bekannt gegeben, "Sleepy Hollow" für – mindestens – eine zweite Staffel zu verlängern. Die Stapelung von allerlei Populärem und Hanebüchenem führt hier zum Erfolg. In Zahlen wie auch in ästhetischer Hinsicht.

Sleepy Hollow

Sleepy Hollow

Sleepy Hollow

Die Idee hinter "Sleepy Hollow" ist freilich sehr an den Haaren herbeigezogen – an so schön adrett ungewaschenen Haaren wie die des feschen jungen Mannes mit dem zur Schau gestellten englischen Akzent, der sich Ichabod Crane nennt und wie aus dem Nichts im klarerweise unscheinbaren US-amerikanischen Kleinstädtchen Sleepy Hollow aufgetaucht ist. Und einen verdreckten Wamst spazieren führt, der heutzutage nur mehr an Männern zu betrachten ist, zu deren Hobbys das Re-enactment des Unabhängigkeitskriegs gehört. Natürlich mag diesem mitten auf der Straße aufgelesenen Streuner zunächst - wirklich nur sehr kurz - niemand glauben, dass dieser nach einer tödlichen Verletzung im Jahr 1781 gut 230 Jahre verschlafen haben soll.

Crane mag es ja selbst kaum für möglich halten, hier nun in einer Gegenwart aufgeschlagen zu sein, in der es Pistolen mit mehr als einem Schuss Munition gibt. An jeder Ecke ein komisches Etablissement namens "Starbucks". Früher war da ein Pferdestall. Dieser Fish-Out-Of-Water-Humor, der für gewöhnlich bei derlei Ausgangslage versucht, ganze Kinofilme über die gesamte Distanz zu tragen, wird in "Sleepy Hollow" jedoch sparsam und subtil eingesetzt. Wobei Subtilität gerade nicht eine der Stärken der Show ist.

Dem englischen Hauptdarsteller Tom Mison ist hier einiges zu verdanken. Mit seinem Ichabod Crane hat er einen vielseitigen Helden zwischen Selbstverliebtheit, Schnöseligkeit und großem Herzen geschaffen. Ein Held, der an das Gute glaubt und das Gute will, der gerne übereuphorisch die großen Gefühle bemüht. Der gerne feingeistig sinniert und sich dabei sehr gerne selbst zuhört und für sein viel zu gutes Aussehen mitunter etwas zu tollpatschig durch die Gegend stakst.

Die TV-Serie "Sleepy Hollow" stützt sich nur sehr vage auf die gleichnamige US-Amerikanische Volkserzählung vom Landschullehrer Ichabod Crane und dessen nächtlicher Begegnung mit dem kopflosen Reiter. Tim Burtons Verfilmung des Stoffes mit Johnny Depp war dagegen buchstabentreu. Der moderne Crane scheint dank seines Detailwissens über die Vergangenheit und seiner Verbindung mit dem Übernatürlichen ein hilfreicher Berater für die Polizei sein zu können. Auch gegen alle Vernunft. Auch wenn man ihn vor wenigen Sekunden noch für einen Wahnsinnigen oder Mörder gehalten hat. Wie es scheint, sind Crane der kopflose Reiter, diverse Dämonen, Hexen und andere finstere Gestalten in die Gegenwart und ins Diesseits gefolgt.

Crane wird mit der toughen Polizistin Abigail Mills (großäugig und -artig: Nicole Behaire) zusammengespannt, um geheimnisvollen Fällen auf den Grund zu gehen. Das Zusammentreffen mit der afro-amerikanischen Polizistin Mills sorgt für den erwartbaren Culture Clash. Selbst für den Menschenfreund und Vorwärtsdenker Crane muss bezüglich der Attitude hinsichtlich Hautfarbe und Geschlechterrollen kurz verdaut werden. So spielt "Sleepy Hollow" mit dem Duo Ichabod Crane / Lieutenant Mills zum einen vor allem auch mit den guten, alten Klischees des Buddy Cop Movies. Aber auch hier wird nicht um jeden Preis das humoristische Potenzial der charakterlichen Opposition ausgeschöpft: Zu sehr sind sich Mills und Crane von Anfang sympathisch, zu sehr wollen sie dasselbe. Die Welt nämlich vor der Apokalypse bewahren, die sich anschickt in Sleepy Hollow ihren Ursprung zu nehmen.

Das Fundament von "Sleepy Hollow" bildet ein wildes Mystery und Grusel-Gemisch. Allerlei Kreaturen, ominöse Gestalten und merkwürdige Seuchen suchen Sleepy Hollow heim, der kopflose Reiter aus der Original-Sleepy-Hollow-Sage wird hier gleich munter zu einem der vier Reiter der Apokalypse umgedeutet.

Verschwörungstheorien, Freimaurer, Voodoo und kryptische Botschaften aus dem Totenreich. In "Sleepy Hollow" hat alles Übersinnliche, was die Popkultur so hergibt, Platz. Die Show ist sich ihrer Überladenheit zwar vollkommen bewusst, übertreibt es aber nicht mit der selbstreferentiellen Augenzwinkerei, die mittlerweile schon jedem Dorfschultheaterregisseur bekannt ist. Ähnlich wie bei den "X-Files", auf die sich "Sleepy Hollow" in mehrfacher Hinsicht deutlich beruft, wird bislang pro Episode meist eine Art auch für sich genommen zu begreifender Fall der Woche gelöst, gleichzeitig entfaltet sich im Hintergund ein größerer, mysteriöser Gesamtzusammenhang.

Ein schönerer Drahtseiltakt - nicht selten eiert es bei "Sleepy Hollow" gehörig - zwischen Spannung, leisem Humor, billigem Schocken und teils komplettem Quatsch ist aktuell auf dem Seriensektor kaum zu erleben. Die Besinnung auf Traditionen (es muss dann eben doch dann und wann das gute "U! S! A!" bemüht werden), das Zusammenkommen von Alt und Neu, die unendlichen Möglichkeiten in diesem Land mit so großer Geschichte und der Fortschrittsglaube – selten war humanistische Message in so viel prächtige Albernheit verpackt.