Erstellt am: 4. 11. 2013 - 10:52 Uhr
Die Wege des Döner sind unergründlich
Letzte Woche hatten die Berliner nicht nur den Tod von Lou Reed zu beklagen, der immerhin eine ganze Platte, nämlich „Berlin“ nach unserer schönen Stadt benannt hat. Auch ein eher unbekannter Berliner, der das Leben, zumindest die Essgewohnheiten von Millionen Menschen verändert hat, ist von uns gegangen. Kadir Nurman, der „Vater des Kebab“, ist im Alter von 80 Jahren in Berlin-Brandenburg gestorben.

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Nurman, 1934 in Anatolien geboren und in Istanbul aufgewachsen, kam 1960 als gelernter Kaufmann und „Gastarbeiter“ nach Stuttgart. 1966 zog er nach Westberlin und arbeitete als Monteur für Druckmaschinen, verkaufte dann Süßigkeiten in einem Laden am Zoo. Die Deutschen arbeiten so viel, war sein Eindruck, die haben nicht viel Zeit zum Essen. Kebabfleisch vom Spieß kannte Nurman aus Istanbul , als Spezialität für die Reichen, die in nur wenigen Restaurants, eines davon im Topkapi-Palast, angeboten wurde – und zwar auf dem Teller, mit Reis oder Salat. Um den gestressten Westberlinern eine schnellen Imbiss zu bieten, kam er auf die bahnbrechende Idee, den Döner Kebab (türkisch: „sich drehendes (Grill-)Fleisch“ zuerst ins Brötchen, dann ins türkische Fladenbrot (Pide) zu packen und als Snack zum Mitnehmen anzubieten. Einen finanziellen Gewinn machte Nurman mit seiner Erfindung nicht, er ließ seinen Fast Food- Döner nicht patentieren. Aber 2001 zeichnete der Verein Türkischer Dönerhersteller in Europa Nurman für sein Lebenswerk aus.
Um eine solch weitgreifende herausragende Erfindung gibt es natürlich jede Menge Urheberstreitigkeiten. Auch ein gewisser Mehmet Aygün wurde als Berliner „Döner-Erfinder“ gehandelt – aber Kebabforscher fanden heraus, dass Aygün bei Nurman als Putzkraft gearbeitet hatte, bevor er die Hasir-Kette gründete, ein berühmtes Berliner Döner Restaurant- Imperium, das stark expandiert und in Kreuzberg inzwischen ganze Straßenzüge beherrscht. Viele Legenden und Mythen ranken sich seit jeher um den Berliner Döner. Er wurde in Songs mit den unsterblichen Zeilen „Kebabträume in der Mauerstadt, Türk Kültür hinter Stacheldraht“ verewigt, und jeder, der in den Achtzigern nach Berlin kam, war begeistert von diesem billigen, exotischen Fastfood.
Bis er spätestens nach zwei Jahren an einem schmierigen Imbiss ein so fragwürdiges Exemplar erstand, dass er es nach dem ersten Bissen in der Mülltonne entsorgte und die Episode unter der Überschrift „Mein letzter Döner“ abhakte.
Bereits 1972 eröffnete Nurman einen kleinen Laden gegenüber vom Bahnhof Zoo, dort, wo heute McDonald‘s steht. Zuerst waren die Berliner skeptisch, heute ist die Frage aller Fragen: „Mit Soße? Mit Alles? Scharf ?“ zum geflügelten Wort geworden. Allein in Berlin gibt es 1000, in Deutschland 16 000 Dönerimbisse, 250 Betriebe der deutschen Dönerindustrie beliefern laut Verbandsverein „ATDiD“ rund 80 Prozent des EU-Marktes. Döner aus Berlin wird sogar in den Mittleren Osten geliefert. Döner wird in der ganzen Welt gegessen und die Produktion schafft allein in Deutschland 60 000 Arbeitsplätze. Auch deshalb trauert die Türkisch-Deutsche Unternehmervereinigung Berlin-Brandenburg um den Döner-Erfinder.

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Beerdigt wird Kadir Nurman auf dem muslimischen Friedhof in Gatow. Aber seine Idee lebt in immer neuen Variationen weiter. Zu Nurmans beruflichem Erbe gehört auch der Touristenmagnet “Mustafas Gemüsedöner“, ein Imbiss mit einer mythischen Warteschlange, in der die Jugend dieser Welt und angeblich halb Harvard bis zu einer Stunde wartet, um einen relativ normalen Döner mit Hühnchenfleisch oder Gemüse, einziger Clou: mit Minze, zu erwerben. Die Wege des Döner sind unergründlich.
Auch „Der erste Obstdöner in Kreuzberg“ hat immensen Zulauf, wer hinter diesem Konzept eine Tourifalle vermutet, irrt. Hier treffen sich Sonntag nachmittags scharenweise türkisch-deutsche Jugendliche, Mädchencliquen mit bunten Kopftüchern drängen sich um die Tische und bestellen die seltsamen Obstdöner-Varationen, die, genauer betrachtet, nichts als süße Waffeln mit Obst sind. Die Wege des Döner-Kebabs sind eben unergründlich: Sogar Fleischabsäbelroboter wurden schon erfunden.