Erstellt am: 27. 10. 2013 - 13:52 Uhr
Wildstyle
Diskurs und Musik
Das Wichtigste vielleicht auch einmal zuerst: Die Dreifaltigkeit des Elevate Festivals in Graz funktioniert – auf dem Papier immerhin -– außerordentlich gut und ist in dieser Form wohl einzigartig. Auch wenn das Publikum manchmal noch nicht ganz mitgehen möchte. Eine These, die vom Festival selbst so nicht propagiert wird, sich im Programm aber immer wieder – mit den üblichen Unschärfen, Verwischungen und Ausreißern – widerspiegelt: Unten auf dem Mainfloor wird breitenwirksamere Unterhaltung für großes Publikum, auch klarerweise die Wochenend-Crowd, aufgefahren – das aber immer mit Stil und Geschmackssicherheit. Der zweite Floor, der "Tunnel", bringt Tanzmusik mit Ecken, mit Krach und mit Liebe zum Experiment.
Der kleinste Floor, der "Dungeon", oben im Berg, setzt ganz auf Noise, lärmende Weirdness und Freeform. Natürlich ist die Programmierung der jeweiligen Floors bei weitem nicht so eng gesetzt wie hier angedeutet und finden immer wieder und mit voller Absicht thematische Überschneidungen zwischen und Verknüpfungen von da nach dort statt. Ein Booking korrespondiert freilich auch mit Kapazitäten – andere Festivals würden jedoch dieselben Räume jeweils mit kaum bekannten House-DJs, mit mittelbekannten House-DJs und mit sehr bekannten House-DJs besetzen. Schlechter House, übrigens.
Lupi Spuma
Ganz oben in steiniger Höhle verrichtete da zum Beispiel am Samstag Abend ein Mann, für den so eine Spielstätte, die sich da "Dungeon" nennt, nur ersonnen scheint, sein finsteres, dabei aber keineswegs das Gemüt zermürbendes Werk: The Haxan Cloak. Der Mann hat sich unter anderem nach einem schwedisch-dänischen Horrorfilm, der von Geisteskrankheit und Hexenjagd handelt, aus den Zwanziger-Jahren benannt. Über den englischen Musiker Bobby Krlic und sein Projekt The Haxan Cloak ist in den vergangenen beiden Jahren zum Glück schon viel gesagt worden, auch an dieser Stelle.
Dieses Jahr hat er mit dem Album "Excavation" eine Platte des Jahres veröffentlicht, Popstar wird er – in diesem Leben jedenfalls – aber keiner mehr werden. "Excavation" handelt vom Tod, das Albumcover ziert ein Galgenstrick. Live wie auf Platte haben wir es hier mit einer elektronischen Studie in Demut und der Entwicklung der Zeitlupe zu tun. Klopfgeräusche aus dem Inneren des Sarges, ein Glockenschlag in weiter Ferne, ein Kratzen, ein Schaben, eine Bassdrum, die sich nur mit Mühe aus einem mit medizinischen Apparaten aus dem 19. Jahrhundert vollgestellten Kellerabteil befreien kann. Erschütternd, wie immer großartig, ein Zombie hing am Glockenseil.
Lupi Spuma
Zur gleichen Zeit war im Tunnel mit dem Auftritt von Stellar OM Source eine Künstlerin zu erleben, die als besonders programmatisch für die Ausrichtung des Elevate Festivals gesehen werden kann. Lange Zeit hat die ursprünglich aus der Nähe von Paris stammende Musikerin und Produzentin Christelle Gualdi unter dem Namen Stellar Om Source an von kosmischem Krautrock und nach Kunststoff riechenden, New-Age-beeinflussten Synthesizer-Wohlklängen gebastelt, die sie dann eher unter Ausschluss der Öffentlichkeit auf CD-Roms oder Kleinstlabels veröffentlicht hat. Weich summende Musik war das, süß fließende Arpeggio-Folgen, esoterisches Geschmeide zur Vertonung von Delphin-Dokumentationen einerseits, genauso aber eben auch Kommentar zu derlei Aufzugs-Muzak, zu Supermarkt-Soundtracks und allzu gefälligem Sound-Mobiliar. So fand sich Stellar OM Source ästhetisch wie konzeptuell – wenn auch nicht gar so spitz ausformuliert – in der Nähe von Klangtheoretikern wie Oneohtrix Point Never oder James Ferraro wieder.
Lupi Spuma
Mit ihrem dieses Jahr beim sehr guten New Yorker Label RVNG Intl (das mit Acts wie Holly Herndon, Blondes oder Maxmillion Dunbar scheinbar auch nichts falsch machen kann) erschienenen Album "Joy One Mile" schickt sich Stellar OM Source nun mit konzentrierter Neuorientierung an, sanft die Welt zu übernehmen. Das Album "Joy One Mile" ist ohne falsche Superlative ein Top-Ten-Album des Jahres, die Neoorientierung, die hier vollzogen wird, ist einerseits in aller Klarheit und Konsequenz durchexzerziert, verschleiert dabei aber das Frühwerk der Künstlerin keineswegs und hat nach wie vor Platz für wohlige Wolken.
Dieses Mal wird jedoch verstärkt dem Dancefloor zugearbeitet. Eisern rattern die Maschinen, deutlich sprechen Affinitäten zu allerfrühestem, roughem Detroit-Techno aus dieser Platte. Wenn Stellar OM Source nun derlei Musik live aufführt, ist das nicht weniger als atemberaubend. Flink, vielarmig und sichtlich auf sympathische Art und Weise über sich selbst und die Nacht erfreut arbeitete die Musikerin an Geräten, Tasten, Knöpfen und Reglern. Bei allem Willen zur freien Form war das alles eben auch immer ausdrücklich tanzbar. Bei Stellar OM Source entsteht ein pulsierendes Geflecht aus flüchtigen Rhythmen, metallener Strenge, lieblichen Melodien und außerweltlicher Zauberkraft. Ein Höhepunkt des diesjährigen Elevate Festivals. Und überhaupt.
Lupi Spuma
Lupi Spuma
Der Abend im Dom im Berg stand am Samstag im weitesten Sinne unter der Klammer "House". Die Göttinen-Musik. Nach einem wie immer überschwänglichen Auftritt des österreichischen Duos Ogris Debris war dort eine kleine Supergroup moderner House Music zu sehen: Magic Mountain High. Ein Trio, bestehend aus dem niederländischen Produktions-Team Juju & Jordash und dem berühmtesten Heidelberger Produzenten der Geschichtsschreibung: Move D. An echten Geräten und Maschinen demonstrierten die drei Herren, wie elektronische Tanzmusik so richtig "live" dargeboten werden kann. Ein zu weiten Teilen improvisiertes, mit Würde rockendes und vor Sex vibrierendes Set.
Lupi Spuma
Im Tunnel bedienten – hintereinander – zwei Herren die Abspielgeräte, die schon länger und immer wieder mal, gegenwärtig jedoch in besonderem Maße die Musik-Blogs ehrfürchtig tuscheln lassen: Peverelist und Paul Woolford. Peverelist ist ein Fixstern der Club-Szene Bristols und Kopf des Labels Punch Drunk. Aktuell hat er mit zwei Kollegen das etwas grobschlächtiger angelegte Label Livity Sound am Start – die vor kurzem erschienene Werkschau von Livity Sound sei allen Menschen, die wissen wollen, was für feine Allianzen Dub, Poststep und Techno auch im Jahr 2013 noch einzugehen im Stande sind, ans Herz gelegt.
Paul Woolford hingegen segelt seit Jahren schon unter der Fahne von House und Techno, neuerdings kümmert er sich unter der Alias Special Request um die ohnehin gerade sehr in vogue stehende Wiederbelebung von Jungle und Drum'n'Bass. Auch hier: Das brandneue Album von Special Request namens "Soul Music" muss auf die Einkaufsliste. Peverelist und Woolford jonglierten sich so durch ein Spektrum von vornehmlich "britisch" kodierten Tanzmusiken und waren dabei auch nicht um die speziell strenge Peitsche verlegen, vor allem Woolford nicht.
Lupi Spuma
Zum Glück ließ der es sich auch nicht nehmen, kurz die Plattenspieler zu verlassen, zwei besonders unangenehme, idiotische Störenfriede direkt vor dem DJ-Pult zur Seite zu nehmen und mit einem "What's Your Problem?!" höchstpersönlich zurechtzuweisen. Special Request, doch nicht so ganz. Bitte allgemein mehr persönlicher DJ-Einsatz gegen Idioten! Die Information, ob unten im Dom am Ende der Nacht, nach langer, langer Verspätung, irgendwann doch noch Lil Louis aufgetaucht ist, fehlt leider an dieser Stelle. Vielleicht hat sich der House-Urvater aus Chicago ein bisschen mit der Zeitumstellung vertan.
Die Idee ist fantastisch, die Welt nicht immer bereit. Etwas mehr Offenheit und Wille, sich auch auf unbekannte Dinge einzulassen, wäre am Samstag von Seiten der Besucherinnen und Besucher da und dort wünschenswert gewesen. Man kann beim Elevate Festival so einiges wissen über Musik – und noch viel mehr lernen. Man muss das aber nicht. Man kann sich genauso in der viel beschworenen Anonymität von Techno, die alle gleichmacht, durch die Nacht tragen lassen und dabei ein wenig versuchen, ein besserer Mensch zu werden.