Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Jitterbug und Victory Rolls"

Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

6. 11. 2013 - 12:54

Jitterbug und Victory Rolls

Rosie the Riveter wird zum Leben erweckt in der Serie "Bomb Girls" über Frauen, die während des Zweiten Weltkriegs in der kanadischen Rüstungsindustrie arbeiten.

Rosie the Riveter: Frau in blauem Overall, die den Ärmel hochschiebt. Sprechblase "We can do it"

gemeinfrei

Rosie the Riveter

Rosie the Riveter ist eine feministische Ikone: mit blauem Arbeitsoverall, gepunktetem Kopftuch und hochgeschobenem Ärmel wurde und wird ihr "We Can Do It!" zum Schlagwort für alles, was Frauen können (sollen), umgedeutet. In der kanadischen Fernsehserie "Bomb Girls" wird Rosie nun in ihrer ursprünglichen Form zum Leben erweckt: als Arbeiterin in den Rüstungsbetrieben der Alliierten während des Zweiten Weltkriegs.

A princess on a field trip

Kanada 1941, das Land befindet sich als Mitglied des Commonwealth und britischer Verbündeter im Krieg mit Nazi-Deutschland. In der Waffenfabrik Victory Munitions werden Bomben für die kanadischen Truppen hergestellt. Und das zum Großteil von Frauen, denn die Männer sind entweder weg im Krieg, alt oder gebrechlich.

Wir begleiten Industriellen-Tochter Gladys Witham zu ihrem ersten Arbeitstag in der Fabrik. Ihre Ankunft wird kritisch beäugt von den Arbeiterinnen, von denen eine konstatiert, das hier sei nur eine Prinzessin auf Exkursion, beim ersten gebrochenen Nagel sei die hier raus. Doch Gladys ist nicht nur eine aufrechte Patriotin und hat sich deshalb freiwillig zum Dienst in der Fabrik gemeldet, sie ist auch einigermaßen stur: So erkämpft sie sich das Recht, statt wie die anderen höheren Töchter im Büro, in der Fabrik am Fließband zu arbeiten.

Starke Frauenfiguren

Neben der aufmüpfigen Gladys, die sich als Fabriksarbeiterin nützlicher fühlt, als darauf zu warten, eine gute Partie zu machen, sind es drei weitere Frauen, die das Hauptfigurengespann von Bomb Girls ausmachen: Lorna ist die Vorarbeiterin der Schicht. Als Respektsperson wacht sie über die Sicherheit der ihr anvertrauten Frauen und bügelt Konflikte aus. Gleichzeitig hat sie einiges an Chaos in ihrem Privatleben zu bewältigen.

Bomb Girls, die vier Hauptdarstellerinnen

Global TV

Die vier Hauptcharaktere: Betty, Gladys, Lorna und Kate
DVD Cover Bomb Girls

Global TV

Bomb Girls wird seit 2012 vom kanadischen Sender Global TV produziert, es gibt noch keine deutsche Übersetzung. Die zweite Staffel ist gerade in den USA und Kanada gelaufen. Danach hat der Fernsehsender einen zweistündigen Fernsehfilm als Abschluss in Aussicht gestellt.

Auf der Seite von Global TV gibt es für Menschen mit kanadischer IP-Adresse alle bisherigen Folgen ganz legal im Stream. Staffel 1 ist bereits auf DVD erschienen.

Betty ist die bereits erwähnte freche Arbeiterin, sie ist erfahren und selbstbewusst und für die Einschulung der neuen Arbeiterinnen zuständig. Als solche nimmt sie Kate unter ihre Fittiche, eine junge Frau, die vor ihrem brutalen Priestervater geflohen ist und mit falscher Identität als Arbeiterin ein neues Leben anfängt. Betty fühlt sich zu Frauen hingezogen, vermehrt auch zu Kate, und macht erste Gehversuche in Sachen lesbischer Liebe.

Einen umgekehrten Bechdel-Test würde Bomb Girls wohl nicht bestehen. Neben den starken Frauenfiguren kommen Männer nur am Rande vor: als Industrielle und Fabriksbesitzer, als solche, die wegen falscher Herkunft (in dem Fall: italienisch) verdächtig sind und nicht eingezogen werden. Oder eben als Soldaten: die werden permanent als "our boys" tituliert, sind meist abwesend in Übersee; für schnellen Spaß und Tanz zu haben, wenn sie gerade da sind, aber vergessen, wenn sie wieder ausschiffen.

Retro-Hipster-Traum

Ähnlich wie die kommerziell erfolgreiche Fernsehserie "Mad Men" reitet "Bomb Girls" auf der großen Retro-Welle einher: Die Frauen sind unheimlich schick mit rotem Lippenstift, aufgesteckten Locken und Forties-Kleidern und gehen abends in der Jazzbar Jitterbug tanzen. Das ganze sieht aus wie ein Hipster-Traum und auf Fashion-Blogs gibt es bereits Tipps für das waschechte Bomb-Girls-Styling. Jitterbug und Lindy Hop sind ja bereits seit Jahren beliebte Samstagnachmittagssportarten.

Bomb Girls: Anstehen vor der Fabrik

Global TV

Diese Rezension ist in veränderter Form auch schon in den an.schlägen erschienen.

Setzt "Mad Men" aber auf Arschloch-Typen, die damit durchkommen, kann man Bomb Girls ein gängiges Stereotyp über Kanada vorwerfen: Die Serie ist zu nett. Die Frauen sind zwar unterschiedlicher Herkunft und arbeiten aus verschiedenen Motiven, sie sind aber vor allem Kolleginnen, helfen und unterstützen sich gegenseitig und stehen Krisen gemeinsam durch. Richtige Böse gibt es nicht, sogar der Industriellen-Vater, der nur Kapital aus dem Krieg schlagen möchte, ist in Wirklichkeit eh ein halbwegs Guter. Dazu mischen sich patriotische Untertöne, schließlich arbeiten die Frauen für den Kriegseinsatz ihrer Heimat Kanada.

Erstarkendes Selbstbewusstsein

Weitere Rezensionen

Trotzdem ist "Bomb Girls" eine empfehlenswerte Serie, widmet sie sich doch einer der wichtigsten Epochen feministischer Geschichtsschreibung: Das kriegsbedingte Fehlen der Männer ermöglichte es den Frauen in den Vierziger Jahren als gefragte Arbeiterinnen in der Rüstungsindustrie ein neues Selbstbewusstsein zu entwickeln. Die Serie thematisiert in diesem Zusammenhang das Erkämpfen von Arbeiterinnenrechten, finanzieller Selbstständigkeit, unabhängiger Lebensplanung, aber auch Abtreibung oder lesbische Liebe.

"Bomb Girls" spielt mit der ambivalenten Atmosphäre der neuen Selbstbehauptung, in der diese Themen Platz haben, wo aber auch die Gewissheit mitschwingt: Ist der Krieg aus und sind die Männer zurück, wird das alles wieder anders.