Erstellt am: 5. 11. 2013 - 16:12 Uhr
Eine Soap Opera namens Wikileaks
42 Jahre und schon ein eigenes Biopic. Diese Leistung kann der australische Hacker und Staatsfeind Nr. 1 Julian Assange zwar nicht auf Red Carpets und Oscar-Verleihungen feiern, aber ein bisschen stolz darf er schon sein. Oder? Er ist es nicht. Mehrmals hat sich Assange sehr hasserfüllt über die Hollywood-Produktion "Inside Wikileaks - Die fünfte Gewalt" geäußert. Dabei könnte er zufrieden sein: Immerhin ist er eine der wenigen realen Personen, die irgendwie besser aussehen als der sie darstellende Schauspieler.
Radio FM4
Was stört Assange und seine Unterstützer jetzt am neuen Film? Der Film-Assange ist ein zwar visionärer, aber eigentlich ziemlich unsympathischer und verrückter Zeitgenosse, kurz gesagt: ein schlechter Mensch.
Die Assange-Gegner, von denen es mittlerweile sehr viele gibt, reden zwar auch von dramaturgischer Überzeichnung, trotzdem halten sie fest: Der Typ ist einfach so.
Der Spiegel stellte in seiner Filmkritik richtigerweise fest: Daraus hätte man besser eine Serie gemacht.
Wo verlaufen nun die Fronten in der Wirklichkeit? Wer hasst wen? Und wofür? Die Front verläuft ziemlich scharf zwischen zwei Personen. Dem sozial nicht ganz kompatiblen australischen Proto-Hacker und seinem früheren deutschen Partner Daniel Berg, mittlerweile Daniel Domscheit-Berg, von nun an DDB genannt. Er ist im Streit gegangen und hat über seine Zeit mit Assange ein Buch geschrieben, auf dem der Film großteils basiert. Am Drehbuch durfte er nur beratend mitarbeiten, ein Veto-Recht hatte er nicht. "Es gibt in dem ganzen Film ständig irgendwelche Skype-Konversationen. Kein Schwein hätte Skype benutzt", so DDB in einem Interview mit Focus. Seine Frau Anke mag den Film zwar generell, ein paar Sachen waren aber auch für sie seltsam:
Ich fand es extrem schräg, eine fremde, super junge und bildschöne Frau mich darstellen zu sehen. Sie trug meinen eigenen Schmuck (den hat meine Schwester eine begnadete Goldschmiedin mit Werkstatt in Kiel geschaffen) und rote Strumpfhosen, so wie ich oft. Bei den Dreharbeiten bekam ich extra ein Verbot, rote oder orange Sachen zu tragen, damit ich als kleine Statistin nicht den Farbcode von Alicia Vikander dopple. Die Ansage war: “You can wear whatever you want, as long as it does not look like typical you” – das ist gar nicht so einfach… Quelle
Constantin Film
Der Film scheitert zwar wie viele ähnliche Werke an der übermotivierten Darstellung von Datensträngen und Netzwerken, ein bisschen Spannung, hübsche Locations (das Tacheles in Berlin!) und lehrreiche Information bietet er trotzdem.
Assange blieb in seinem Botschafts-Exil nicht untätig. Er moderierte eine Talkshow für den von der Putin-Regierung bezahlten Sender "Russia Today". Das war seinem Image eher wenig zuträglich.
Doch wie schon beim Buch von DDB geht Assange, ausgehend von seinem Zimmer in der ecuadorianischen Botschaft in London, auf vollen Konfrontationskurs. Mehrmals bat er Hauptdarsteller Benedict Cumberbatch, die Rolle nicht zu übernehmen. Am Ende warf er ihm sogar vor, ungefragt das zu spielen, was im Drehbuch steht! Ein Schauspieler, der das macht, wofür er bezahlt wird? Wie arg ist das denn?
Doch die Vorwürfe gehen noch weiter. Angeblich sei der Film eine Propaganda-Dreckschleuder der USA. Festgemacht wird das an der Frage, die Wikileaks immer schon gespalten hat: Wie umfassend dürfen die publizierten Dokumente sein, wenn dadurch eventuell Menschenleben in Gefahr geraten? US-amerikanische Spione zum Beispiel? Als Wikileaks die Afghanistan-Protokolle und kurze Zeit später die diplomatischen Cables veröffentlichte, begann eine ausgezeichnet orchestrierte Medienkampagne gegen Assange. Die Formulierung, die in Politiker-Aussagen, Talkshows und wohl gesinnten Zeitungen immer wieder kam: "They have blood on their hands". Freie Information tötet Menschen, so das Credo. Im Spielfilm wird das mit einer erfundenen Geschichte einer lybischen Familie unterstützt, die es gerade noch über die Grenze schafft. Dem Film-Assange sind solche Menschen egal.
Doch auch der echte Assange äußerste sich diesbezüglich oft ähnlich. Wie die großartige Doku "We Steal Secrets - The Story of Wikileaks" zeigt, meinte Assange in zwei Interviews, dass ihm etwaige Todesfälle egal seien und dass die Freiheit der Information wichtiger ist.
Die absurdeste Kritik kommt von Andy Müller Magoun, einem Urgestein des Chaos Computer Club Deutschland. In einem Interview mit der Berliner Zeitung erklärte er:
Was den Film gefährlich macht, ist, dass er fiktive Ereignisse mit realen Videomitschnitten vermengt, etwa von Wikileaks veröffentlichtes Videomaterial, Nachrichtenbeiträge und Politiker-Statements.
Aber das Problem ist, dass der Film gerade beansprucht, sehr authentisch zu wirken, indem er auf Original-Videomaterial zurückgreift, das Kinogänger aus den Medien kennen. Dadurch entsteht zwangsläufig die Assoziation, dass die Handlung real ist.
OR Books
Wer davon ausgeht, dass die Menschheit alle Informationen über Kriege, Staaten und Diplomatie braucht, der sollte eben dieser Menschheit auch zutrauen, mit Nachrichten-Clips in Spielfilmen umzugehen. Andy Müller-Maguhn wurde übrigens Ende 2012 nicht mehr in den Vorstand des CCC gewählt, weil er Domscheit-Berg raushauen wollte. Außerdem hat er gemeinsam mit Assange, Jacob Appelbaum und Jérémie Zimmermann das Buch "Cypherpunks" veröffentlicht, das in erster Linie protokollierte Gespräche der vier Netz-Aktivisten abdruckt. Doch auch hier zeigt schon das Cover, Assange ist immer erster unter gleichen.
Die Doku
Wem all diese Twitter-Streitereien und schwer einschätzbare Psychogramme zu mühsam sind: Die ebenfalls heuer erschienene Doku "We steal secrets" von Alex Gibney fasst in zwei Stunden nicht nur zusammen, was wie wo und warum passiert ist. Sie versucht auch, Erklärungen für all das in den doch komplexen Persönlichkeiten der Protagonisten zu finden. Zwar war Assange mit der Doku überhaupt nicht einverstanden, trotzdem zeigt sich vor allem in den Interviews mit ihm, dass die Cumberbatch-Darstellung zwar etwas überinszeniert, aber keineswegs aus der Luft gegriffen ist. Er unterbricht einen Vortrag von DDB und lässt diesen als ziemlichen Trottel dastehen.
Universal
Er weidet sich fast schon an all den Zeitungscovers mit seinem Gesicht und spielt die schwedische Vergewaltigungs-Anklage runter. Doch was die Doku zu einer richtig guten macht: Sie widmet auch der Person viel Platz, die all die Enthüllungen erst möglich gemacht hat: Chelsea Manning. Ein Soldat, der sich über sein eigenes Geschlecht nicht sicher ist, von den für ihn sichtbaren Videos und Daten schockiert ist und sich dann einem früheren Hacker namens Adrian Lamo offenbart, der ihn dann an die Behörden verrät. Der am Asperger-Syndrom leidende Lamo bricht im Doku-Interview in Tränen aus und wird auf der Bühne der Hacker-Konferenz Hope völlig fertig gemacht. Ebenfalls in der Doku spricht jene Schwedin, die die Anklage gegen Assange ins Rollen gebracht hat. Von einer "Sex-Falle", wie viele Assange-Unterstützer gerne sagen, ist da keine Spur mehr.
Also was jetzt?
Ganz einfach. Zuerst den Film anschauen, dann die Doku und dann eine Meinung bilden. Und wie auch immer Chelsea Manning unterstützen. Denn wenn eine Person wirklich Unterstützung braucht, dann ist es die.