Erstellt am: 12. 11. 2013 - 16:55 Uhr
Scheiß-Lebensinhalt
Reche Laub unter den Obstbäumen zusammen. Lasse dünne Laubschicht auf Wiese zurück als wärmende Hülle und zwecks Rascheleffekt beim Drübergehen. Verteile Kompost auf Abgeerntete Beete. Zu mittag bringt Toni warmen Apfelstrudel und einen Korb Brennholz aus der Gerätekammer mit.
"Die wilde Gärtnerin" ist der zweite Roman der Peotry-Slammerin Nadja Bucher und im Milena Verlag erschienen.
Und: Nadja Bucher wird am Samstag, den 23. November, um 16:30 auch auf der FM4-Bühne auf der Buchmesse Buch Wien aus ihrem Roman lesen!
So idyllisch geht es bei Helen Czerny zu, die sich von der Welt zurückgezogen hat und sich ihren Pflanzen und dem Kompostklo widmet. Das ist ein Plumpsklo in ihrem Garten, wo sich Helens Scheiße langsam in 1a-Gartendünger verwandelt. Darmtätigkeit beobachten und guten Humus produzieren, das ist ihr Lebenshinhalt. Bis eine neue Nachbarin gegenüber einzieht, mit der sich Helen anfreundet.
In unserem letzten Gespräch hat Berta gemeint, man müsse etwas gegen die Zustände tun. Gegen die Mächtigen vorgehen. Sich nicht auf den Kopf scheißen lassen. Wollte jemand mit dem Anschlag auf das Atommüllager „etwas tun“? War das ein kraftvoller Aufstand der Entmachteten oder die Demonstration unbedarfter Hilflosigkeit. Würde zu gerne wissen, was Berta davon hält.
milena verlag
Mit Berta zieht auch die Welt draußen nach und nach wieder in Helens Leben ein. Aber es erhärtet sich der Verdacht, dass Berta auch etwas zu tun hat mit den Geschehnissen, die in Schlagzeilenform angerissen werden.
++Selbstmordrate in Griechenland um 40 Prozent gestiegen ++ Österreich senkte Entwicklungshilfe zum Vorjahr um 14 Prozent ++ AKW-Betreiber für Stunden entführt – keine Lösegeldforderung ++
Soweit die Ausgangsposition, der Roman besteht aber aus mehreren Ebenen: Einerseits Helens Journaleinträge, gespickt mit ebendiesen Schlagzeilen. Außerdem Verhörprotokolle von Helens Nachbarin und bester Freundin Toni, aus denen wir erfahren, dass Helen verhaftet wurde. Und dann wird in Einschüben auch noch die Familiengeschichte der Frauen der Familie Czerny erzählt, von Kaisers Zeiten bis zu Helens New-Age-Hippiemutter:
Schon als Dreijährige hatte Leda mit ihr zuhause erste Atemübungen gemacht. Langsam waren sie zu Meditationen und Yogaübungen übergegangen (…) Mit fünf konnte sie mittels Atem und Konzentration ihren Geist von belastenden Gedanken befreien. Wenn andere Kinder Angst verspürten, machte sie eine Reise an ihren Kraftort.
Zusammen ergibt das ein vielschichtiges Bild und man ist gespannt, worauf die vielen Teile zum Schluss hinauslaufen. Leider verliert vor allem der Gegenwartsteil mit der Zeit ein wenig an Drive. Trotzdem ein spannendes Buch, das ein Jahrhundert Zeitgeschehen und heutige gesellschaftliche Probleme - vom Umgang mit der Wirtschaftskrise bis zur allgegenwärtigen Terrorjagd - schön in der Geschichte einer Person verdichtet.