Erstellt am: 2. 11. 2013 - 20:35 Uhr
The daily Blumenau. Weekend Edition, 31-10, 1/2/3-11.
Jetzt schon über ein Monat alt: der Versuch das klassische Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen um so mehr oder weniger Täglichkeit hinzukriegen.
Immer mit Items aus diesen Themenfeldern.
Vor ein paar Wochen galt es hier die damals hochgepitchte Aufregung um die angeblichen Mehrkosten der Abgeordneten Lindner als Unfug auszustellen. Bei dieser kurzen Gelegenheit war mir noch was wichtig: "etwas weniger Skandalisierung um vermeintliche Mehrkosten und etwas mehr Konzentration auf die Bekämpfung der Systeme hinter diesen Postenschachern/Versorgungsjobs/Geldflüssen stünden allen aufgeregten Gackerern gut an."
Denn: alles, was rund um Frau Lindner an Empörungen aufpoppt, ist einem politischen System geschuldet, das a) wichtige Macht-Funktionen nur mit parteipolitischer Rundumauslieferung vergibt und b) Folge-Funktionen und -Positionen als schiere Versorgungs-Normalität betrachtet.
Monika Lindner ist da nur eine von vielen Tausenden, ein Rädchen im politischen System eben.
Nun, ein paar Wochen später, ist die Erregungs-Spirale weiter vorangeschritten, es tauchen ständig neue bezahlte oder unbezahlte Positionen und Posten und dort plötzlich vorgefundene Missstände oder Seltsamkeiten auf. Plötzlich werden überteuerte Auftrags-Vergaben, womöglich an zu gut bekannte Auftragsnehmer, thematisiert.
Wie kommt es zu dieser Häufung an plötzlich auftauchender kritischer Hinterfragung? Warum geschehen diese Dinge jetzt, just rund um die parlamentarische Aufregung um die böse wilde Abeordnete?
Es gibt eine simple Erklärung für die nicht enden wollende mediale Beschäftigung mit Lindner (ich verweigere dabei das Wort "Bashing", weil die einzelnen Anwürfe allesamt seriösen Ursprungs sind und somit keinen Kampagnen-Charakter haben): sie leidet aktuell unter dem Entzug der schützenden Hände.
Durch die Stronach-Geschichte, durch das aus dem Gesamtverhalten resultierende Katastrophen-Image der sonst so geschätzten Mitarbeiterin Lindner schwer gernervt, üben jene, die für all die Pöstchen und Jobs gesorgt haben (im konkreten Fall Raika und Erwin Pröll) aktuell keine Schutzmacht-Funktion aus. Beschwerden, bei denen sonst ein Telefonat genügt, um sie klein zu halten, werden in einer Situation der Schutzlosigkeit schnell zur Schlagzeile.
Und natürlich spüren Medien das, wie Bluthunde. Wenn Personen des öffentlichen Lebens, die einem das Leben gestern noch mit einem Anruf und dem folgenden direkten Zugriff über deinen, womöglich auch irgendwie abhängigen Chef zur Hölle machen hätten können, mit einem Schlag diese Macht verlieren, dann können sie zu intensiven Zielen werden. Weil sich im Schlagschatten der Schutzmacht gern einiges an Ungereimtheiten anhäuft, gibt es da auch genug zu entdecken.
Ich finde all das bis hierher völlig in Ordnung.
Wenn neben den konkreten Geschichten über die konkreten Abläufe und die konkreten Vorwürfe auch die Ursache und Gründe all dessen (wie kommt die ehemalige Leiterin der ORF-Pressestelle nach dem politisch geboosteten Karrieresprung zur ORF-Chefin zu einer solchen Fülle von Aufsichts-, Vor- oder Beisitz- und anderen Jobs?) thematisiert werden, wenn etwa der im politischen System Österreichs so tief verwurzelte Versorgungs-Posten, mit dem der jeweilige Machtträger quasi für die gute Lobby-Arbeit im vorigen öffentlichen Job danke sagt, in den Diskurs mitreinkommt.
Davon kann ich aber nichts entdecken.
Die politischen Kritiker der Frau Lindner sparen Systemschelte aus, und auch bei den Kommentatoren, die die medialen Enthüller begleiten, kann ich nichts dergleichen finden.
Was ich erkenne ist Heuchelei. Allen Medieninsidern schon lange bekannte private Fakten, die zum damaligen Zeitpunkt taktvoll ausgeblendet und keinesfalls kritisch angemahnt wurden (wie auch, man hätte den Zorn der Schutzmächte zu spüren bekommen), werden jetzt mit einem verlogenen Augenaufschlag nachträglich zur Neuigkeit stilisiert. Dass in besonders raika-abhängigen Medien jetzt besonders treuherzig besonders viel Aufklärung gefordert wird, unterschreitet jedes Friseursalon-Niveau.
Das ist die mediale und politische Kultur Österreichs wie sie leibt und lebt: deftig beim Sautreiben durchs Dorf, unglaublich dezent bei der System-Analyse oder System-Kritik, verheuchelt, wenn's um's Nachtreten geht.
Wenn die Causa Lindner nicht einmal den Ansatz einer Debatte über die Versorgungs-Job-Machinationen der Mächtigen nach sich zieht, wenn weder Qualitäts-Medien noch quertreibende Intellektuelle noch politische Gegner irgendeinen gesellschaftlichen Nutzen daraus ziehen, dann wird dieser in seiner Einmaligkeit wahrscheinlich anschaulichste Fall der letzten und nächsten Jahre völlig wirkungslos verpuffen.