Erstellt am: 11. 11. 2013 - 18:52 Uhr
Musik statt Politik
"Politics is over!" Als Abdel Rahman Hussein diesen Satz sagt, bin ich noch nicht einmal schockiert. Viele junge Ägypter haben Politik wieder den alten Kräften überlassen. Anstrengend, frustrierend und gefährlich ist es in Ägypten gegen die Regierung zu arbeiten. In den letzten drei Jahren haben es Menschen wie Abdel Rahman versucht. Nicht immer erfolgreich, und selten mit dem Resultat, das sie anvisiert hatten. Aus dem Sturz Mursis im Juli wurde binnen Tagen ein Militärputsch und binnen Monaten die gewalttätigste Regierung, die Ägypten je hatte.
Sami Khamis
Deshalb reden wir nicht über Politik, sondern über Musik. Abdel Rahman Hussein sitzt in seinem Wohnzimmer über den Dächern Kairos. Eine Schachtel Zigaretten ist ebenso in Griffweite, wie sein Smartphone und seine Gitarre. Abdel Rahman ist leidenschaftlicher Raucher und ein mindestens ebenso leidenschaftlicher Musiker. "Schon als Kind haben mein kleinerer Bruder und ich Musik gemacht", erinnert sich der 32 Jährige, "Uns ging es wie allen anderen Ägypter, die in einer Band waren. Wir wussten einfach nicht, wohin mit unseren Songs." Und deshalb sollte die Zeit "wo unsere fünf Freunde bei unseren Konzerten auftauchten und sonst niemand" endlich vorbei sein.
Zum Glück gibt es für solche Probleme das Internet und große Brüder. Der hat Abdel Rahman dazu genötigt die Website Dandin (arabisch für Summen) zu starten. Es sollte eine Art ägyptisches Soundcloud sein, aber nicht ganz so riesig und auch nicht ganz so unübersichtlich. E Voila: Seit gut einem Monat ist Abdel Rahman online.
"Die Leute schicken uns alles Mögliche an Musik", seufzt Adel Rahman, nachdem sein Smartphone zum achten Mal in wenigen Minuten aufgeblinkt hat. Dandin läuft an, und er ist derman-in-charge. "Wir bekommen Sachen auf Arabisch, aber auch auf Englisch. Das geht los bei Rock, über Rap, Electronic, bis hin zu zeitgenössischer klassischer Musik aus Ägypten, expertimenteller Musik von Frauen oder einem koptisch christlichen Chor."
Sammy Khamis
Die Webseite Dandin braucht derzeit noch viel Monitoring. Als auf Dandin eine deutsche Nachrichtenmeldung auftauchte, nahm Abdel Rahman sie wieder von der webseite. "Wenn es nicht dein eigener Content ist, dann kannst Du ihn auch nicht hochladen." Und es wird fleißig hochgeladen.
Deshalb lässt Abdel Rahmans Blick sein Handy auch nie aus dem Blick und zündet sich eine an. Was soll er sonst machen? Abdel Rahman ist ein Getriebener. Und ein ausgezeichneter und renommierter Journalist dazu. Er hat für den Daily Star Egypt geschrieben und war bis 2012 Korrespondent für den britischen Guardian. Aber "nach den ganzen Geschichten, über die ich in den letzten Jahren schreiben müsste, bin ich richtig froh etwas entdeckt zu haben, was mir wieder Hoffnung gibt. Das letzte Mal hatte ich diese Hoffnung während der Revolution im Januar 2011.Dandin verbreitet diesesGefühl von damals."
Eine Geschichte hat ihn besonders gepackt, meint Abdel Rahman mit einem breiten Grinsen im Gesicht, "die von einem Mann, der in einer Zementfabrik arbeitet. Wir haben nicht nur Musik auf der Website sondern auch Gedichte et cetera. Er hat sich an seine Jugendgedichte erinnert, sie aus dem Schrank geholt, den Staub abgeklopft und in sein Handy eingesprochen."
Sammy Khamis
Dandin – Musikplattform für die jungen Guten
"Wir arbeiten aber auch mit einem Label zusammen", fügt Abdel Rahman hinzu. Und zwar mit 100 Copies von Mahmoud Refat. Refat ist der bekannteste Musikproduzent in Kairo, zumindest was alternative Musik angeht. "Mahmoud gibt uns fast jedes Album, das er produziert", und das sind in der Regel herausragende CDs.
"Mein Lieblingsalbum auf Dandin ist das von Bikya, der ägyptischen Elektronik Band Mahmoud Refats, aber auch der neue HipHop, den er produziert finde ich hervorragend, zum Beispiel Rap Gunz", lobt Abdel Rahman Hussein den Producer Refat. Der wiederum nutzt Dandin, um seine neuen Acts auf Dandin bekannt zu machen.
Mit dem Projekt ReTune hat Refat einen Sampler voller junger Künstler herausgebracht, der "alte Muster in der Shaabi Musik, oder auch im Hiphop neu denkt, neu definiert, und eben neu tuned, also retuned." Musik in Ägypten ist immer so höflich, so polite, meint Refat und deshalb liegt es an den Jungen einmal kräftig in die Ecke zu rotzen und die Musiklandschaft am Nil aufzuwühlen.
Ein Beispiel ist MC Amin, der mit dem Track "Mursi in tha Club" einmal gehörig auf den Tisch haut. Mohamed Mursi ist der erste gewählte Präsident Ägyptens gewesen, der vor gut vier Monaten entmachtet wurde und seither im Gefängnis sitzt, oder eben "in thaclub." MC Amin ist einer von sieben Künstlern auf dem neuen und ersten ReTune Sampler.
Nicht nur Kairo
Wenn in den letzten Jahren über Musik in Ägypten geschrieben wurde, dann vor allem über Musik aus Kairo. Die jungen Künstler, die Refat auf dem ReTune Sampler versammelt, aber auch die Leute, die ihre Songs auf Dandin hochladen sind aus ganz Ägypten.
"Das alles passiert nicht nur in Kairo" stellt Mahmoud Refat klar und gesteht sich damit auch ein, dass er die letzten Jahre wenig über den Stadtrand hinaus geguckt hat. "Wir haben uns und unser Publikum immer für diese Elite-Kunst-Avantgarde gehalten, und da gehören wir auch hin. Aber unsere Musik gehört nicht uns alleine. Genauso wenig kann man sagen, dass ein Genre nur für eine Gruppe ist. Die Kids, die heute diese spannende Musik machen lösen alle Grenzen auf. Die Hiphopper kommen fast alle aus dem Nildelta, viele DJs aus Kairo. Wir haben einen Sufi aus Fayoum etc. Es passiert wirklich überall in Ägypten. Egal wo etwas Neues entsteht, es ist immer gut, immer interessant."
Sammy Khamis
Die Arbeit von Mahmoud Refat und Abdel Rahman Hussein ist ein Produkt. Ein Produkt der Abwendung vom Politischen. Man flüchtet sich ins Private, oder eben wie Abdel Rahman Hussein und MahmoudRefat in die Arbeit. "Eine der wenigen Errungenschaften von der Revolution 2011 waren die kulturellen Freiheiten", schließt Abdel Rahman unser Gespräch ab. "Heute ist das alles anders. Das Problem ist nicht der Staat, der dich unterdrückt, sondern die Leute auf der Straße." Der momentane Nationalismus führt dazu, dass an jeder Straßenecke Zivilisten zu Propagandasongs klatschen und jeder versucht seine Zustimmung an die Militärführung offen zu zeigen. Selbstzensur in Ägypten war nie ausgeprägter.
Und auf einmal ist Abdel Rahman Hussein doch wieder politisch, oder war er nie unpolitisch?
"Wir, die wir in Ägypten bleiben, müssen alles dafür tun, dass sich das ändert."