Erstellt am: 31. 10. 2013 - 18:54 Uhr
Ch-ch-ch-Changes
In einer schönen, fast schon traum-haft irreal anmutenden Szene in der ersten Episode von "Hit & Miss" singt Chloë Sevigny, mit geschlossenen Augen, in einem heruntergekommenen, bis auf zwei, drei Barflys menschenleeren Pub mit Karaoke-Ausstattung folgende ewige Zeilen ins Mikrofon: "Close Your Eyes And Think Of Someone You Physically Admire". Sie stammen, falls man es noch nicht erahnt hat, von Morrissey, aus seinem Song "Let Me Kiss You". Der Song handelt unter anderem von der guten alten Praxis, beim Sex, oder vielleicht eben bloß auch beim Küssen, an eine andere Person als die gerade anwesende zu denken.
Es folgt das bittere Erwachen: "But Then You Open Your Eyes And See Someone That You Physically Despise". Nun handelt der Song "Let Me Kiss You" ursprünglich vom Verhältnis zwischen zwei – oder mehr – Personen, in "Hit & Miss" ist schwer zu übersehen und -hören, dass die erste und vornehmliche Adressatin von Chloë Sevignys Gesängen die Absenderin selbst ist: Den Körper, den sie im Spiegel sehen muss, kann sie nur schwer als den eigenen akzeptieren oder gar als attraktiv empfinden.
Hit & Miss
Die Prämisse der 2012 von Sky Atlantic produzierten englischen Serie "Hit & Miss" scheint zunächst höchst mühsam herbeikonstruiert: Chloë Sevigny spielt – mit irischem Akzent – eine transsexuelle Auftragskillerin, oder wie sie selbst sagt: "A Woman Trapped Inside A Man’s Body". Man wird schon in den ersten drei Minuten der Show einen Penis sehen. "Hit & Miss" ist aber weder auf ödes Shock-Appeal noch Klamauk aus. Auf dem Papier mag "Hit and Miss" wie eine Startrampe für alberne Comedy wirken, vielleicht mit Robin Williams? Ein überdrehtes Verwirrspiel mit lustigen Mördern und viel Blut in Tarantino-Manier? Das Gegenteil ist der Fall.
In kalten Blau-, Grau- und Beige-Tönen bemüht "Hit & Miss" tranig-traurigen britischen Sozialrealismus zwischen Kitchen Sink und Arbeitslosigkeit. "Fucking!", im Sinne des Fluchens, ist das am häufigsten benutzte Wort. Der unterkühlte, minimalistische Noir-Thriller und körperlich-brutaler Hard Boiled sind die anderen Referenzgrößen dieser Serie, die planmäßig nach nur sechs Episoden eingestellt wurde und dieses Jahr auf DVD erschienen ist. Sie sei hier noch einmal ausdrücklich empfohlen.
Hit & Miss
Die sehr seltsame Genre-Vermischung funktioniert trotz hanebüchener Ausgangskonstellation wie beiläufig. Das Problem der Identitätsfindung ist das zentrale Motiv. Wie kann man jemand werden und überhaupt: wer? Hauptfigur Mia, vormals Ryan, erledigt in Manchester das Morden mit stumpfer Präzision. Messer durch den Hals, Pistole, Plastiksäckchen über den Kopf. Mia trainiert, trainiert und trainiert, Fehler passieren nicht, mit bloßen Händen zerlegt sie die übelsten Burschen.
Bis neben der emotionalen auch die professionelle Welt erschüttert wird: In Form von Familie. Mia erfährt, dass sie, aus einem früheren Leben, einer früheren Beziehung Vater eines elfjährigen Sohnes ist. Ihr Sohn Ryan lebt mit drei Halbgeschwistern auf einem verwahrlosten Bauernhof in der nordenglischen Einöde. Nachdem die Mutter der Kinder – Mias/Ryans Ex-Freundin von vor ewigen Zeiten – an Krebs verstorben ist, wird Mia zur Erziehungsberechtigten erklärt. Was zu den erwartbaren Reibungen führt, und Mia auch im Job fahrlässig werden lässt.
Viel gesprochen wird hier nicht. Hühnchen werden gerupft, Schweine geschlachtet, man raucht. Ein fahrender Rummelplatz wird Sinnbild für die billige, triste Flucht aus einer tristen Realität, ebenso wie für die Rastlosigkeit und die Unfähigkeit irgendwo Bindungen herstellen zu können. Papa Was A Rodeo. Es regnet, man streitet. Das erste was Mia ihrem Sohn beibringt, ist, dass man einem Typen, der einen in der Schule ewig drangsaliert hat, erstmal so richtig eine aufs Maul geben muss. Und wie man das macht.
Der ermüdende Kampf, das Drängen, jetzt doch dann so etwas wie eine Familie herbeizuzwingen, die Anbahnungen neuer, von Vornherein mit Problemen grüßender Liebschaften und die – letztlich dann eben doch – Erbarmungslosigkeit von Mias Profession vermischen sich zunehmend zu einer einzigen schwer zu ertragenden Beklemmung. "Hit & Miss" ist nicht ganz frei von Klischees – der Symbolismus der Show, wie beispielsweise das mehrmals bemühte Bild von der Transformation der Raupe zum wunderhübschen Schmetterling, spiegelt jedoch nur Mias glücklose Selbstbeschwichtigungs-Versuche wider: Es quält sie das von elterlicher Seite indoktrinierte schlechte Gewissen.
"Hit & Miss" erzählt vom Suchen und Sich-Verändern. Vom Wandel und dem Bemühen, mit neuen Umständen zurechtzukommen. Nach sechs Episoden bleibt das Ende zum Glück offen. Was als übler Cliffhanger gedeutet werden könnte, ist tatsächlich ein wunderbares, ein deprimierendes Schlussbild über Abhängigkeiten, ewige Kreisläufe, Vertrauen, Enttäuschung und Erlösung. Noch so eine Weisheit: Man kommt im Leben nie zu einem Finalzustand, man bleibt in Bewegung.