Erstellt am: 10. 11. 2013 - 11:54 Uhr
Herbstdepressionen
Würde mich dieser Tage jemand nach dem Höchsten fragen, was die Gegenwartskunst zu leisten imstande ist, ich hätte da einfach einen Youtube-Link parat.
Der kleine Film beginnt mit einem vermeintlichen Trennungsgespräch, der Mann ist nur von hinten zu sehen, die Frau, gespielt von der großartigen Greta Gerwig, küsst ihn ein letztes Mal und steht dann alleine im Raum. Chöre untermalen die Sequenz, eine Stimme setzt ein und singt vom „Afterlife“. Genauso heißt dieser Kurzfilm, der keiner ist, sondern ein Musikvideo zur neuesten Single von Arcade Fire.
Angepeitscht von der Musik, die live zu dem Clip gespielt wird, beginnt sich Gerwig zu bewegen, immer heftiger, auf ihre unverwechselbare Weise, zwischen Wutausbruch, Modern Dance und einem dieser Tänze, wie man sie vielleicht betrunken um vier Uhr morgens im Schlafzimmer aufführt, aus schierer Freude oder Frustration.
Genau zwischen diesen beiden gegensätzlichen Stimmungen pendelt, wie es eben nur die größte Kunst vermag, auch das vom genialen Spike Jonze inszenierte Video. Man möchte weinen vor Verzückung über die Frau, die ekstatisch aus der Wohnung in einen verschneiten Studiowald hineintanzt und gleichzeitig über die Lyrics von Win Butler verzweifeln.
Greta Gerwig beginnt irgendwann zu grinsen in ihrem Ausbruch, Stroboskopblitze zucken. Und dann, als Butler hinter ihr auftaucht und fragt, ob es nach all dem noch überhaupt eine weitere Nacht geben kann, mischt sich wieder Melancholie in ihren Blick.
Spätestens wenn die Schausspielerin ins Livepublikum springt, mit Kindern synchron tanzt, wird klar: „Afterlife“ sprengt nicht nur die Grenzen von Musikvideo, Performance und Theater, dieser kleine Film ist „Where The Wild Things Are“, „The Tree of Life“ und „Lost in Translation“ im Miniformat. Die Trauer zur Euphorie transformiert, die Endgültigkeit mit der Hoffnung kollidierend, das Davor, das Dazwischen und das Danach feiernd.
„And after this
Can it last another night?
After all the bad advice
That had nothing at all to do with life
I’ve gotta know
Can we work it out?
If we scream and shout ’till we work it out
Can we just work it out?
Scream and shout ’till we work it out?“
(Arcade Fire, „Afterlife“)
Sollten Arcade Fire hoffentlich im nächsten Jahr heimische Bühnen beehren, werde ich wohl wie ein Schlosshund im Publikum heulen, wenn dieser Song ertönt. Was das schönste Kompliment ist, dass ich einer Band oder einem Film verleihen kann.
Youtube Awards
Keine Katharsis erlaubt
Im Vorjahr begeisterte „Beasts Of The Southern Wild“ diesbezüglich noch als happy-sad Arcade-Fire-Moment auf der Viennale, ein Streifen, der in vielerlei Hinsicht sogar an die kanadische Gruppe erinnerte. Heuer war bei dem Wiener Filmfestival die Sache mit den unmittelbaren körperlichen Reaktionen schon schwieriger.
Der Ekel erfasst mich zwar beim ungemein verstörenden „The Act Of Killing“, sanfte Melancholie bei „Inside Llewyn Davis“ und „Prince Avalanche“, ich verließ „Joe“ herrlich aufgewühlt, war von „Upstream Color“ im guten Sinn verwirrt und von „Locke“ oder „The New World“ angetan. Aber erst die dreistündige, formale Konventionen sprengende Liebesgeschichte „La vie d'Adèle“ führte mich näher an die Tränen heran, die schließlich erst zaghaft vor Rührung geflossen sind, als der umwerfende Komiker/Mann/Mensch Will Ferrell mit tosenden Standing Ovations im Kinosaal empfangen wurde.
Was diese unvollständige Aufzählung allerdings klar macht: Dass zumindest für meinen Teil die heurige Viennale schon eine hohe Anzahl von einprägsamen filmischen Erlebnissen geboten hat. Nur ist Katharis, erst recht nicht in einem poppigem und leichtfüßigen Sinn wie beim „Afterlife“-Video, eben nichts worauf die Programmauswahl abzielt. „War die Viennale wieder total depro?“, fragte mich letztens eine Kollegin in der FM4-Redaktion und ich konnte wenig entgegensetzen.
In diesem Sinne passte auch Woody Allens neuester Film perfekt auf das Festival, ein Werk, in dem der Humor zwar keineswegs ausgesperrt ist, aber immer wieder genüßlich im Keim erstickt wird.
Warner Bros
Bösartigkeit und Verbitterung
„Blue Jasmine“ erzählt mit vielen narrativen Zeitsprüngen vom tiefen Fall einer Frau aus dem Upper-Class-Milieu. Die schimmernde Seifenblase, in der sich Jasmine (Cate Blanchett) bewegt, zerplatzt, als ihr schwerreicher Spekulantengatte (Alec Baldwin) im Gefängnis landet. Komplett nervlich zerüttet landet die Luxusfrau auf der Couch ihrer Adoptivschwester in San Francisco, einer Supermarktkassiererin (Sally Hawkins). Wie eine von Panikattacken geplagte Elefantin im Porzellanladen gewegt sich Jasmine im neuen Umfeld, Tabletten und Alkohol bleiben die verlässlichsten Freunde.
Wer sich mit Woody Allens Schaffen ein wenig auseinandergesetzt hat (was man übrigens vom 29.11. bis 18.12. im Wiener Gartenbaukino auf der großen Leinwand tun kann und sollte), der weiß, dass bei dem New Yorker Regisseur, Autor und Schauspieler bei aller Komik immer mit totaler Verbitterung zu rechnen ist.
Schon in seiner absoluten Glanzzeit, den Siebzigern und frühen Achtzigern, konfrontierte Allen sein Publikum mit geballter Tristesse. Und auch in seinen belächelten Städteausflügen der letzten Jahre erwischt die Hoffnungslosigkeit viele Figuren. Oder würde jemand mit Vicky und Cristina tauschen wollen, nachdem sie Barcelona verlassen haben?
„Blue Jasmine“ geht aber mit seiner Absturzkandidatin, atemberaubend vielschichtig von einer zittrigen Cate Blanchett verkörpert, noch entschieden härter um. Erbarmungslos seziert der 77-jährige Filmemacher auch sämtliche dargestellten sozialen Biotope, nimmt die neoliberale Schnöselwelt böse auseinander, schont aber auch das Hackleruniversum mit seinen proletarischen Gockeln kein bisschen.
„Anxiety, nightmares and a nervous breakdown, there's only so many traumas a person can withstand until they take to the streets and start screaming!“ (Jasmine, gespielt von Cate Blanchett)
Ein Tanz, wie jener in „Afterlife“, mit dem sich Greta Gerwig vielleicht nur für einen Augenblick von allen Krisenzuständen exorziert, wird Cate Blanchett nicht vergönnt. Wir sehen Jasmine, die eigentlich Jeanette heißt, beim porös werden zu, dem Finanzsystem beim zerbröckeln, Frauen und Männern bei der zwischenmenschlichen Erstarrung. Es gibt durchaus gute Pointen in diesem Film, aber als danach in die Abendluft taumle, spüre ich eine leichte Gänsehaut, nicht nur wegen dem nieseligem Herbstwetter.
Warner Bros
Ländliche Lebenslügen
Bereits in den Titel eingeschrieben ist die Herbststimmung in den neuen Streifen von Götz Spielmann. Der Regisseur, der zu den Aushängeschildern des österreichischen Films gehört, nutzt in „Oktober November“ wie schon im gefeierten Vorgängerwerk „Revanche“ wieder die trügerische Ruhe der heimischen Provinz als Setting.
Und wieder geht es um emotional strauchelnde Frauen. Sonja und Verena, ein gegensätzliches Schwesternpaar, treffen im stillgelegten Gasthof des kranken Vaters seit Kindheitstagen wieder aufeinander. Gegensätze werden deutlich, Spannungen offensichtlich, Lebenslügen treten zutage.
Nun ist jenes heimische Kino, dass Spielmann oder auch Michael Haneke vertreten, wohl die diametrale Antithese zum beschworenen Arcade-Fire-Kurzfilm. Man kann sich bei dem puristischen Ansatz dieser und verwandter Filmemacher, der sich etwa deutlich im bewussten Verzicht auf Soundtracks und jede Art der bewussten Zuschauermanipulation äußert, plakative Gefühlseruptionen kaum vorstellen. Weswegen mich zugegeben ein recht simpler Grund überhaupt in die Vorführung führte: Meine Vorliebe für Nora von Waldstätten.
Filmladen
Die in Österreich geborene und in Berlin lebende Schauspielerin hat eine Aura, die dem Austrokino völlig abgeht und eher an Frankreich denken lässt, an Göttinnen wie Isabelle Adjani. In der richtigen Rolle gelingt ihr alleine mit Blicken mehr als anderen mit dramatischen Dialogen. „Oktober November“ bietet Nora von Waldstätten diesbezüglich eine perfekte Gelegenheit. Als Fernsehstar Sonja strahlt sie Distanz und Kälte aus, gleichzeitig aber auch eine innere Verlorenheit, die sie zur (Anti-) Heldin für alle Entfremdeten macht.
„Kein Mensch weiß, wie er wirklich ist. Das gibt’s gar nicht: wirklich.“ (Sonja, gespielt von Nora von Waldstätten)
Abgefedert wird ihre vermeintliche Arroganz von der zurecht gelobten Ursula Strauss, die als Verena ihrem Repertoire der erdigen Frauen eine weitere bodenständige, allerdings auch fragile Variante beisteuert. Wie diese Schwestern miteinander umgehen lernen angesichts des sterbenden Vaters, dass entwickelt tatsächlich einen hypnotischen Sog, mit dem ich nicht gerechnet hatte.
Gut, da fallen auch wieder Sätze, die an knarrende Bühnen denken lassen und theatralische Hölzernheit und bestimmte Klischeevorstellungen von Stadt- und Landleben kann sich Götz Spielmann auch nicht verkneifen. Am Ende verlasse ich die Viennale-Premiere dennoch fasziniert: von den Darstellern, der Kamera von Martin Gschlacht, der genauen Beobachtung dieser Figuren.
Vor allem wagt sich „Oktober November“ an die ganz große Tragik heran, kommt der Unwirklichkeit des Todes nahe. Es gibt natürlich keine Katharsis und noch weniger einen poppigen Umgang mit dem „Afterlife“ á la Arcade Fire. Aber nachhaltig berührend ist dieser Film schon.
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