Erstellt am: 26. 10. 2013 - 17:11 Uhr
Krach, Konfusion, Krise
Diskurs und Musik
Die Idee, einen Musiker, eine Band, eine Künstlerin ein ganzes Festival oder immerhin einen Teil davon kuratieren zu lassen, ist nun nicht mehr neu – alt geworden ist sie jedoch noch nicht. "Kuratieren" – ist es das Wort der 10er-Jahre? Jeder ist sich selbst sein Kurator. Am Freitag hatte beim Elevate Festival in Graz das österreichische Tastenwunder Dorian Concept die Ehre und hoffentlich auch das Vergnügen, das Programm der Hauptbühne im Dom Im Berg zu betreuen und nach seinen Vorlieben zusammenzustellen.
Lupi Spuma
Concept hatte Freunde, Wegbegleiter und Bewohner einer ähnlichen Schublade wie der seinen geladen, bestens gelaunte Beat-Schnitzer, funky Luftikusse und elektronische Alleinunterhalter. Nachdem das gut eingespielte Team The Clonius und Cid Rim hinter den Plattentellern mit einem noch wunderhübsch gedämpften und im besten Sinne angejazzten Set den Dom im Berg auf wohlige Betriebstemperatur hochgefahren hatte, konnte ein scheinbar nach Odd-Couple-Manier zusammengewürfeltes Duo zeigen, wo durch geile kreative Krisen spannende Reibung entsteht:
Der kalifornische Alleskönner, zumindest alles so ein bisschen, James Pants, der für gewöhnlich an den quietschenden Gelenken und ächzenden Bruchstellen zwischen HipHop, Boogie, Disco und humoristischem Elektronik-Trash agiert, traf auf den deutschen Groß- und Konzept-Künstler Felix Kubin – dem freilich der Witz auch nicht fremd ist. Gemeinsam, Pants an den Drums, Kubin an den Korgs, wurde rumwuselnde Energie hergestellt.
Es gab Stücke von Pants, es gab Stücke von Kubin, jeweils neu umgedeutet, kaum wiedererkennbar oder in Varianten großartig missglückter Kompromisse zwischen zwei genialen Kindsköpfen. Auch gab es neue Stücke zu hören, die Pants und Kubin gemeinsam, wohl zwischen Tür und Angel, entwickelt hatten. Nicht immer fand hier alles geschmeidig zueinander, und so war es gut. Cowbell trifft angekrautete Kosmonautenmelodien.
Lupi Spuma
Lupi Spuma
Im "Tunnel" genannten zweiten Floor war eine Gesandtschaft des New Yorker Label L.I.E.S. zugange. Mit der Verpflichtung des aktuell – und zurecht – extrem heiß gehandelten Techno-Imprints bewies das Elevate wieder einmal sichere Sensoren und Zukunftsblick. Die vergangenes Jahr erschienene Label-Compilation "L.I.E.S. presents American Noise" war eine Compilation des Jahres und spannte da eine Bogen von rohem Proto-Techno über unheilvoll flirrenden Post-Ambient und ätzenden Bleep Hop hin zu wohl in irgendeiner Fabrikshalle in ein altes Tapedeck gespeistem Maschinenkrach.
Mit einem Roster von mit wenigen Ausnahmen kaum bekannten Namen hat L.I.E.S. so schnell eine eigene Ästhetik entwickelt, die gegenwärtig verständlicherweise vor allem Menschen in die Hände spielt, denen Kuschel- und Deep House zu albern und schnöselig und dumm und abgegriffen ist. Menschen, die vielleicht eher vom Noise kommen und trotzdem ab und an ein schickes Bein auf den Dancefloor stellen wollen.
Lupi Spuma
Mit prächtiger Stumpfheit und Dumpfheit, mit feinem Flimmern, mit schmutzigen Spuren, groben Signalen und einer die Körper in jeder Pore beanspruchenden Sinnlichkeit transformierten die Vertreter des Hauses L.I.E.S., namentlich die transatlantische Produzentin XOSAR, die unglaubliche (in Worten: unglaubliche) Entertainment-Maschine Svengalisghost und Labelboss Ron Morelli den Tunnel in einen einzigen zuckenden und rauschenden Raum.
Die Ende des Jahres erscheinende zweite Compilation von L.I.E.S. wird den Namen "Music for Shut-Ins" tragen, und so auf die dröge, oft bemühte Kritik anspielen, dass es sich bei den Menschen hinter L.I.E.S. doch wohl um Menschen handle, die eigentlich gar nicht der Clubkultur entstammen. Gähn. Um Outsider, Stubenhocker, Emporkömlinge, die schnell mal irgendwas zusammenschrauben. Auf ihre Seite mögen wir uns schlagen.
Lupi Spuma
Lupi Spuma
Lupi Spuma
Ganz oben im Berg, im Dungeon, wurde dann dem Wörtchen "Noise" durchaus auch noch im Wortsinne nachgespürt: Das Trio mit dem guten und sprechenden Namen Blood Music entflammte einen heiligen Krach, ein echter Höhepunkt manifestierte sich jedoch in der Erscheinung des William Bennett. Man darf ihn sicherlich eine Legende nennen, wenn auch nur für eher wenige Menschen, mit besonders speziellen Klangvorlieben.
Mit seinem Projekt Whitehouse ist Bennett ein, wenn nicht der Übervater eine Genres mit ebenfalls sprechendem Namen, das manch einem schwer fällt, als wesentlich mehr denn Lärm zu identifizieren: Power Electronics. Es ist wohl nicht zu verstiegen, zu vermuten, dass Labels wie Mego oder Touch Whitehouse in ästhetischer Hinsicht einiges schulden, mit seinem aktuellen Unternehmen jedoch gibt sich Bennett gar etwas publikumsfreundlich und rythmisch nachvollziehbar. Unter dem Namen Cut Hands verbindet er Industrial und böse Schlieren aus dem Rechner mit den Sounds ghanaischer Percussion-Instrumente. Eine völlig stimmige Kultur-Konfusion. Tanzen, ein Stich ins Herz, ein Schmerz im Hirn.
Lupi Spuma
Währenddessen knödelten, drehten, drückten und turnten sich unten im Dom im Berg Dorian Concept und seine Homies, der englische Produzent, Musiker und DJ Bibio aus dem Hause Warp, der beindruckende kalifornischen Kotelettenträger Daedalus und der zurückgelehnte niederländische Wildstyler Jameszoo durch aufgekratze funken- und funk-schlagende Live-Performances und DJ-Sets, die allesamt pompöser und schriller daherkamen als auf Tonträger.
Delikate Großraumtauglichkeit mit Finesse, das hätte man eventuell nicht jedem dieser eigenbrötlerischen Heimwerker zugetraut. Nach einem nahezu perfekten Abend auf allen Ebenen und Floors, feinen Menschen und einem erregend ausbalancierten Stilgemisch, schwirrte dann aber doch noch leise, ganz leise, die Frage durch die Luft, warum denn in dem von Dorian Concept so wunderbar zusammengestellten Programm voller Highlights keine einzige Frau aufgetaucht ist.
Das Elevate geht weiter: Am Samstag u.a. mit Ogris Debris, Stellar Om Source, The Haxan Cloak, Lil Louis und vielen mehr.