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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

10. 11. 2013 - 15:39

Wärmen an der Feuerstelle

Der Winter kann kommen, denn wir spielen gemütlich Karten. Willkommen in der entspannt-kompetitiven Welt von "Hearthstone".

Kartenspiele waren für mich mit Kindheit und früher Jugend verbunden: Stechquartett in der Unterstufe, "UNO"-Spielen mit der großen Schwester, "Jolly-Spielen" bei familiären Festtagen. In jüngerer Zeit sind die Quartettkarten dann wieder vereinzelt aufgetaucht, meist mit ungewöhlichen, originellen Themen. Statt Autos, Mopeds und Flugzeugen hat man sich dann etwa mit alten Spielkonsolen oder FM4-Bands gegenseitig ausgestochen.



Von Sammelkartenspielen - allen voran ihrem Urspiel "Magic: The Gathering", das dieses Jahr übrigens 20-jähriges Jubiläum feiert - habe ich mich hingegen weitgehend ferngehalten. Weniger wegen mangelnden Interesses als aufgrund der Tatsache, dass im Freundeskreis auch niemand damit hantiert hat und ein Eintauchen in diese Welt von außen auf mich wie "ganz oder gar nicht" gewirkt hat. Und wer schon viel computerspielt, sollte sich davor hüten, noch weitere Zeit verschlingende Leidenschaften zu entwickeln.

Doch seit ein paar Monaten muss bzw. müsste ich nicht mehr zu den Sammelkarten kommen, sondern die Sammelkarten kommen zu mir, ins Computerspiel. Der Boom an alten und neuen Brett- und Kartenspielen - analog und digital - sowie ein zunehmendes Zusammenwachsen unterschiedlicher Spielformen hat zu einer verblüffenden Dynamik geführt. Die "Minecraft"-Macher von Mojang haben jüngst "Scrolls" veröffentlicht, im Browser spielt man "Card Hunter" und Branchenprimus Blizzard Entertainment veröffentlicht angeblich noch in diesem Jahr sein im WarCraft-Universum angesiedeltes Kartenspiel "Hearthstone". Schon seit einigen Wochen ist "Hearthstone" im Beta-Test spielbar und wirkt dort bereits ziemlich ausgereift.

Bildschirmfoto aus dem Computerspiel "Hearthstone: Heroes of Warcraft": Spieler legen ihre Karten auf den virtuellen Tisch.

Blizzard Entertainment

Kartenspiel für alle

Ich besuche Christian Piererfellner, der großer Fan von Blizzard-Spielen ist und seit vielen Jahren "World of WarCraft" ebenso gut kennt wie das "StarCraft"-Universum und die Action-Abenteuer aus den "Diablo"-Games. "Hearthstone" und allgemein Sammelkartenspiele waren aber auch für ihn etwas völlig Neues. Nach ein paar Tage Übung ist Christian aber das Kartenspielen bereits in Fleisch und Blut übergegangen. Wie konnte das so schnell passieren? Haben wir nicht immer die Geschichten von den "Magic"-Spielern gehört, die erst durch viel Kaufen, Sammeln und Erfahrung über Monate und Jahre hinweg das Spiel so richtig ausschöpfen konnten?

"Täuschend einfach. Wahnsinnig unterhaltsam. Ein schnelles strategisches Kartenspiel für jedermann." - Mit diesem ziemlich platten Kaufanreiz, der auf jeder x-beliebigen Box im Spielzeugladen stehen könnte, bewirbt Blizzard "Hearthstone". Doch tatsächlich habe ich schon nach circa einer halbe Stunde, in der ich Christian beim Spielen über die Schulter geschaut habe, den Eindruck, dass ich einigermaßen gut nachvollziehen kann, was hier passiert. Es gibt Aktionspunkte, Kampfkarten, Zauberkarten, diverse Spezialattacken und Besonderheiten, mit denen man den Gegner verblüffen kann, wenn dieser glaubt, gerade im Vormarsch zu sein. Das Ziel ist, den eigenen Hero zu schützen. Wenn sie oder er keine Lebenspunkte mehr hat, ist die Partie verloren.



Ja, auch in "Heathstone", dem angeblich so "täuschend einfachen" Kartenspiel geht es viel um Zahlen, Werte, Wahrscheinlichkeiten und Dinge, die man sich merken muss. Doch es ist so zugänglich präsentiert, dass der Einstieg - wie auf der "Packung" versprochen - ziemlich leicht fällt. Bevor man in einen Kampf zieht, stellt man sich sein Deck zusammen, das heißt, wir wählen uns aus unserer Sammlung 30 Karten so aus, dass die Chance, damit möglichst viele Gegner zu besiegen, möglichst groß ist. Zu Beginn jeder Partie bekommen wir vier Karten unseres Decks zufällig zugewiesen und heben nach jeder Runde eine weitere Karte. Aus dem, was wir bekommen, müssen wir das Beste machen. Die Aktionen, die wir setzen können, sind immer auf ein paar wenige Möglichkeiten beschränkt, was für einen schnellen Spielverlauf und gleichzeitig eine entspannte Atmosphäre sorgt. Jeder Spielzug darf nicht länger als 90 Sekunden dauern.

Derzeit gibt es knapp 500 verschiedene Karten, und welche man im Spiel jeweils bekommt, kann man eben nur geringfügig beeinflussen. Der Glücksfaktor ist nicht zu unterschätzen, dennoch kann man mit einem ausgewogenen bzw. auf den jeweiligen Gegner angepassten Deck und guter Taktik ziemlich weit kommen. Da viele Karten spezifischen Helden zugewiesen sind und nur von diesen gespielt werden können und andere Karten wiederum sehr rar und deshalb bis zu einem gewissen Grad zu vernachlässigen sind, kristallisieren sich die wichtigen Standardkarten schnell heraus.

Bildschirmfoto aus dem Computerspiel "Hearthstone: Heroes of Warcraft": Drei Karten, aus denen man auswählen kann, liegen bereit.

Blizzard Entertainment

"Hearthstone" ist noch in der Beta-Phase, für die man sich auf der Website anmelden kann.

Eine Runde "Hearthstone" dauert manchmal nur ein paar Minuten, in kniffligen Fällen über eine Viertelstunde. Je länger das Spiel dauert, desto mächtigere Karten können ausgespielt werden. Wenn es also am Anfang gut läuft, ist das keinerlei Anzeichen darauf, dass am Ende ein Sieg winkt. Erst, wenn man länger gespielt hat, sich bessere Karten erspielt und sie auch um echtes Geld gekauft hat, steigen die Chancen, dass man auch langfristig öfter gewinnt, als verliert. So lange das Game aber nicht zu ernst genommen wird, ist die Frage, wer gewinnt oder verliert, aber gar nicht so wichtig wie das Spielerlebnis an sich. Am Schluss kann man sich immer darauf ausreden, dass man selbst schlechte Karten erwischt hat und der Gegner einfach ein blöder Glückspilz ist.

Free to play?

Blizzard wird sich mit "Hearthstone" mit hoher Wahrscheinlichkeit am "Free to play"-Modell orientieren, das man von vielen Browser- und mobilen Spielen kennt. Schon jetzt kann man um echtes Geld Kartenpakete erwerben, bei denen man - wie beim Sticker Sammeln - aber immer die Katze im Sack kauft und hofft, gute Karten zu bekommen. Hat man etwas doppelt, können überflüssige Karten disenchanted und gewünschte Karten mit Zauberstaub namens "Arcane Dust" gecrafted werden.

Klingt sehr nerdig? Ist es wohl auch. Blizzard ist allerdings bekannt dafür, komplexe Spielmechaniken und sogenannte hardcore games Zielgruppen zu eröffnen, die davor nur verständnislos den Kopf geschüttelt haben. Bei "Hearthstone" wird es ähnlich sein: Das Game verfügt, wie von Blizzard gewohnt, über eine sehr hohe Produktionsqualität und ist rundherum einladend präsentiert. Die Karten sind hübsch designt, mit Bildern in unterschiedlichen Zeichenstilen, immer mit Nennung des jeweiligen Artist und witzigen Beschreibungen. Ich hätte mir nicht gedacht, innerhalb weniger Tage in ein Sammelkartenspiel am Computer reinzukippen. Die Vermutung liegt nahe, dass es bei vielen anderen ähnlich sein wird.